"Es gibt nur ein Palästina"
Für die Flüchtlinge in Libanon bleibt die Rückkehr wichtigste Forderung
Von Karin Leukefeld *
Je mehr internationale Konferenzen das »Recht auf Rückkehr« der palästinensischen Flüchtlinge
ausklammern, desto wichtiger wird die Forderung für die Flüchtlinge selber. Die Jugendlichen in den
Lagern radikalisieren sich angesichts der Sprachlosigkeit der Autonomieregierung.
»Niemand kann über unser Recht auf Rückkehr verhandeln«, erklärt Abu Jusuf, Kämpfer der
islamistischen Widerstandsgruppe Ansar Allah im palästinensischen Flüchtlingslager Ain al-Hilwa.
»Es gibt nur ein Land, das Palästina heißt, und wir können nur dann zurückkehren, wenn wir gegen
Israel Widerstand leisten.« Ain al-Hilwa ist das größte der zwölf palästinensischen Flüchtlingslager in
Libanon, es liegt südlich der Hafenstadt Saida. Offiziell leben dort 75 000 Menschen. Die
Gesamtzahl palästinensischer Flüchtlinge in Libanon wird von den Vereinten Nationen mit 300 000
angegeben, inoffiziell spricht man von 400 000. Die Zahl aller palästinensischen Flüchtlinge, zu
denen auch die Nachfahren derjenigen zählen, die 1948 von Israel aus ihrer Heimat vertrieben
wurden, wird heute auf sechs Millionen Menschen geschätzt.
Die Lebenssituation in den Flüchtlingslagern in Libanon ist unerträglich. Die Lager sind überfüllt, die
Infrastruktur ist völlig unzureichend. Als kürzlich die ersten winterlichen Regenfälle über Libanon
niedergingen, verwandelten sich die unbefestigten Straßen in den meisten Lagern in braune
Schlammbäche. Nahr al-Bared, in dem einst 25 000 Menschen lebten, ist nach den schweren
Kämpfen im Frühjahr noch immer eine Trümmerlandschaft.
Nur ein Bruchteil der früheren Bewohner wurde in neu errichteten Containern untergebracht, die die
Menschen als »Viehställe« bezeichnen. Von außen sähen sie ganz gut aus, meinte der freiwillige
Helfer Hassan Faour gegenüber dem UN-Informationsnetzwerk IRIN, doch von innen seien sie
»eine Katastrophe«.
Die Wände nackt, die Böden aus Beton, sagte Faour weiter. »So was eignet sich für Tiere, aber
nicht für Menschen.« Als die ersten Flüchtlingsfamilien im September in das zerstörte Nahr al-Bared
zurückkehren wollten, wurden sie von libanesischen Anwohnern teilweise gewaltsam daran
gehindert. Diese machten die Palästinenser für den Tod von 160 libanesischen Soldaten
verantwortlich. Doch die Palästinenser sehen sich selber als Opfer der Kämpfe. Nahr al-Bared war
für sie zu einer Heimat in der Fremde geworden, sie haben alles verloren.
Weil das Recht auf Rückkehr auch von der palästinensischen Autonomiebehörde nicht mehr zur
Sprache gebracht wird, werden die politischen Führer in den Flüchtlingslagern Libanons immer
kompromissloser. »Die Israelis wollen, dass wir Palästinenser anerkennen sollen, dass Palästina die
Heimat der Juden ist. Sie wollen, dass wir unser Recht auf Rückkehr aufgeben«, sagt Abu Ahmad
Fadel Taha, der Führer von Hamas in Ain al-Hilwa. Doch Palästina sei die Heimat der Palästinenser
und ihrer Enkel, nur mit Widerstand könne es befreit werden. »Die Verhandlungen von Oslo und
Madrid haben uns nur beschämt. Wir glauben nicht an Verhandlungen.« Viele Jugendliche im Lager
stimmen Taha zu.
Amnesty International kritisierte vor wenigen Wochen die libanesische Regierung, dass sie
Generationen der palästinensischen Flüchtlinge im Land diskriminiere. Die Regierung verweigere
ihnen den Zugang zu Arbeit, Bildung, menschenwürdiger Unterkunft und Gesundheitsversorgung,
hieß es in dem 24-seitigen Bericht.
In manchen Familien lebten mehr als zehn Personen in einem Zimmer, die Häuser seien undicht, es
fehlten sanitäre Einrichtungen. Noch immer dürften die Palästinenser in Libanon 20 Berufe nicht
ausüben, insbesondere akademische Berufe wie Rechtsanwalt, Arzt oder Lehrer. Als größtes
Hindernis bezeichnete der Bericht die Unfähigkeit Israels und der internationalen Gemeinschaft, eine
Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge zu finden, »die ihre Menschenrechte umfassend
schützt, auch ihr Recht auf Rückkehr«.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2007
Abbas wirbt für Besatzungstruppen
Geberkonferenz endet in Paris mit Zusagen über fünf Milliarden Euro für Palästinensische Autonomiebehörde **
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas will weltweit Unterstützung für eine internationale Einsatztruppe in den palästinensischen Gebieten suchen. Die Autonomiebehörde habe einen entsprechenden Vorschlag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy am Vortag »wohlwollend« aufgenommen, sagte Abbas am Dienstag (18. Dezember) bei einer Pressekonferenz in Paris.
Sarkozy hatte zum Auftakt der eintägigen Geberkonferenz (17. Dez.) für die Palästinenser in Frankreichs Hauptstadt vorgeschlagen, eine internationale Truppe aufzubauen. Diese solle, »wenn die Zeit gekommen ist und die Bedingungen stimmen«, die palästinensischen Sicherheitsdienste unterstützen.
Die Palästinenserführung habe sich verpflichtet, »für Recht und Ordnung zu sorgen«. Die Sicherheitsdienste müßten sich erneuern und »professioneller werden«, mahnte Sarkozy. Die Palästinensische Autonomiebehörde wird nicht im gesamten palästinensischen Gebiet anerkannt. Sie steht in einem offenen Konflikt mit der islamischen Hamas-Regierung im Gazastreifen, die sie zu isolieren versucht. Die Ankündigung zur Aufrüstung und Besatzung läßt in diesem Kontext eine Eskalation zwischen den palästinensischen Lagern befürchten. Zu Beginn der Konferenz hatte Abbas erklärt, er werde nicht mit der Hamas sprechen, wenn diese die Kontrolle über den Gazastreifen nicht zurückgebe.
Die Teilnehmer der Konferenz hatten rund 5,1 Milliarden Euro Hilfen für den geplanten Palästinenserstaat zugesagt, deutlich mehr als angestrebt. Das Geld soll dazu dienen, den auf drei Jahre angelegten Entwicklungsplan der Autonomiebehörde zu finanzieren. Die Geberkonferenz lief begleitend zu den Friedensgesprächen, die Israel mit der Abbas-Führung vergangene Woche aufgenommen hatten.
* Aus: junge Welt, 19. Dezember 2007
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