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"Hamas trifft Fatah"

Eine sonderbare Debatte im Emirat Katar führt Palästinenser an einen Tisch

Von Karin Leukefeld, Amman *

Eine außergewöhnliche Veranstaltung belebt seit nunmehr sechs Jahren die politischen Diskussionen im Emirat Katar am Persischen Golf. In dessen Hauptstadt Doha stehen, gesponsert von den Regierenden, einmal pro Monat kontroverse Themen der islamischen und arabischen Welt auf der Tagesordnung. Sie werden 90 Minuten lang debattiert und später – in einer auf 45 Minuten gekürzten Fassung – auch im Fernsehprogramm von BBC World ausgestrahlt. Es heißt, daß etwa 300 Millionen Zuschauer in mehr als 20 Staaten weltweit erreicht werden.

»Hamas trifft Fatah« lautete das Motto des jüngsten Treffens – es war das erste öffentliche Streitgespräch der beiden palästinensischen Organisationen, die seit Jahren verfeindet sind. Und angesichts der Konstellation war für Turbulenzen gesorgt. Auf seiten der Fatah, die die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland dominiert, waren deren Sprecher Abdullah Abdullah sowie Nabil Shaath von der Befreiungsbewegung PLO angetreten. Die den Gazastreifen regierende Hamas hatte ihre Vertreter im Libanon und in Syrien, Osama Hamdan und Mohammad Nazzal, aufgeboten. Die vier Palästinenser schenkten sich nichts. Die Vorwürfe der Fatah-Repräsentanten, die Hamas zeige mangelnden Willen zur Versöhnung und sei zudem abhängig vom Iran, konterten ihre Rivalen mit dem Argument, die Fatah unterwerfe sich dem Druck der USA und Ägyptens. Moderator Tim Sebastian, der die Doha-Debatten seit 2004 leitet, hatte sichtlich Mühe, die Streitenden zu beschwichtigen.

Die Zuhörer wurden dabei immer ungeduldiger. Warum es nach 20 Jahren keinen Fortschritt für die Palästinenser gegeben habe, wurde gefragt. Wie man Israel wirksam gegenübertreten wolle, wenn man untereinander zerstritten sei. Was tun die palästinensischen Parteien angesichts der andauernden israelischen Landraubpolitik? Und: »Was haben sie nach dem Massaker in Gaza getan –ich frage nach Taten«, so einer der insgesamt etwa 350 Zuhörer.

Jeder wisse, daß Verhandlungen kein Ergebnis bringen, meinte ein anderer Teilnehmer und fragte: »Was werden Sie tun, wenn die nächste Runde von Friedensgesprächen gescheitert ist?« Er erläuterte den Vertretern der Autonomiebehörde seinen Standpunkt: »Seit ich auf der Welt bin, wird verhandelt, und Israel baut seine Siedlungen weiter aus, verschärft die Belagerung, lehnt das Recht auf Rückkehr ab, hält Tausende Palästinenser gefangen. Wie sollen wir Ihnen trauen, wenn Ihr Vorsitzender, Präsident Mahmud Abbas, versucht, die Behandlung des Goldstone-Berichts vor der UN zu vereiteln?«

Eine Libanesin warf den Politikern vor, durch ihren Streit »nicht nur dem palästinensischen Willen zum Widerstand geschadet zu haben, sondern dem Widerstand in der ganzen arabischen Welt«. Eine Führung, die unfähig sei, müsse zurücktreten, meinte sie. »Sind Sie bereit, einer neuen Generation Platz zu machen?«

Schließlich stimmte das Publikum über die Frage ab, ob es den aktuellen palästinensischen Führern vertraut – wobei keine Differenzierung zwischen Fatah und Hamas vorgenommen wurde. 89 Prozent votierten mit »Nein«, elf Prozent mit »Ja«. Die vier Debattenredner zeigten sich geschockt. Auf die Frage des Moderators, wie sie das Ergebnis kommentieren wollen, meinte Fatah-Vertreter Shaath an das Publikum gewandt: »Wenn Sie eine bessere Regierung wollen, müssen Sie besser werden, damit Sie eines Tages regieren können.«

* Aus: junge Welt, 9. April 2010


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