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"Wir müssen Probleme bewältigen, die vorwiegend von anderen verursacht wurden"

Palästinensischer Bruderkampf schlimmer als Irak-Fiasko

Von Marianna Belenkaja *

Zwei Eilmeldungen sind praktisch gleichzeitig eingetroffen: der Machtkampf zwischen Hamas und Fatah und die Explosion der Schiiten-Moschee in der irakischen Stadt Samarrah.

Dies war überaus symbolhaft, denn die Konfrontation zwischen den palästinensischen Gruppierungen erinnert immer stärker an die Entwicklung im Irak. Die Situation in Palästina wirkt dabei noch hoffnungsloser.

Vorerst balanciert der Irak am Rande eines Bürgerkrieges, wenigstens de jure, auch wenn das angesichts der täglichen Berichte über Terrorakte, Entführungen und Morde paradox wirken mag. Es gibt zwar zwischenkonfessionelle Zusammenstöße und Aktionen „fremder“ Terroristen auf irakischem Territorium, die sich vorwiegend als Al-Qaida-Vertreter identifizieren. Dennoch sitzen Vertreter unterschiedlicher Parteien und politischer Gruppen im gleichen Parlament und in derselben Regierung. Über die Effektivität ihrer Arbeit kann man zwar streiten, genauso wie man von Widersprüchen und politischen Ambitionen einer jeden Partei sprechen kann, eine Tatsache bleibt aber: Die politischen Strukturen des Iraks sind intakt, formell distanzieren sich die Spitzenpolitiker vom täglichen Blutvergießen im Lande. In die palästinensische Konfrontation sind aber die Gruppierungen direkt einbezogen, die zu den Machtstrukturen der Palästinensischen Nationalen Administration gehören. Sowohl de facto als auch de jure ist das ein Bürgerkrieg.

Bei den Palästinensern ist der Staatlichkeitsbegriff immer noch nicht entstanden - im Unterschied zu den Irakern und trotz der schlimmen Erlebnisse der letzten Zeit. Die Palästinenser tragen zwar keine Schuld dafür, dass sie keinen eigenen unabhängigen Staat hatten. Sie tragen aber eine direkte Verantwortung dafür, dass die letzte Chance für die Gründung eines solchen Staates verloren gehen könnte. Gerade das geschieht aber heute: Sowohl Fatah als auch Hamas beweisen täglich der internationalen Völkergemeinschaft ihre Unfähigkeit, ein normales Funktionieren der politischen Mechanismen auf dem von ihnen kontrollierten Territorium in Gang zu setzen.

Natürlich ist ihre Situation nicht leicht. Sie haben es mit einer internationalen Wirtschaftsblockade, die nach dem Hamas-Wahlsieg vor etwas mehr als einem Jahr beschlossen wurde, mit einer Isolation dieser Bewegung in der politischen Arena und mit der Konfrontation mit Israel zu tun. Palästinas Außenminister Ziad Abu Amr charakterisierte dieser Tage die Situation in der Autonomie wie folgt: „Wenn man zwei Brüder in eine Höhle bringt und ihnen das Nötigste für das Leben wegnimmt, werden sie gegeneinander kämpfen. Ich denke nicht, dass wir dem Opfer etwas vorzuwerfen haben. Wir müssen Probleme bewältigen, die vorwiegend von anderen verursacht wurden.“

Das stimmt zwar, die Palästinenser müssen aber auch ihre eigene Verantwortung gegenüber einander empfinden. Die Zusammenstöße zwischen Fatah und Hamas haben nicht nach dem Wahlsieg der Islamisten vor anderthalb Jahren und nach dem Beginn der internationalen Blockade begonnen, dieses Problem gab es ständig seit dem Zeitpunkt der Gründung der Palästinensischen nationalen Administration im Jahre 1994. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Hamas seinerzeit mit Unterstützung Israels gegründet wurde, damit diese eine Konkurrenz zu den Fatah-Leuten bildet, die Islamistenbewegung entwickelt sich aber seit langem nach ihrer eigenen und nicht nach einer israelischen Logik, genauso wie die Terrororganisation Al-Qaida, an deren Wiege die USA gestanden hatten.

Keine Einmischung von außen wird den Palästinensern helfen, solange sie sich selbst nicht retten. Kaum haben die ägyptischen Vermittler für eine Versöhnung unter den Palästinensern gesorgt, da bricht die Konfrontation mit neuer Wucht aus. Saudi-Arabien hat es enorm viel Kraft gekostet, die Bildung einer nationalen Einheitsregierung im Februar möglich zu machen. Aber auch diese Bemühungen waren umsonst. Es gibt keine Garantien dafür, dass eine neue Feuerpause lange dauern würde. Die Aufteilung der politischen Vollmachten in der Regierung führt zu einem Blutvergießen auf der Straße. Unter diesen Bedingungen ist es sinnlos, Friedensverhandlungen mit Israel zu führen und von der Gründung eines palästinensischen Staates zu sprechen. Gerade Fatah und Hamas beweisen täglich, dass die Interessen ihrer Fraktionen und Clans für sie wichtiger sind als die nationalen. Eine Verschwörung der äußeren Kräfte, von der in der arabischen Welt so gern geredet wird, hat damit nichts zu tun.

„Der Tod der Menschen und die Leiden der Zivilbevölkerung lassen sich durch nichts rechtfertigen“, heißt es in einer Erklärung des russischen Außenministeriums zur Situation in der Palästinensischen Autonomie. Davon müssen auch die palästinensischen Spitzenpolitiker ausgehen, wenn sie sich wirklich um ihr Volk kümmern. Wahrscheinlich sollten sie auch die Erfahrungen ihrer irakischen Kollegen - sowohl die negativen als auch die positiven - berücksichtigen. Dort gibt es nämlich sowohl eine Einmischung von außen (sowohl einzelner Länder als auch einiger Terrororganisationen) als auch diverse Clan-Interessen. Die dortige Situation ist auch objektiv komplizierter als in Palästina, in dessen Geschichte es keine ethnisch-konfessionelle Konfrontation gegeben hat.

Natürlich ist die Situation im Irak alles andere als ideal, bis zur Stabilisierung und einer nationalen Aussöhnung liegt noch ein weiter Weg, die Gefahr eines Bürgerkrieges ist immer noch da. Davor werden die Iraker durch die militärische und die politische Einmischung von außen (in erster Linie durch Washington und London) und paradoxerweise auch durch die Gefahr einer Ausdehnung des Al-Qaida-Einflusses abgehalten.

Die Palästinenser haben indes diese Bremse nicht. Offenbar warten sie nur darauf, dass ihr Territorium, wo jetzt Chaos eingezogen ist, in einen Stützpunkt für äußere Terrorgruppierungen verwandelt wird, wie das mit den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon bereits geschehen ist. Wäre das aber ein sinnvoller Ersatz für einen unabhängigen palästinensischen Staat?

Die Meinung der Verfasserin muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 15. Juni 2007; Internet:
http://de.rian.ru



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