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Aufruf zur "Dritten Intifada"

Arabische Jugendorganisationen planen einen Marsch in die palästinensischen Gebiete

Von Juliane Schumacher, Kairo *

Junge Ägypter, die an den Protesten gegen das Mubarak-Regime teilgenommen haben, zeigen sich solidarisch mit den Palästinensern. Am 15. Mai wollen sie gemeinsam mit weiteren Sympathisanten in den Autonomiegebieten gegen die israelische Politik demonstrieren.

Menschenmassen auf dem Tahrir, Tränengaswolken über den Nilbrücken. Algerien, Marokko, Jemen. Und schließlich Palästina. Das Mobilisierungsvideo zur »Dritten Intifada«, auf Youtube und Facebook verbreitet, lässt keinen Zweifel: Die Jugendlichen, die damit für den 15. Mai zum Marsch in die palästinensischen Gebiete mobilisieren, wollen den Schwung der Revolten nutzen, die seit Januar viele arabische Länder erschüttert oder umgewälzt haben.

Für den 15. Mai, dem Tag der Staatsgründung Israels, den die Araber als Al-Nakba-Tag, den Tag der Katastrophe, bezeichnen und mit der Vertreibung von Millionen Palästinensern verbinden, rufen sie Palästinenser und deren Sympathisanten auf, nach Palästina zu reisen oder den Aufstand mit Blockaden und Demonstrationen vor israelischen und amerikanischen Botschaften zu unterstützen.

In Ägypten haben sich zahlreiche Jugendorganisationen dem Aufruf angeschlossen, auch die Bewegung 6. April, die im Vorfeld der Revolution eine wichtige Rolle gespielt hat. Dass Facebook ihren Aufruf immer wieder gesperrt hat, hat für einen kurzen Facebook-Boykott gesorgt – und den Aufruf erst recht bekannt gemacht. »Das sind unsere Brüder«, sagt Ahmed, ein junger Aktivist. »Wir müssen sie unterstützen. Die Israelis können zwar Palästinenser zusammenschießen, wenn sie protestieren, aber mit anderen Arabern können sie das nicht tun.«

Während der Revolution hat Außenpolitik kaum eine Rolle gespielt. In den letzten Woche hat sich das jedoch geändert: Das Vorgehen der Regierung in Syrien ist zunehmend ein Thema. Seit April demonstrieren Ägypter mit syrischen Studenten immer wieder vor der syrischen Botschaft, seit einigen Wochen auch vor der israelischen. Dies hängt auch mit der Strategie der neuen, vom Militärrat eingesetzten Regierung zusammen. Diese setzt, in Abgrenzung zur Regierung Mubaraks, auf Konfrontation gegenüber Israel – und kann sich dabei der Unterstützung großer Teile der Bevölkerung sicher sein. Eine Umfrage ergab kürzlich, dass 54 Prozent der Ägypter dafür wären, den Friedensvertrag mit Israel zu kündigen.

Anfang Mai hat der ägyptische Außenminister angekündigt, die Grenze zum Gazastreifen bald dauerhaft zu öffnen. Auf der Sinai-Halbinsel versammelten sich Meldungen zufolge am Donnerstag rund 3000 Demonstranten, die am Sonntag in Rafah die Grenze zum Gazastreifen überqueren wollen. Berichten von Aktivisten zufolge sind auch viele Demonstranten aus Tunesien unterwegs nach Ägypten, um von dort aus die Grenze zu passieren. Am Freitag sollen die Aktionen um 3.30 Uhr mit dem Morgengebet in vielen Moscheen von Saudi-Arabien bis Marokko beginnen. In Kairo ist für Freitag eine Kundgebung auf dem Tahrir-Platz geplant. Am Samstag wollen die Aktivisten von dort aus in Richtung Gaza starten.

Obwohl die Aufrufe betonen, es solle friedlich demonstriert werden, richten sich die meisten auf Konfrontationen ein. »Wir wissen nicht, ob wir über die Grenze kommen«, sagt Khaled T. »Wir bringen Unterstützungsmaterial, notfalls übergeben wir das an der Grenze und protestieren dort. Wichtig ist, dass wir Aufmerksamkeit für Palästina schaffen.«

Kritische Stimmen zur Form der Mobilisierung gibt es kaum: Die meisten Aufrufe sind gespickt mit religiösen Zitaten, das Hauptmobilisierungsvideo mischt zu pathetischer Musik Bilder von tanzenden orthodoxen Juden mit denen getöteter palästinensischer Kinder. Konkrete politische Forderungen fehlen meist, der Aufruf der Organisatoren bezieht sich auf die UN-Resolution 194, die den 1948 vertriebenen Palästinensern das Recht auf Rückkehr zuspricht.

Wie sinnvoll es ist, nach Gaza zu fahren, ist unter den Aktivisten indes umstritten. Er werde nicht nach Gaza fahren, sagt der Ingenieur-Student Hamid. »Unsere Revolution in Ägypten ist noch nicht beendet, darauf sollten wir uns zunächst konzentrieren.« Ägypten könne eine entscheidende Rolle dabei spielen, eine Zwei-Staaten-Lösung für Palästina auszuhandeln. »Aber erst, wenn hier die Demokratie gesichert ist.« Er macht sich Sorgen um Freunde, die nach Gaza fahren, und über mögliche Folgen der Aktion. »Was, wenn ägyptische Zivilisten dort von israelischen Soldaten erschossen werden? Gibt es dann Krieg?«

* Aus: Neues Deutschland, 13. Mai 2011


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