Hazims Tod und das Scheitern der Intifada
Vor 25 Jahren begann im Gaza-Streifen der erste Aufstand der Palästinenser: Statt Demokratie brachte er neue Despoten
Von Fabian Köhler *
Vor 25 Jahren begeisterten Palästinenser
mit ihrer Rebellion für ein
selbstbestimmtes Leben die halbe
Welt. Doch statt Demokratie bekamen
sie neue Despoten – nicht die einzige
Parallele zwischen Intifada (Aufstand)
und dem zum politischen Winter
erstarrten Arabischen Frühling.
Die Geschichte Hazim Al-Sissis
klingt wie aus Ägypten oder Syrien:
Mit Tausenden anderen demonstrierte
der 17-Jährige gegenüber
einem Armeestützpunkt
gegen ein despotisches Regime.
Sein Protest endete mit einer israelischen
Kugel im Kopf. 25 Jahre
ist es her, als er zum ersten »Märtyrer
« der palästinensischen Intifada
wurde und das Plakat mit seinem
Porträt von Tausenden Hausfassaden
zum Aufstand aufrief.
Die Zutaten des palästinensischen
Prototyps des Arabischen
Frühlings waren damals dieselben
wie heute: soziale Not, gewaltsame
Unterdrückung und fehlende politische
Teilhabe. Hazim stammte
aus dem Flüchtlingslager Jabaliya
im Gaza-Streifen. Überfüllt mit
perspektivlosen jungen Menschen,
wie gemacht für den Geburtsort
des palästinensischen Frühlings.
Die israelische Besatzung prägte
damals bereits seit 20 Jahren das
Leben der Palästinenser im Westjordanland
und im Gaza-Streifen.
Für Zehntausende Palästinenser
war die Arbeit in der israelischen
»Zivilverwaltung« oder bei Unternehmen
in Israel die einzige Erwerbsmöglichkeit:
ohne rechtliche
und soziale Absicherung und für
Löhne, die meist nicht einmal der
Hälfte vergleichbarer israelischer
Arbeiter entsprechen.
War in Tunesien die Selbstverbrennung
eines mittellosen Straßenhändlers
Anlass für den Protest,
reichte den Palästinensern ein
Autounfall. Vier palästinensische
Tagelöhner starben, als am 8. Dezember
1987 ein israelischer Armee-
LKW ein palästinensisches
Taxi rammte. Tausende Palästinenser
kamen zur Beerdigung,
Zehntausende demonstrierten. Israelische
Soldaten schossen in die
Menge. Palästinenser wie Hazim
starben und trieben noch mehr
Frustrierte auf die Straße. Spontan
gegründete lokale Komitees übernahmen
die Koordinierung der
Proteste. Das Facebook jener Tage:
Flugblätter, auf denen zu immer
neuen Streiks, Demonstrationen
und zur Einstellung von Steuerzahlungen
aufgerufen wurde.
Über tausend Menschen starben
in den vier Jahren der Intifada.
120 000 Palästinenser verschwanden
zeitweise in den Gefängnissen
der Besatzungsmacht.
Verwackelte Videoaufnahmen von
prügelnden israelischen Soldaten
flimmerten in den ersten Monaten
täglich über die Nachrichtenkanäle.
In westlichen Ländern wurden
Kufiya und palästinensische
Nationalfarben zum Modetrend
und die Intifada zum internationalen
Medienereignis.
Der Aufstand war nicht erfolglos:
Als »Sieg der Intifada« feierte
der aus dem tunesischen Exil
heimgekehrte Palästinenserführer
Yasser Arafat am 1. Juli 1994 den
Abzug der israelischen Armee aus
Gaza. Doch die weitere Entwicklung
erinnerte tragisch an aktuelle
Ereignisse: Die palästinensische
»Selbstverwaltung« entwickelte
sich zum autoritären Regime, korrupt
und undemokratisch.
Die wahren Gewinner regieren
stattdessen 25 Jahre später auch
in jenem Flüchtlingslager, in dem
die Intifada mit Hazims Tod ihren
Anfang nahm. Auf einem Flugblatt
riefen auch die palästinensischen
Muslimbrüder, die bisher nur für
Moschee- und Schulbauten bekannt
waren, am 8. Dezember
1987 erstmals zu Protesten auf.
Das Akronym auf ihren Flugblättern:
h-m-s für Hamas.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 06. Dezember 2012
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