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"Für sofortige Auflösung der Autonomiebehörde"

Für gemeinsamen Unabhängigkeitskampf der Palästinenser wäre organisatorischer Neuanfang nötig. Ein Gespräch mit Zakaria Zubeidi

Zakaria Zubeidi (33) arbeitete als Bauarbeiter und LKW-Fahrer. Er war Kommandeur der Fatah-nahen Al-Aqsa-Brigaden in Dschenin im Westjordanland und einer der Führer der zweiten Intifada. Heute gehört er zur Leitung des experimentellen »Freedom Theater«.



Über Ihren Entschluß, den bewaffneten Kampf zu beenden und sich wieder der Theaterarbeit zu widmen, ist viel diskutiert worden...

Nicht alle haben ihn verstanden. In Wahrheit kämpfe ich weiter für mein Land und für mein Volk. Ich tue es auf eine andere Art, aber diese Form des Kampfes ist genauso wichtig. Ich hätte auch während des Krieges (d. h. des Einmarsches der israelischen Armee in Dschenin im April 2002; Anm.d.Red.) Theaterarbeit gemacht, weil Kunst wie Intifada dazu beitragen, daß die Palästinenser ihr Recht bekommen. Die Bedingungen haben das damals nicht erlaubt. Der Weg zu einem Ende der israelischen Besetzung besteht aus vielen verschiedenen Phasen: Jenen, in denen man zum Gewehr greift und jenen, in denen man auf andere Art für die Unabhängigkeit arbeitet.

Sie sind Mitglied der Fatah. Glauben Sie noch an die Möglichkeit eines Abkommens mit Israel auf der Grundlage der Losung »Zwei Staaten für zwei Völker«?

Ja, und ich bin überzeugt, daß der größte Teil der Palästinenser weiterhin für ein politisches und territoriales Abkommen mit Israel ist. Für die andere Seite gilt das allerdings nicht. Israel beweist uns jeden Tag, daß es die Besetzung des Bodens unseres zukünftigen Staates fortsetzen will. Es baut seine Siedlungen immer weiter aus und begreift nicht, daß die Palästinenser einen Frieden ohne Gerechtigkeit nie akzeptieren werden. Leider ist unsere Führung in diesem sehr heiklen Moment gelähmt und unfähig, aus dem Chaos herauszukommen, wobei man die Auseinandersetzung zwischen Fatah und Hamas nicht vergessen darf, die unser Volk spaltet.

Präsident Mahmud Abbas hat für den 24. Januar 2010 Wahlen anberaumt und wissen lassen, daß er nicht wieder antreten wird. Was halten Sie davon?

Alle wissen, daß es ohne die Aussöhnung mit der Hamas nicht möglich sein wird, einen Urnengang durchzuführen. Das ist nur ein politischer Schachzug, der die Hamas dazu drängen soll, das von den Ägyptern vorgeschlagene nationale Abkommen zu akzeptieren.

Wen würden Sie unterstützen, wenn die Wahlen doch stattfinden sollten?

Ich habe keine Vorlieben. Mir gefällt weder die Führung der Autonomiebehörde noch das Verhalten der Hamas.

Was ist die Alternative?

Die sofortige Auflösung der Autonomiebehörde. Es ist der Augenblick gekommen, um darüber nachzudenken, wie eine gemeinsame palästinensische Plattform geschaffen werden kann, um unser Volk zu befreien. Ich sage das sowohl an die Adresse der Fatah- wie der Hamas-Führer. Die Autonomiebehörde war von Anfang bis Ende ein Reinfall. Sie hat ganz gravierende Fehler begangen. Der letzte war, auf Barack Obama zu vertrauen. Wie konnte Abbas den Vereinigten Staaten Glauben schenken, die es nie wagen, Israel zu widersprechen? Außerdem wird die Behörde vom Ausland kontrolliert.

Beziehen Sie sich mit dieser Aussage auf Israel oder auf den amerikanischen General Keith Dayton, der die Spezialtruppen der Autonomiebehörde ausbildet?

Ich glaube nicht, daß Israel die Autonomiebehörde kontrolliert, die USA allerdings schon. Sie tun das auf tausend Arten, auch hier in Dschenin. Neulich war ich im Bezirksgericht. Plötzlich kam eine Delegation aus Washington herein, und die Security-Leute der US-Gesandten haben mich sofort festgenommen. Ich wurde erst nach Intervention der palästinensischen Sicherheitsbeamten wieder freigelassen, die ihnen erzählten, daß ich für die Autonomiebehörde arbeite - was nicht stimmt. Erscheint es Ihnen richtig, daß bewaffnete Ausländer darüber entscheiden, wer einen palästinensischen Gerichtssaal betreten darf? Das ist der Grund, warum die Autonomiebehörde ihr Scheitern erklären und ihre Existenz beenden muß.

Und was sagen Sie zum Fatah-Kongreß, der im August der Autonomiebehörde zu einer Wiedergeburt verhelfen sollte?

Dieser Parteitag hat gar nichts verändert. Die Macht haben nach wie vor dieselben Leute in der Hand. Es gab keine Erneuerung. Im Gegenteil, wir wurden um Jahre zurückgeworfen.

(Interview für il manifesto vom 11.11.2009)

Übersetzung: Andreas Schuchardt

* Aus: junge Welt, 16. November 2009


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