Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Unheimliche Stille

Die Abriegelung des Gazastreifens und der Benzinboykott durch Israel bedrohen die Existenz Zehntausender Palästinenser

Von Mohammed Omer, Gaza-Stadt *

Über den Hafen von Gaza hat sich eine eigenartige Stille gelegt. Es gibt keine metallenen Geräusche von arbeitenden Kränen mehr, und das Tuckern der Fischerboote ist verstummt. Israels Regierung läßt kein Benzin mehr nach Gaza. Von den 40000 Menschen, die hier von Fischfang und -verarbeitung leben, sind nach Angaben der Fischervereinigung nur noch rund 700 beschäftigt. »In der Fangsaison von März bis Ende Mai brauchen Gazas Fischer pro Tag 40000 Liter Sprit«, sagt Nizar Ayash von der Fischervereinigung. Der 37jährige Jamal Al-Assi steht neben seinem stillgelegten Boot: »Es muß elf Familien ernähren«, sagt er. »Was sollen wir nur machen ohne Benzin?«

Terror der Besatzer

»Ich habe jetzt schon seit zwei Monaten keine Arbeit mehr«, sagt Nasser Al-Amodi, mit seinen 49 Jahren einer der ältesten Fischer von Gaza. Schon mit neun Jahren fuhr er mit seinem Vater auf See hinaus. Nasser hat selbst fünf Kinder und gehofft, daß sie eines Tages seinen Platz einnehmen würden. Einschließlich der Familien seines Bruders und seiner Mannschaft haben nun 70 Leute aus seinem Umfeld wegen der israelischen Blockade kein Einkommen mehr.

»Wenn von meiner Ausrüstung etwas kaputtgeht, kann ich es nicht ersetzen, weil es entweder gar nicht zu bekommen ist oder sich mittlerweile der Preis verdoppelt hat.« Nasser lebt mit seiner Familie im Lager Al-Shati, einem der ältesten palästinensischen Flüchtlingslager, das dramatisch überfüllt ist.

Israel erlaubt den Palästinensern nur bis zu sechs Meilen zum Fischen aufs Meer hinauszufahren. »Aber manchmal sind wir nicht mal drei Meilen von der Küste entfernt, wenn uns die israelische Marine stellt und wieder zurücktreibt«, sagt Nizar Ayash. »Wir Fischer sind Teil des Volkes«, erklärt Ayash weiter, »und wir werden dafür sorgen, daß man überall auf der Welt unsere Stimmen hört, bis unser Leiden ein Ende hat!«

Die Benzinknappheit trifft alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen. Fahrzeuge jeder Art, auch Krankenwagen, stehen still, Waren erreichen ihre Bestimmungsorte nicht und wenn doch, dann sind sie unbezahlbar.

UN-Organisation behindert

Die Vereinigung palästinensischer Tankstellenpächter fordert von den israelischen Behörden die Zuteilung von Benzinkontingenten, damit wenigstens die Grundbedürfnisse der 1,5 Millionenn Einwohner von Gaza befriedigt werden können. Doch die Verantwortlichen in Israel erlauben fast ausschließlich die Belieferung des Elektrizitätswerkes. Entgegen dem 2005 überall propagierten »Rückzug« aus den illegalen Siedlungsgebieten, bleibt der Gazastreifen durch die Blockade faktisch weiterhin besetzt, und der Flughafen, die Grenzübergänge und die Küste werden vom israelischen Militär kontrolliert. Israel überwacht den gesamten Luftraum über Gaza und alle Lebensadern. Importe und Exporte einschließlich Lebensmittel, medizinischen Gütern und Gerätschaften aller Art dürfen nur den Grenzübergang Nahal Ozz passieren.

Internationale und israelische Menschenrechtsorganisationen drängen die israelische Regierung, die Benzinlieferungen in den Gazastreifen wieder aufzunehmen. »Die gegenwärtige Situation stellt eine unmittelbare Bedrohung der Gesundheit und des Wohlergehens der Bevölkerung des Gazastreifens dar«, lautet die Kritik einer gemeinsamen Resolution von acht UN-Gremien. »Die Arbeit der UN-Organisationen in Gaza wird (durch die Benzinknappheit) aufs Äußerste erschwert. Vor allem sind Schulen, Einrichtungen des Gesundheitswesens und die Versorgung mit Lebensmitteln davon betroffen«, heißt es in der Erklärung weiter.

[Übersetzung Jürgen Heiser]

* Aus: junge Welt, 9. Mai 2008


Zurück zur Palästina-Seite

Zur Israel-Seite

Zur Gaza-Seite

Zurück zur Homepage