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Und ich bin eine Königin

Während Israel in Ostjerusalem die Besetzungs- und Blockadepolitik fortsetzt, kämpfen palästinensische Frauen auf ihre Art, für ein besseres Leben

Von Antonia Blau *

Umm Ashraf raucht Zigaretten, hat eine tiefe Stimme, spricht und lacht laut und viel. Als 50jährige hat sie in Rantis eine Kooperation gegründet, in der Frauen mit traditioneller Handarbeit Geld verdienen und so ihre Familien und das ganze Dorf ernähren. Sie ist 1947 in Rantis geboren, einem Ort in den palästinensischen Gebieten, der im Norden von Ramallah, heute nur kurz vor der Grenze zu Israel, liegt. Bei schönem Wetter kann man die Hochhäuser von Tel Aviv, den Flughafen Ben Gurion und manchmal sogar das Meer sehen.

Die 63jährige ist so alt wie die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser aus Israel. Sie sitzt in einem großen Sessel in ihrem hellen Steinhaus unweit der Straße, die zum Checkpoint Qalandia und den dahinterliegenden arabischen Stadtteilen von Ostjerusalem führt. Dort war sie seit Jahren nicht mehr – wie die meisten Palästinenser der Westbank, die nur schwer eine Erlaubnis bekommen, auf die israelische Seite der Mauer zu gelangen. Im Garten blühen die Obstbäume, auf die sie sehr stolz ist; im Wohnzimmer mischen sich Zigarettenrauch und der Geruch von frisch gebrühtem arabischen Kaffee. Umm Ashraf hat unendlich viele Stoffe, Decken, Bezüge und Bänder in einer großen Truhe und kann zu fast jedem Muster eine Geschichte erzählen. Dabei sieht sie nicht so aus wie eine Frau, die viel Zeit mit Sticken verbracht hat.

Umm Ashraf hat in Ramallah studiert. Dann heiratete sie und ging mit ihrem Mann nach Kuwait. Dort hatte er eine gute Arbeit gefunden. Erst 19 Jahre später, nach dem ersten Irak-Krieg, kehrte sie nach Rantis zurück. Ihr Vater war alt und krank und wünschte sich, seine Tochter am Ende seines Lebens bei sich zu haben. Kurz bevor er starb, trug er ihr auf, eine Organisation zu gründen, um das Dorf zu unterstützen. Das war 1995. Damals konnten die meisten Männer im Dorf schon nicht mehr legal nach Israel zur Arbeit fahren. Die zunehmenden Straßenblockaden und Checkpoints der Israelis machten bald auch den Weg ins nahe Ramallah unmöglich. Das Dorf verlor den Großteil seiner Ländereien, da es in Zone C der besetzten Gebiete liegt, die nicht nur militärisch, sondern auch administrativ von den Israelis kontrolliert wird.

Als Ashraf in das Dorf ihrer Familie zurückkehrt, findet sie arbeitslose, arme und wütende Bewohner vor. Sie spricht mit den Frauen, die ihr von der Hoffnungslosigkeit der Männer berichten, aber auch von den alltäglichen Dingen, die sie immer noch tun und die sie davor bewahren, den Verstand zu verlieren: Handarbeit, Koch- und Stickkunst.

Mit dem Geld ihres Vaters kauft Ashraf 1997 ein altes Haus und gründet mit zwölf Frauen ihre kleine Kooperation, drei Monate später sind sie schon 35. Sie wählen ein Leitungsgremium, Ashraf wird Vorsitzende. Sie planen, rechnen, kaufen Nadeln und Stoffe in Ramallah, organisieren Basare in der Umgebung. Nicht nur Palästinenser, sondern auch die »Internationalen«, die für die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen in der Westbank arbeiten, sind begeistert. Eine Spanierin schenkt den Frauen eine alte Nähmaschine, die nun nur noch selten funktioniert. Eine Deutsche verbringt mehrere Wochen mit den Frauen und zeigt ihnen, wie man Kissen macht. Und so ernähren nun die Frauen die oft kinderreichen Familien des Dorfes. Umm Ashraf erzählt, wie sie ihre Mitstreiterinnen ermutigt: »Sagt euren Männern, daß es euer Geld ist. Daß ihr etwas für eure Kinder kaufen, die Familie und ihn unterstützen wollt. Es geht ja nicht darum, daß der Mann kein König ist. Aber ich, ich bin eine Königin!«

Umm Ashraf hat viele Ideen, berichtet von Kochkursen, in denen die Frauen lernen, Marmelade zu kochen und zu konservieren. In den nächsten Wochen findet ein Erste-Hilfe-Kurs statt. Mit Unterstützung einer norwegischen Organisation konnte das Haus der Kooperation vor kurzem renoviert werden. Dort sollen Jugendliche aus dem skandinavischen Land untergebracht werden, die während der Olivenernte nach Rantis kommen, um die Dorfbewohner zu unterstützen – auch gegen Angriffe jüdischer Siedler. Denn in der Nähe von Rantis wurden zahlreiche Siedlungen errichtet. Ashraf erzählt von Razzien und israelischen Soldaten, die nachts vor der Moschee des Dorfes mit ihrem Militärjeep halten, stundenlang laute Musik spielen und dazu ins Megaphon brüllen. In dieser brisanten politischen Situation schafft die Arbeit der Frauen eine Kontinuität palästinensischer Kunst und Kultur und eine Art Normalität, kurz: Sie gibt Hoffnung.

* Aus: junge Welt, 15. Oktober 2010


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