Die offene Hamas-Frage
Am Ende des Fatah-Parteitags: Neue Führung mit "recyceltem" Programm?
Von Karin Leukefeld *
Bei der Wahl ihrer neuen Führung hat die palästinensische Fatah einen Generationswechsel vollzogen. Zum Abschluß des ersten Parteitags seit zwei Jahrzehnten am Dienstag (11. August) in Bethlehem waren von den bisherigen, meist älteren Mitgliedern des 23köpfigen Zentralkomitees (ZK) lediglich drei in ihrem Amt bestätigt worden. Unter ihnen befand sich auch Muhammad Ghneim (72), der alte Weggefährte von Yassir Arafat und Mitbegründer von Fatah und der Befreiungsbewegung PLO.
Ghneim erhielt die meisten Stimmen, gefolgt von dem in Israel zu fünfmal lebenslänglicher Haft verurteilten Marwan Barghouti (50). Dieser gilt als führender Kopf der ersten (1987–1993) und zweiten palästinensischen Intifada (2000–2005) gegen Israel. Viele Palästinenser würden ihn gern in der Position von Präsident Mahmud Abbas sehen.
Westliche Medien berichteten teilweise enthusiastisch, die neue Fatah-Führung habe »Hoffnung auf Frieden« geweckt, die neuen Funktionäre seien pragmatisch, sprächen Hebräisch und hätten Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Israel. Offen ist indes, wie die neue Führung ihre Zusammenarbeit mit anderen palästinensischen Organisationen gestalten wird. Von einer »neuen Zukunft« sprach Mohammed Dahlan (48), der neu ins Zentralkomitee gewählt wurde. Vor allem müßten die Beziehungen zur palästinensischen Hamas geklärt werden, so Dahlan. Doch entspricht die Zukunft, für die der frühere Fatah-Chef im Gazastreifen steht, vermutlich nicht dem demokratischen Aufbruch, wie ihn große Teile der Bevölkerung wünschten. Dahlan werden enge Verbindungen zu Israel und zu Geheimdiensten verschiedener Couleur nachgesagt. In den vergangenen Jahren war für ihn die Hamas ein größeres Sicherheitsproblem als die israelische Besatzung.
Sein Bruder im Geist ist das neu gewählte ZK-Mitglied Dschibril Radschub, früherer Arafat-Sicherheitsberater und bekannt für sein hartes Vorgehen gegen die Hamas in der Westbank. Ebenfalls aus dem Sicherheits- und Geheimdienstmilieu kommt das ZK-Mitglied Tawfik Tirawi. Der langjährige palästinensische Unterhändler Sajeb Erakat, der ebenfalls einen Sitz in der Führung erhielt, machte deutlich, worum es dem Zentralkomitee zukünftig gehen müsse. Ein großer Teil der Welt warte darauf, daß die »gemäßigten Palästinenser ihre Autorität stärken« und wieder die Kontrolle über den Gazastreifen erlangten.
Die neue Fatah-Führung solle »Fehler ihrer Vorgänger vermeiden« und die nationale Einheit wieder herstellen, kommentierten Sprecher der Hamas die Wahlen. Mahmud Sahar äußerte die Hoffnung auf Dialog, Fawzi Barhoum meinte, die neue Führung werde daran gemessen, »wie weit sie an den Rechten des palästinensischen Volkes festhält, (…) und an ihrem Einsatz für die palästinensische Einheit«.
Nach Ansicht des libanesischen Journalisten Rami Khoury »recycelt« das auf dem siebentägigen Parteikongreß verabschiedete, vielfach gepriesene Programm lediglich altbekannte Positionen von Fatah und PLO. Seit 40 Jahren dominiere die Partei die palästinensische Politik und habe gezeigt, daß sie »weder in der Lage ist, Krieg zu führen noch Frieden zu machen«. Das Erstarken der Hamas sei eine direkte Antwort der Palästinenser darauf gewesen. Es zeige die feste Entschlossenheit der Bevölkerung, sich sowohl der israelischen Besatzung als auch der »Komplizenschaft« zu widersetzen.
* Aus: junge Welt, 13. August 2009
14 Neue im Zentralkomitee
Fatah: Veränderungen in der Führung - und auch in der Politik?
In der palästinensischen Fatah-Bewegung hat künftig eine neue Generation
von jüngeren Politikern die Mehrheit. Nach der ersten Neuwahl der
Führung seit 20 Jahren gehören nur noch vier der 18 Mitglieder des
Zentralkomitees der alten Garde um Präsident Mahmud Abbas an, die vom
Exil im Ausland geprägt wurde. 14 jüngere Funktionäre, die vielfach die
besetzten Gebiete nie verlassen haben, wurden erstmals in das Gremium
gewählt.
»Mit dieser Wahl gibt es eine neue Zukunft für die Bewegung«, sagte der
ehemalige Sicherheitschef im Gazastreifen, Mohammed Dahlan, eines der
neu gewählten Führungsmitglieder. Ebenfalls mit dabei ist der 50jährige
Marwan Barghouti, der in Israel inhaftiert ist und für die
Abbas-Nachfolge als Präsident des palästinensischen Autonomierats im
Gespräch ist. Der ehemalige Berater des verstorbenen Fatah-Chefs Yassir
Arafat, Dschibril Radschub, sprach von einem »Schlag gegen eine Führung,
die die Bewegung viel zu lange monopolisiert hat«.
»Neue, pragmatische Politiker« hätten jetzt das Sagen, kommentierte ein
AP-Korrespondent aus Bethlehem. Und der langjährige Unterhändler Sajeb
Erakat, der ebenfalls ins ZK gewählt wurde, meinte, nunmehr warte »ein
großer Teil der Welt« darauf, daß »die gemäßigten Palästinenser ihre
Autorität stärkten und wieder die Kontrolle über den Gazastreifen erlangte«.
Die frisch gewählten Politiker hätten »oftmals jahrelang in israelischen
Gefängnissen« gesessen, »aber auch mit Israelis zusammengearbeitet«. Sie
sprechen Hebräisch, und mit ihnen »wächst wieder die Hoffnung auf
Frieden im Nahen Osten«, so AP-Korrespondent Steven Gutkin.
Aus: junge Welt, 11. August 2009
Abbas läßt sich feiern
Fatah-Kongreß in Bethlehem bestätigt Vorsitzenden. Kritik an Vetternwirtschaft und Korruption abgebügelt. Hamas fordert Gefangenenfreilassung
Von Karin Leukefeld **
Ohne Gegenkandidaten ist Mahmud Abbas am Wochenende als Vorsitzender der
Palästinenserorganisation Fatah bestätigt worden. Die Wiederwahl
erfolgte per Handzeichen, dann wurde Abbas von den Delegierten mit
stehenden Ovationen gefeiert. Der emotional inszenierte Augenblick
zeigte eine seltene Einigkeit der mehr als 2000 Fatah-Delegierten, die
seit sechs Tagen über die Zukunft der Organisation streiten.
Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri im Gazastreifen betonte indes, die
Wiederwahl von Abbas durch die Fatah zeige, daß deren »politischer
Kollaps« nicht aufzuhalten sei.
Der Wiedergewählte versprach »Wandel« in der Fatah und beschwor die
Delegierten, den Kongreß für einen »Neuanfang« zu nutzen. »In unserer
Geschichte haben wir viele Neuanfänge und Rückschläge erlebt«, rief er
nach seiner Bestätigung in Bethlehem aus. »Manchmal standen wir am Rand
des Abgrunds - aber wir sind immer wieder gestärkt aus der Krise
hervorgegangen.« Vor allem die jüngeren Fatah-Mitglieder sehen ihre
Partei derzeit allerdings eher geschwächt. Schließlich verlor die Partei
bei den Wahlen 2006 nicht nur ihre Führungsposition an die Hamas, nach
einem gewaltsam ausgetragenen Machtkampf im Gazastreifen ist ihr Einfluß
auch dort weitgehend verschwunden. Kritisiert wird ebenso die
Vermischung von Ämtern der alten Fatah-Führungsriege mit
Regierungsposten in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA).
Besonders scharf werden Vetternwirtschaft und Korruption der »alten
Garde« kritisiert, die zum Parteitag weder einen politischen noch einen
finanziellen Rechenschaftsbericht vorlegte. Kritik der Delegierten daran
wurde mit der Bemerkung abgebügelt, die zweistündige Eingangsrede von
Mahmud Abbas sei als Rechenschaftsbericht zu werten. Abbas wird zudem
mangelnde Bereitschaft zur Versöhnung mit der Hamas vorgeworfen. Der
Konflikt zwischen beiden Parteien war auch während des Kongresses
präsent, da Fatah-Delegierte aus dem Gazastreifen von der Hamas an der
Ausreise gehindert worden waren.
Die Hamas hatte von der Fatah die Freilassung ihrer Gefangenen in der
Westbank gefordert, bevor die Fatah-Delegierten ausreisen dürften. Statt
dessen verschärfte die Fatah die Repression. Das Palästinensische
Informationszentrums (PIC) berichtete, daß seit Beginn des Kongresses 42
Hamas-Mitglieder und Unterstützer in Ramallah und Al-Khalil festgenommen
worden sind, darunter ein Schriftsteller, ein Journalist, ein
stellvertretender Bürgermeister sowie Lehrer und Mitarbeiter des
Gemeinderates. Mustafa Barghouti, Informationsminister der kurzlebigen
palästinensischen Regierung der nationalen Einheit 2007, kritisierte
beide Seiten für das repressive Vorgehen.
Die Neuwahlen zum Zentralkomitee und zum Revolutionsrat der Partei
sollten am Sonntag morgen beginnen. Ein Delegierter äußerte sich
gegenüber dem Nachrichtensender Al Dschasira optimistisch. »Mindestens
die Hälfte der Mitglieder im Zentralkomitee und dem Revolutionsrat
werden neu gewählt«, meinte er. Abbas Zaki, der sowohl die Fatah als
auch die PLO im Libanon vertritt, sagte, 100 Kandidaten würden sich für
die 21 Sitze im ZK und 646 Kandidaten für die 120 Sitze im
Revolutionsrat bewerben. Unter den Kandidaten für das Zentralkomitee ist
auch der vor allem bei der Jugend beliebte Marwan Barghouti, der in
israelischer Haft sitzt und für eine Versöhnung mit der Hamas eintritt.
Als deren erklärte Gegner gelten hingegen zwei andere Kandidaten, die
von vielen abgelehnt, aber wohl dennoch in das ZK einziehen werden:
Jibril Rajub koordiniert Geheimaktionen gegen die Hamas in der Westbank,
und Mohammed Dahlan wird als Fatah-Sicherheitschef im Gazastreifen für
die Eskalation der Gewalt im Juni 2007 verantwortlich gemacht. Beiden
werden enge Kontakte zu Geheimdiensten in den USA und Israel nachgesagt.
Unklar war am Sonntag (9. Aug.), wie die Fatah-Delegierten aus dem Gazastreifen
sich an den Wahlen beteiligen sollten. Sie selbst hatten gefordert, daß
für sie Plätze in den beiden Gremien freigehalten werden, anderen
Informationen zufolge sollen sie per Handy oder E-Mail abstimmen
können. Verschiedene Quellen berichteten, daß einige namentlich genannte
Fatah-Delegierte in Gaza von Sicherheitskräften der Hamas gedrängt
worden sind, sich nicht an den Abstimmungen zu beteiligen. Der
ursprünglich auf drei Tage angelegte Kongreß wird vermutlich erst am
morgigen Dienstag zu Ende gehen. Von den 18 Arbeitsgruppen, die über
Programm und Struktur der Partei diskutieren sollten, konnten bis zum
Sonntag erst sechs ihre Berichte präsentieren.
** Aus: junge Welt, 10. August 2009
Fatah in alten Gewässern
Von Martin Ling ***
Die palästinensische Fatah ist nur nach außen einig: im legitimen Kampf
gegen die israelische Besatzung und in der Forderung nach einem
Palästinenserstaat. Doch damit werden die internen Strukturprobleme nur
kaschiert. Abgesehen von der Wiederwahl von Mahmud Abbas zum
Vorsitzenden herrscht erbitterter Streit zwischen den verschiedenen
Parteiflügeln. Nach wie vor scheint die alte Garde nicht bereit,
jüngeren und kritischen Geistern nennenswerten Platz in den
Führungsgremien einzuräumen.
Nur eine personell substanziell erneuerte Zusammensetzung des
Zentralkomitees und des Revolutionsrats könnte der Fatah bei der
palästinensischen Bevölkerung neuen Kredit geben. Zusammen mit einem
wegweisenden Programm, wie ein künftiger Palästinenserstaat in seinen
Grundzügen verfasst sein sollte.
Das wäre bitter notwendig, denn für 2010 sind Parlamentswahlen geplant
und bei aller Unzufriedenheit mit der Hamas hat sich an der Kritik an
der Fatah nichts Entscheidendes geändert: Die Fatah-Regierung hat sich
als unfähig erwiesen, die Korruption in den Griff zu kriegen und einen
Friedensprozess in Gang zu bringen, der eine Friedensdividende für die
palästinensische Bevölkerung abwirft. Der ist zwar mit der jetzigen
israelischen Rechtsregierung ohnehin kaum denkbar. Umso wichtiger wäre
dafür ein Zeichen der Stärke statt von Zerstrittenheit gewesen.
*** Aus: Neues Deutschland, 10. August 2009 (Kommentar)
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