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Fatah in der Verlängerung

Streit auf dem Parteitag um Personen und Inhalte geht weiter. Ende offen

Von Karin Leukefeld *

Das Ende des sechsten Fatah-Kongresses war für Donnerstag (6. August) vorgesehen. Doch hielt der Streit in Bethlehem um die anstehenden Wahlen zum Zentralkomitee (21 Sitze) und dem Revolutionsrat (120 Sitze) am Abend an. Eine Verlängerung des ursprünglich auf drei Tage Dauer ausgelegten Parteitages bis zum Wochenende wurde ins Auge gefaßt. Ob damit die innerparteilichen Turbulenzen, die den bisherigen Verlauf geprägt hatten, beigelegt werden können, bleibt zweifelhaft.

Am Donnerstag ging es erneut handfest zur Sache: »Reformanhänger« warfen dem amtierenden Vorsitzenden Mahmud Abbas vor, die Stimmabgabe zu den Führungsgremien manipulieren zu wollen. 400 Delegierte, die per Fernschaltung aus dem Gazastreifen wählen sollten, forderten zudem eine Quote in den zu wählenden Gremien. Weiterhin wurde kritisiert, daß die Parteiführung bisher keinen Finanzbericht vorgelegt hat.

Dabei hatte sich Abbas zunächst selbstkritisch geäußert. »Stillstand im Friedensprozeß, Verhaltensweisen, die in der Öffentlichkeit nicht akzeptiert werden, politische Schwäche, schlechte Disziplin und mangelhafte Verbindung zum Puls der Straße« hatte Abbas vor 1900 Delegierten eingeräumt. Die Fehler seien bei den Wahlen 2006 abgestraft worden und hätten die zweite Palästinenserorganisation, die islamische Hamas, gestärkt. Abbas, der auch amtierender Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ist, führt die Fatah (Sieg, Befreiung) seit dem Tod von Yassir Arafat 2004. Der letzte Parteitag, der in Tunis stattfand, liegt zwanzig Jahre zurück.

Der Veranstaltungsort war umstritten, weil Delegierte aus dem Exil die israelischen Grenzkontrollen passieren mußten. Dem militärischen Fatah-Führer im Libanon, Munir Maqdah, wurde die Einreise von Israel verweigert. Delegierte aus dem Gazastreifen ließ die Hamas nicht ausreisen, weil Fatah inhaftierte Mitglieder der Organisation nicht freiließ. Parteigründer Faruk Khaddoum, der in Tunesien im Exil lebt, warf der Führung Vetternwirtschaft und Korruption vor. Khaddoum hatte auf einem Veranstaltungsort außerhalb der besetzten palästinensischen Gebiete beharrt und war nicht nach Bethlehem gekommen.

Die enge personelle Verknüpfung von Parteifunktionen mit PA-Regierungsämtern sehen viele Palästinenser als Ursache der Vetternwirtschaft. Der Politikprofessor Abdul-Sattar Qassem von der Nationalen An-Najah-Universität in Nablus macht zudem die ausländische Unterstützung von Fatah und PA für Fehler und Unglaubwürdigkeit verantwortlich. Beide Organisationen könnten ohne die Gelder aus den USA und Europa gar nicht bestehen, sagte Qassem in einer Sondersendung zum Parteikongreß im Nachrichtensender Al Dschasira. Die mit diesem Geld ausgebildete palästinensische Polizei kooperiere mit der Besatzungsmacht und werde als deren Hilfspolizei wahrgenommen. Eine Bedingung für den Geldfluß der westlichen Bündnispartner Israels sei zudem, nicht mit der Hamas zu kooperieren. Dadurch werde jede Ankündigung, sich für die palästinensische Einheit einzutreten, wertlos.

Verbal machte sich der 74jährige Abbas, der erneut für den Parteivorsitz kandidiert, für einen »Neuanfang« stark, um »Befreiung und Unabhängigkeit zu erreichen«. Die Palästinenser sollten in Zukunft weniger die Waffen als vielmehr »andere Formen des Widerstands« einsetzen. Gleichwohl bleibe der bewaffnete Kampf gegen die Besatzung legitim. Doch der anhaltende Siedlungsausbau in der Westbank und Ostjerusalem, der Ausbau der Mauer und die israelischen Sperranlagen haben die politische Glaubwürdigkeit von Mahmud Abbas und der Fatah-Führung geschwächt.

Markige Worte im vorgelegten Programmentwurf, wonach die Fatah »entschlossen die Initiative in den Friedensgesprächen zurückerobern« will und ohne Siedlungsstopp keine Gespräche mit Israel führen und es als »jüdischen Staat« nicht anerkennen werde, hörten viele Delegierten zwar gern, meinten aber, daß nur eine radikale Verjüngung der Parteiführung solche Positionen befördert. Ihr Wunschkandidat für den Vorsitz wäre Marwan Barghouti. Doch der frühere Leiter der Fatah-Jugendorganisation und Hauptorganisator der Intifada sitzt in israelischer Haft.

* Aus. junge Welt, 7. August 2009


Fatah-Parteitag wird verlängert

Schwere Streitigkeiten innerhalb der Palästinenserorganisation **

Wegen schwerer interner Streitigkeiten ist der Parteitag der Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in die Verlängerung gegangen. Die ursprünglich für Donnerstagabend geplante Wahl einer neuen Führung verschob sich um mindestens einen Tag. Die zunächst nur für drei Tage angesetzte Versammlung soll jetzt an diesem Freitag weitergehen. Es ist der erste Parteitag der Fatah seit 20 Jahren.

Die Delegierten entschieden unterdessen, die Todesumstände des vor fünf Jahren gestorbenen Palästinenserpräsidenten Yasser Arafat müssten erneut untersucht werden. Die Delegierten billigten einen entsprechenden Vorschlag von Arafats Neffen Nasser al-Kidwa. Israel trage die volle Verantwortung für seinen Tod, die Untersuchung dürfe zeitlich nicht begrenzt sein und müsse mit internationaler Hilfe geführt werden, hieß es in der Entscheidung.

Zuvor war es unter anderem zum Streit über die künftige Vertretung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen in der Führungsriege gekommen. Delegierte aus dem Gaza-Streifen fordern eine Ein-Drittel-Repräsentanz unter den gewählten Mitgliedern des Zentralkomitees und des Revolutionsrates. Dem wollten Delegierte aus dem Westjordanland nicht zustimmen. Zur Wahl stehen 18 von 21 Posten im Zentralkomitee und 70 von 120 Mitgliedern im Revolutionsrat. Die restlichen Posten werden nach den Wahlen durch Ernennung besetzt.

Die Entscheidung für eine Untersuchung von Arafats Tod folgte auf Vorwürfe eines Rivalen von Abbas, wonach dieser mit dem ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon gemeinsam die Ermordung Arafats geplant habe. Der Palästinenserführer war am 11. November 2004 in einem Krankenhaus bei Paris gestorben. Vorwürfe, Israel habe ihn vergiftet, ließen sich damals nicht untermauern. Abbas' Gegner Faruk al-Kaddumi, Mitglied des PLO-Exekutivkomitees, hatte vorigen Monat ein Protokoll eines angeblichen Treffens zwischen Abbas, Ex-Geheimdienstchef Mohammed Dahlan und Scharon vorgelegt.

Die Delegierten des Kongresses befassten sich auch mit der Frage, warum die von Arafat gegründete Fatah in den vergangenen Jahren einen solchen starken Machtverlust erlebt hat.

** Aus: Neues Deutschland, 7. August 2009


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