Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Versöhnung ist ein sehr wichtiger Schritt"

In Palästina wollen Fatah und Hamas künftig an einem Strang ziehen. Staatsgründung nach der Sommerpause? Gespräch mit Udo Steinbach *


Prof. Dr. Udo Steinbach war von 1976 bis 2006 Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Er lehrt heute an den Universitäten Marburg und Hamburg. [Am spricht Udo Steinbach im Rahmen der Friedensvorlesungen an der Uni Kassel zum Thema: "Die arabische Welt und der türkische Entwicklungsweg. Gemeinsames und Trennendes"

Vermittelt durch Ägypten haben sich am Mittwoch (27. April) die bislang verfeindeten palästinensischen Gruppierungen Hamas und Fatah darauf geeinigt, sich zu versöhnen. Ist das wirklich der Paukenschlag in der Nahostpolitik, wie es diverse Medien kommentieren?

Man sollte sich in seinem Urteil ein wenig zurückhalten – wir haben schon mehrfach erlebt, daß weitreichende Annäherungen am Ende doch gescheitert sind. Dennoch: Diese Versöhnung ist ein sehr wichtiger Schritt. Und mit Blick auf die gegenwärtige Lage in Palästina und im gesamten arabischen Raum halte ich es für wahrscheinlich, daß die jetzt getroffenen Vereinbarungen auch halten.

Die Gemeinsamkeiten sind also stärker als die Differenzen?

Noch einmal: Skepsis ist durchaus angebracht, aber auch Optimismus. Schauen wir uns Gaza an, wo die Hamas bislang das Sagen hatte. Diese Bewegung wird unübersehbar von zwei Seiten herausgefordert: Zum einen von der breiten Öffentlichkeit, die die Wiedervereinigung der Palästinenser wünscht, dafür auf die Straße gegangen ist und durchaus hat erkennen lassen, wie sehr sie die Hamas-Herrschaft leid ist. Zum anderen durch extremistische Gruppen, die das Heft in die Hand nehmen könnten, um jede Wiederannäherung der Palästinenser und damit auch jede Chance auf Verhandlungen mit Israel zu blockieren.

Hinzu kommt die veränderte Situation im arabischen Raum, die neue Chancen bietet, Israel unter Druck zu setzen. Es ist durchaus möglich, daß nach der Sommerpause ein palästinensischer Staat ausgerufen wird, der wahrscheinlich von einem großen Teil der internationalen Gemeinschaft anerkannt würde.

Sie sehen also diese Versöhnung als Schritt zur Gründung eines Palästina-Staates?

Ich glaube, daß es genau das ist, was die Palästinenser anstreben. Sie wollen einen neuen Einstieg in den Friedensprozeß.

Israel scheint einen solchen Staat aber gar nicht zu wollen ...

Das ist das Problem, deswegen müssen die Palästinenser ihn selber schaffen.

Die israelische Regierung macht den Eindruck, als sei sie mit dieser Versöhnung auf dem falschen Fuß erwischt worden. Ist die geäußerte Ablehnung von Verhandlungen mit einer eventuellen neuen Regierung von Hamas und Fatah ernst gemeint oder nur ein erster Reflex?

Das ist ernst gemeint. Es sind die gleichen Argumente wie 2006, als Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Verhandlungen mit Palästina abgelehnt hatte, weil die Hamas an der Regierung beteiligt war. Der Unterschied ist jedoch, daß sich die öffentliche Meinung inzwischen weltweit zugunsten der Hamas und des Projekts der Bildung eines Palästinenserstaates geändert hat. Es gibt sich kaum noch jemand der Illusion hin, daß von dieser israelischen Regierung Friedensimpulse ausgehen könnten. Ich glaube, das gilt mittlerweile sogar für die deutsche Bundesregierung.

Südwestlich von Israel wurde das Marionettenregime von Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak gestürzt – die Palästinenser haben sich jetzt im Osten geeinigt. Fühlt sich Israel nicht in die Zange genommen?

Die Israelis machen gar keinen Hehl daraus, daß sie das alles gar nicht gut finden. Mubarek war sicherlich der beste Spezi Netanjahus, er war ständig zu Kompromissen auf dem Rücken der Palästinenser bereit. Die neue Regierung Ägyptens steht dafür offensichtlich nicht mehr zur Verfügung.

Sie beobachten seit Jahrzehnten alle Facetten der Nahostpolitik. Wie wird Ihrer Ansicht nach Israel reagieren? Einlenken, oder – was man von Israel eigentlich gewöhnt ist – zum Rundumschlag ausholen?

Ein Rundumschlag ist im Augenblick schwer zu erkennen. Für Israel sind die USA noch immer die Garantiemacht, von der man glaubt, sich auf sie verlassen zu können. Ob das wirklich so ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen, immerhin steht ein Nahostbesuch von US-Präsident Barack Obama bevor. Ein andererer Schlüsselakteur für Israel ist die Europäische Union. Netanjahu ist bestimmt der Meinung, die deutsche Bundesregierung im Sack zu haben – schließlich hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versichert, der Ausrufung eines Palästinenserstaates nicht zustimmen zu wollen. Wenn diese Machtkonstellation so bleibt, wird Netanjahu keine Veranlassung sehen, einzulenken.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, 29. April 2011

Israel droht

Netanyahu zum Versöhnungsabkommen zwischen PA und Hamas

Israels Ministerpräsident Binyamin Netanyahu hat sich am Mittwoch zu dem angekündigten Versöhnungsabkommen zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und der Hamas geäußert.

„Die Palästinensische Autonomiebehörde muss sich zwischen einem Frieden mit Israel und einem Frieden mit der Hamas entscheiden. Frieden mit beiden ist unmöglich, da die Hamas die Zerstörung des Staates Israel anstrebt und dies öffentlich erklärt. Sie feuert Raketen auf unsere Städte ab; sie feuert Panzerabwehrraketen auf unsere Kinder ab.

Ich denke, allein die Idee dieser Aussöhnung zeigt die Schwäche der Palästinensischen Autonomiebehörde und gibt zu der Frage Anlass, ob die Hamas die Herrschaft über Judäa und Samaria übernehmen wird wie sie die Herrschaft über den Gaza-Streifen übernommen hat.

Ich hoffe, dass sich die Palästinensische Autonomiebehörde richtig entscheidet, d.h. dass sie den Frieden mit Israel wählt. Diese Entscheidung liegt in ihren Händen.“

(Amt des Ministerpräsidenten, 27.04.11)

Auch Israels Präsident Shimon Peres zeigte sich besorgt ob des neuen Schulterschlusses zwischen Fatah und Hamas. Zwar wünsche er dem palästinensischen Volk Einigkeit, doch müsse dies eine Einigkeit im Frieden sein. Würde die Palästinensische Autonomiebehörde mit einer Terrororganisation Hand in Hand gehen, wären damit ein Rückschritt im Friedensprozess und eine Verhinderung palästinensischer Staatlichkeit impliziert.

Außenminister Avigdor Lieberman bemerkte, mit der Aussöhnung sei eine rote Linie überschritten; schließlich werde die Hamas vom Nahostquartett seit 2003 als Terrororganisation definiert. Nun sei zu befürchten, dass Hunderte von aus der Haft befreiten Hamas-Terroristen das Westjordanland überschwemmen würden. Die israelische Armee müsse sich darauf vorbereiten.

(Haaretz, 28.04.11)

Barak: Hamas ist eine mörderische Terrororganisation

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hat sich am Donnerstag skeptisch zu der geplanten Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung von Fatah und Hamas geäußert.

„Die Hamas ist eine mörderische Terrororganisation, die Raketen auf Zivilsten abfeuert und jüngst einen Schulbus mit einer Panzerabwehrrakete beschossen hat. Dies ist eine Organisation, mit der es nichts zu verhandeln gibt, und daher führen wir keine Gespräche mit ihr“, so Barak.

Mit einer palästinensischen Einheitsregierung könne Israel nur verhandeln, wenn die Hamas dem Terror abschwören, die Terrorstrukturen zerschlagen und die Bedingungen des Nahostquartetts, also auch die früheren Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern akzeptieren würde: „Nur unter diesen Bedingungen wäre mit der Hamas zu verhandeln. Ich sehe noch nicht, dass dies passieren wird.“

Zuvor hatten sich bereits Israels Präsident Shimon Peres, Ministerpräsident Binyamin Netanyahu und Außenminister Avigdor Lieberman kritisch zu der innerpalästinensischen Aussöhnung geäußert.

(Haaretz, 28.04.11)

** Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 28. April 2011 und 29. April 2011



Bruderzwist beendet?

Von Roland Etzel ***

Es ist sicher verfrüht, bereits von einer Versöhnung zwischen den beiden großen, bisher so erbittert rivalisierenden Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas zu sprechen. Dazu sind die Verletzungen zu groß, die sie sich gegenseitig zugefügt haben, seit die Fatah nur noch auf der Westbank herrscht, so wie ihr Pendant in Gaza. Doch von herrschen konnte keine Rede sein. Die Hamas ist im Gaza-Streifen faktisch eingemauert, die Fatah zwar von Israel formal respektiert, jedoch durch immer neuen Landraub, genannt Wohnungsbau, auf ihrem Gebiet von Israel aufs Äußerste gedemütigt. Der Bruderzwist minderte die politische Bedeutung beider noch dazu erheblicher, als es sich beide bislang wohl eingestehen wollten.

Da war neues Denken vonnöten, bei Fatah wie Hamas. Die Zeitenwende in Ägypten, das unter Mubarak beim Einmauern von Gaza Israel wunschgemäß zur Hand gegangen war, hat den bislang Verfeindeten die Chance zu gesichtswahrendem Neuanfang eröffnet. Unter dem Druck der Erwartungen der übergroßen Mehrheit der Palästinenser sind nun offenbar beide dazu entschlossen.

Das argwöhnt zumindest die israelische Regierung. Sie fürchtet es geradezu. Warum sonst droht sie, die Fatah habe sich zu entscheiden zwischen Frieden mit der Hamas oder Frieden mit Israel? Die arabische Renaissance hat Israels Wagenburg-Mentalität wohl eher verhärtet als gemäßigt.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. April 2011

Hier geht es zum Dokument:

Text of the Agreement between Fatah und Hamas
Die Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas im Wortlaut (englisch) (Mai 2011)




Zurück zur Palästina-Seite

Zur Gaza-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage