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"Immer mehr Palästinenser wollen die Einheit"

Saleh Zeidan über Perspektiven, die Spaltung zwischen den Bewegungen Fatah und Hamas zu überwinden *


Saleh Zeidan ist Mitglied des Politbüros der DFLP (Demokratische Front zur Befreiung Palästinas). Im Jahr 2007 war er als Sozialminister Mitglied der Palästinensischen Autonomiebehörde. Über den Gaza-Konflikt und Auswirkungen der Revolutionen in der arabischen Welt auf die Situation der Palästinenser sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Aert van Riel.

ND: In den vergangenen Tagen eskalierte die Gewalt zwischen Palästinensern in Gaza und der israelischen Armee. Nun haben sich Israel und Hamas zu einer Waffenruhe bereiterklärt. Kann diese von Dauer sein?

Zeidan: Ein Waffenstillstand ist unbedingt notwendig. Dieser muss aber auch mit Bemühungen verbunden werden, die Belagerung des Gaza-Streifens zu lockern, um die Situation wieder befrieden zu können.

Was halten Sie von der Forderung der Arabischen Liga, eine Flugverbotszone über dem Gaza-Streifen zu verhängen?

Das halte ich für angebracht. Wir brauchen eine internationale Einmischung, um die Zivilbevölkerung vor militärischen Angriffen zu schützen. Ein Flugverbot wäre dabei aber nur ein Aspekt. Denn israelische Militäraktionen werden auch mit Panzern und Infanterie durchgeführt. Auch vom Meer aus werden palästinensische Gebiete beschossen. Der Schutz der Bevölkerung darf sich nicht nur auf Gaza beziehen, sondern muss auf die Westbank ausgeweitet werden. Denn auch hier sind Palästinenser den Schikanen durch israelische Bodenkräfte ausgesetzt.

Israel begründet seine Militäraktionen damit, seine Bevölkerung vor Angriffen aus dem Gaza-Streifen schützen zu wollen.

Das Vorgehen der israelischen Armee ist jedoch unverhältnismäßig. Im Gaza-Krieg 2008/2009 wurden 1400 Bewohner des Gaza-Streifens getötet und 5000 Menschen verletzt. Die Vereinten Nationen haben bestätigt, dass 90 Prozent der Opfer Zivilisten waren. Dagegen hatten die Israelis 14 Tote zu beklagen, darunter vier Zivilisten. Auch im derzeitigen Gaza-Konflikt wurden keine Israeli getötet, aber 18 Palästinenser. Die Israelis begründen ihren massiven Militäreinsatz mit Abschreckung. Die Folge ist eine Terrorisierung der Zivilbevölkerung. Viele Bauern in Gaza dürfen nicht arbeiten, weil sie ständig unter der Bedrohung stehen, beschossen zu werden. Auch zahlreiche Fischer werden daran gehindert, in weiten Teilen der palästinensischen Hoheitsgewässer zu fischen. Diese Menschen sind in ihrer Existenz bedroht.

Stehen einer friedlichen Lösung nicht sowohl die Hardliner-Politik der Rechtsregierung in Israel als auch die im Gaza-Streifen regierende Hamas, die Israel nicht anerkennen will, entgegen?

Nach den Gesprächen von 2005 in Kairo und in dem gemeinsamen Papier der Regierung der Nationalen Allianz hat Hamas einer Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 mit der Hauptstadt Jerusalem zugestimmt. Das größte Hindernis für den Friedensprozess sehe ich dagegen auf Seiten der derzeitigen israelischen Regierung, die in Allianz mit den Siedlern jegliche Verhandlungen blockiert.

Wie sind die Beziehungen Ihrer Partei, der DFLP, zu Hamas und Fatah?

Wir waren Teil der Regierung der Nationalen Allianz 2007 und hatten gehofft, dass daraus eine Regierung der Nationalen Einheit entstehen könnte. Wir sind gegen die Spaltung von Hamas und Fatah, die im Juni 2007 auch durch militärische Operationen erzwungen wurde. Wir haben seitdem eine Reihe von Initiativen ergriffen, um die nationale Einheit wiederherzustellen. Durch Demonstrationen und Streiks konnte Druck ausgeübt werden, um alle wieder an einen Tisch zu bringen, bis dies tatsächlich im Februar 2009 zustande kam.

Nehmen wir den Fall an, die DFLP nimmt wieder an einer Regierung, die von Fatah und Hamas dominiert wird, teil. Inwieweit gibt es in einer solchen Regierung Perspektiven für die sozialistischen Ziele der DFLP?

Das erste Ziel einer solchen Regierung müsste die Vorbereitung von Wahlen sein. Wir brauchen eine Erneuerung auf demokratischer Basis. Und eine gewählte Regierung ist demokratisch legitimiert. Dann wäre ein Plan möglich, um die Besatzung zu beenden und einen Palästinensischen Staat zu gründen. Die Demokratische Front setzt sich dabei für Demokratie und Unabhängigkeit sowie für die Bewahrung der Rechte und Interessen der arbeitenden Menschen in ihrem Kampf um bessere Daseinsbedingungen ein.

Welche Perspektiven sehen Sie durch die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt für die Palästinenser?

Wir haben uns von Anfang an neben anderen linken Gruppen mit der Jugendbewegung in Ägypten und mit den Bewegungen der arabischen Völker für Demokratie und Menschenrechte solidarisiert. Ich glaube, dass diese einen positiven Einfluss auf den Kampf des palästinensischen Volkes für eine gerechte Lösung der palästinensischen Frage haben werden. Wir brauchen mehr Demokratie, also mehr Beteiligung der Menschen am politischen Geschehen. Ich bin überzeugt, dass Regierungen in der arabischen Welt, die stärker in der Bevölkerung verankert sind, auch stärker für die Rechte der Palästinenser eintreten werden, als das bei den autokratischen Regimes der Fall gewesen ist.

Auch in den palästinensischen Autonomiegebieten gab es in den vergangenen Wochen Demonstrationen. Diese scheinen sich aber nicht gegen die herrschenden Fatah oder Hamas zu richten, sondern vielmehr für die Einheit dieser Parteien.

Das ist richtig. Und wir haben den Eindruck, dass diese Bewegung immer stärker wird. Wir erwarten auf diesem Weg, dass alle Beteiligten sich zur Einheit bekennen und der Demokratisierungsprozess der palästinensischen Gesellschaft voranschreitet.

* Aus: Neues Deutschland, 13. April 2011


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