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Der Plan auf der Serviette – ein Bündel Lügen?

Brisante Palästina-Papiere von Fernsehsender Al Dschasira kompromittieren Präsident Abbas

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die Palästinenserbehörde um Präsident Abbas soll bei Gesprächen mit Israel große Zugeständnisse in Jerusalem angeboten haben. Jetzt muss er sich gegen den Vorwurf des Ausverkaufs der palästinensischen Sache verteidigen.

1684 Dokumente mit 275 verschiedenen Protokollnotizen, 690 interne E-Mails, 153 Berichte, 134 Vorbereitungspapiere, 64 vorläufige Abkommen, 54 Karten und mehr – das sind die vertraulichen »Palästina-Papiere«, die der arabische Sender Al Dschasira seit Sonntag (23. Jan.) täglich veröffentlicht. (www.english.aljazeera.net) Laut dem Sender handelt es sich um die größte Menge Geheimunterlagen, die jemals über den Nahostfriedensprozess bekannt wurde, dokumentiert werden die Verhandlungen zwischen 1999 und 2010. Im Zentrum der Veröffentlichung stehen die Verhandlungsteams von Israel, den USA und der Palästinensischen Autonomiebehörde, die Unterlagen dokumentieren aber weit über dieses Trio infernale hinaus auch die Rolle der EU und der arabischen Staaten in einem Wust von Verhandlungen, die viele als gescheitert ansehen.

Die Dokumente, die im Laufe dieser Woche von Al Dschasira veröffentlicht werden, betreffen die Annexion von illegalen Siedlungen in Ostjerusalem durch Israel, die Al-Aksa-Moschee, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und die Zusammenarbeit der palästinensischen Sicherheitskräfte mit Israel. Sie sind überwiegend in Englisch, der Verhandlungssprache. Man habe die Unterlagen auf ihre Echtheit überprüft, sagte der Sender, die Quelle werde wegen des sensiblen Themas nicht preisgegeben.

Im Zentrum der ersten Veröffentlichungen steht Jerusalem, dessen Ostteil 1967 von Israel besetzt wurde, das nach dem Völkerrecht aber Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates werden soll. Während Yasser Arafat sich noch im Jahr 2000 bei den Camp-David-Verhandlungen vehement weigerte, Ostjerusalem aufzugeben, sieht das derzeitige palästinensische Verhandlungsteam von Saeb Erekat das anders.

Aus den Unterlagen geht hervor, dass Erekat weitreichende Zugeständnisse an die israelische Seite machte. Demzufolge habe er nichts dagegen, wenn Israel die illegalen Siedlungen in Ostjerusalem annektieren würde, Teile des armenischen Viertels gleich dazu. Der Haram al-Scharif, das Gebiet der Al-Aksa-Moschee, das im Westen allgemein als Tempelberg bekannt ist, könnte einem Gremium oder Komitee unterstellt werden, da müsse man »kreativ sein, wie ich es bin«. Bisher wird die Moschee von einem autonomen islamischen Gremium verwaltet.

Nie zuvor hätten die Palästinenser Israel so weitreichende Vorschläge gemacht, wird ihr früherer Ministerpräsident Ahmed Kureia zitiert. Unter Arafat, der die Verhandlungen bis 2000 geführt hatte, wäre das seiner Meinung nach nie möglich gewesen. Erekat sagte 2008 gegenüber dem US-Vermittler George Mitchell, man habe Israel das »größte Jerusalem der jüdischen Geschichte« angeboten.

Zu den Unterlagen gehört auch eine Serviette, auf der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas 2008 die zukünftigen Grenzen nach einem Austausch von Land skizzierte, wie es ihm von den Israelis vorgeschlagen worden war.

Saeb Erekat bezeichnete in einem Interview mit Al Dschasira das Material als »ein Bündel Lügen«, er habe immer gesagt, dass Ostjerusalem zu Palästina gehöre. Mahmud Abbas sagte, der Sender habe die Texte falsch zugeordnet und führe die Öffentlichkeit in die Irre. Von Seiten der Hamas kam Kritik an der Palästinenserführung. Sie solle sich schämen.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2011


Neue »Palästina-Dokumente« erhöhen Druck auf Abbas **

Die Veröffentlichung neuer brisanter Einzelheiten über die Nahost-Friedensverhandlungen setzt die Palästinenserführung weiter unter Druck. Der arabische Fernsehsender »Al-Dschasira« und die britische Tageszeitung »Guardian« veröffentlichten am Dienstag weitere Details aus rund 1600 Geheimdokumenten, die die Bereitschaft der palästinensischen Unterhändler zu weitreichenden Zugeständnissen zeigen.

Demnach sollen sich die palästinensischen Unterhändler abgefunden haben, dass nur 10 000 der 4,766 Millionen offiziell registrierten palästinensischen Flüchtlinge und Vertriebene nach Israel zurückkehren dürfen. Israels ehemaliger Ministerpräsident Ehud Olmert soll ein entsprechendes Angebot unterbreitet haben. Die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice wird mit der Überlegung zitiert, dass palästinensische Flüchtlinge eine neue Heimat beispielsweise in Argentinien und Chile finden könnten.

Nach anderen Dokumenten soll aus der israelischen Verhandlungsdelegation der Vorschlag gekommen sein, dass im Zuge eines Gebietsaustausches einige in Israel liegende arabische Dörfer an das palästinensische Westjordanland abgetreten werden. Der palästinensische Unterhändler Ahmed Kureia lehnte dies mit den Worten ab: »Alle Araber in Israel werden gegen uns sein«.

Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat bezeichnete Berichte über die Bereitschaft zu Zugeständnissen in der Flüchtlingsfrage als falsch.

** Aus: Neues Deutschland (online), 25. Januar 2011


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