Nomadische Biographie
Zum Tod des palästinensischen Lyrikers und Journalisten Mahmud Darwisch
Von Karin Leukefeld *
Als sich 2004 die Frankfurter Buchmesse dem Thema »Arabische Welt«
widmete, stellte man für Mahmud Darwisch nur ein kleines Zelt bereit, in
dem er lesen konnte. Schon Stunden vor Beginn der Lesungen bildeten sich
lange Schlangen vor dem Eingang, und jedes Mal gab es viele Enttäuschte,
die keinen Platz mehr fanden. »In Deutschland versteht man die Bedeutung
dieses Dichters nicht«, stellte ein Zuhörer fest. Die wenigen Bücher mit
seinen Gedichten wurden in kleinen Verlagen veröffentlicht, die
Übersetzungen mit Landesmitteln oder aus Stiftungen bezuschußt, für die
man sich auf den ersten Seiten artig bedankt.
Mahmud Darwisch hat den Palästinensern eine Stimme gegeben, wie es keine
politische oder militärische Führungsfigur jemals vermochte. »Er ist der
Spiegel des palästinensischen Lebens«, sagt Ali Qleibo,
palästinensischer Anthropologe an der Al-Quds-Universität in Jerusalem.
»Er ist das Wesen unseres palästinensischen Seins«, meint die
palästinensische Parlamentsabgeordnete Hanan Aschrawi. »Seine Lyrik legt
Zeugnis ab«, sagt einer seiner Übersetzer, Ibrahim Muhawi.
Mahmud Darwisch, Dichter und Journalist, Kommunist und Vertriebener,
wurde 1941 als Kind einer sunnitisch-muslimischen Familie in Barweh, in
Galiläa geboren. Seine Biographie spiegelt das nomadenhafte Leben vieler
Palästinenser wider: Im Zuge der Nakba, der Vertreibung 1948, mußte
seine Familie Barweh verlassen, das Dorf wurde später eine jüdische
Siedlung. Darwisch studierte in Haifa, wurde Journalist und trat 1961
der Israelischen Kommunistischen Partei bei. Er wurde verfolgt,
angeklagt und ins Gefängnis gesteckt. Er studierte in Moskau, verließ
Israel und ging nach Beirut, wo er für die PLO arbeitete. 1982
marschierte Israel im Libanon ein, die PLO war gezwungen, das Land zu
verlassen, Darwisch ging nach Zypern. In den folgenden Jahren lebte er
in Tunesien, Jordanien und Frankreich, kehrte schließlich nach Palästina
zurück, nach Ramallah in der Westbank. 1988 verfaßte Darwisch die
offizielle palästinensische Unabhängigkeitserklärung, seinen Posten im
Exekutivrat der PLO (1987--1993) gab er aus Protest gegen das
Oslo-Abkommen 1994/95 zurück. Ein Antrag des israelischen
Bildungsministers Yossi Sarid im Jahr 2000, Gedichte von Mahmud Darwisch
ins israelische Curriculum aufzunehmen, wurde von der Regierung Ehud
Barak abgewiesen. Darwisch kritisierte die israelische Besatzung ebenso
scharf wie in den letzten Jahren die palästinensische Führung. Als es
2007 zu Kämpfen zwischen Fatah und Hamas kam, warf er deren Führungen
vor, »die Palästinenser aufzurufen, in den Straßen Selbstmord zu begehen«.
Schon in jungen Jahren schrieb Darwisch seine ersten Gedichte, rasch
wurde er einer der wichtigsten Dichter des palästinensischen
Widerstandes. Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang, seine Bücher
wurden in 20 Sprachen übersetzt. Das Exil, die Sehnsucht nach Rückkehr
in die Heimat, Wut und Zorn über die israelische Besatzung und das
Schweigen der Welt waren der Stoff, aus dem Darwischs Gedichte
entstanden. Manche, wie »Vögel von Galiläa« und »Ich sehne mich nach dem
Brot meiner Mutter« wurden vertont und von Generationen von
Palästinensern -- und ihren Freunden in anderen Ländern -- zu Hymnen
gemacht. »Ein Gedächtnis für das Vergessen« beschreibt die israelische
Belagerung Beiruts (1982), als israelische Kampfjets und Panzer die
Stadt einen Monat lang fast ständig bombardierten. Noch heute können
nicht nur Palästinenser, sondern auch viele Libanesen, die an der Seite
der PLO kämpften, jede Zeile des Stückes vortragen.
Mahmud Darwisch lebte für Einheit und Gerechtigkeit in Tat und Wort.
Seine Worte waren klar, seine Bilder eindringlich. Sein Herz, mit dem er
Zeile um Zeile über Leben und Tod, Hoffnung und Niederlage, Heimat und
Exil der Palästinenser schrieb, war seine Kraft und gleichzeitig sein
schwacher Punkt. Zweimal war er schon am Herzen operiert worden, Anfang
August brach er zur dritten Operation in die USA auf. Falls etwas
schiefgehen sollte, so hatte er seinen engsten Freunden gesagt, wolle er
nicht reanimiert werden. Am Sonnabend starb Mahmud Darwisch in einem
Krankenhaus in Houston, Texas an Komplikationen nach der Operation.
* Aus: junge Welt, 12. August 2008
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