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"Bis beide Völker den Krieg satt haben"

Krieg in Palästina - Ein aktueller Kommentar von Uri Avneri (Israel) und ein Leserbrief von Albrecht Bausch

Uri Avneri verkörpert wie kaum ein anderer Israeli das "andere Israel". Ein Israel, das den Ausgleich mit den Palästinensern sucht, das sich gegen die jahrzehntelange Expansions- und Repressionspolitik des israelischen Staates auflehnt und immer wieder nach Schritten und Möglichkeiten sucht, mit den arabischen Nachbarn in Frieden leben zu können. Der bachfolgende Kommentar von Uri Avneri erschien am 15. November in der taz. In ihm kommt sehr deutlich der Standpunkt der israelischen Friedensbewegung zum Ausdruck.
Zum Thema passt ein Leserbrief, den wir am 16. November 2000 in der Frankfurter Rundschau gefunden haben. Der Verfasser, Albrecht Bausch, Pfarrer aus Aachen, zitiert aus einem Briefwechsel, den er wenige Tage zuvor mit Uri Avneri hatte.


Krieg in Palästina - Der Fehler von Vietnam

Kommentar von Uri Avneri

Es sind keine "Unruhen". Es sind keine "Zwischenfälle". Es sind keine "Terroranschläge", wie man in Israel gerne sagt. Es ist ein Krieg. Die Palästinenser nennen ihn "die Al-Aksa-Intifada", aber auch das ist falsch. Es fing zwar an wie die ursprüngliche Intifada, als ein unbewaffneter Volksaufstand. Wieder sah man die Steine werfenden Jungs, die Massendemonstrationen, die Streiks - wie damals.

Aber die Situation ist heute ganz anders als 1987. Denn inzwischen - dank der Intifada - kam das Oslo-Abkommen zustande. Es wird heute von vielen Palästinensern verdammt, aber dank Oslo haben sie mindestens 40.000 bewaffnete Soldaten (offiziell "Polizisten" genannt) und dazu 100.000 bewaffnete Fatah-Milizen, die in den Städten der palästinensischen Selbstregierung eine mehr oder weniger gesicherte Basis vorfinden.

Dieser bewaffnete Aufstand ist, ganz einfach, der Freiheitskrieg des palästinensischen Volkes gegen die seit 1967 bestehende israelische Besatzung. Leider sind unsere Generäle - und auch die israelische Öffentlichkeit - nicht bereit, dies so klar zu sehen. Es geht ihnen gegen den ideologischen Strich.

Darum muss man sich auf eine Eskalation vorbereiten. Die israelische Armee hat zuerst Scharfschützen, dann Tanks und Hubschrauber eingesetzt. Die Palästinenser haben zuerst Steine und Molotowcocktails benützt, dann mit Gewehren geschossen; jetzt werden Guerillaaktionen verübt. Bis heute sind 180 Palästinenser und 24 Israelis gestorben. Doch ist das nur der Anfang.

Die Palästinenser sind sich einig, dass dieser Krieg bis zum Ende der Besatzung fortgeführt werden muss, dass man diesmal nicht aufhören darf, um wieder sinnlose Verhandlungen zu führen. Die israelischen Generäle glauben, wie ihre Kollegen in Vietnam und Afghanistan, dass das, was nicht mit Gewalt geht, eben mehr Gewalt braucht. Die Regierung zögert, hat Angst vor der Weltöffentlichkeit, aber die Wut der Massen wird sie zwingen, dem Druck des Militärs nachzugeben. So war es in allen Kriegen dieser Art.

Bis wann? Bis genug Opfer gefallen sind und beide Völker den Krieg satt haben. Dann wird man zu der Lösung kommen, die schon seit langem die einzige ist: Ende der Besatzung, die Gründung des Staates Palästina im ganzen Westjordanland und im Gaza-Streifen, Jerusalem als Haupstadt beider Staaten, Abzug der Siedler und Soldaten.
Aber bis dahin wird das Blut fließen.
Aus: taz, 15. November 2000

"Zu sagen was ist, ist die revolutionärste Tat"

...Noch deutlicher als Ari Rath, Irene Steinfeldt oder die Knessetabgeordnete Chazan nahm Uri Avnery, Aachener Friedenspreisträger 1997, in Tel Aviv Stellung, als ich ihn per Fax nach seiner Position fragte (6. 11.): "Rosa Luxemburg hat erklärt: ,Zu sagen was i s t , ist die revolutionärste Tat.' Darum muss man sagen: Was jetzt bei uns geschieht, ist nichts anderes als der nationale Freiheitskampf des palästinensischen Volkes. Es geht darum, dass Israel nach 33 Jahren Unterdrückung die Besetzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens aufgibt, dass der Staat Palästina von der ganzen Welt (und besonders von Deutschland) anerkannt wird, dass die Prae-1967-Grenzen . . . wieder hergestellt werden, dass Jerusalem die gemeinsame Hauptstadt Israels und Palästinas wird, dass die Siedler nach Israel zurückgebracht werden, dass eine moralische und humane Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge angenommen wird. Die israelische Friedensbewegung fordert alle Friedensfreunde in der Welt auf, dabei mitzuwirken."

Ich füge hinzu: Der Weg Ariel Sharons zum Tempelberg in Begleitung israelischer Militärs, war eine unerhörte Herausforderung, eine absolute Provokation. Er wusste, was er tat. Und er wollte exakt, was daraufhin eintreten musste: das Ende der Friedensgespräche.

Rabbi Jeromy Milgrom von der Organisation "Rabbis for Human Right" sagte kürzlich: "Die meisten Israelis sehen die Palästinenser als billige Arbeitskräfte oder als Sicherheitsproblem. Sie sehen sie nicht als Menschen, sie nehmen ihre Kultur nicht wahr."

Ein führender Politiker Israels sagte vor vierzehn Tagen: "Was sollen wir bloß tun? In die Wüste können wir sie ja auch nicht schicken."
Albrecht Bausch, Pfarrer
Aachen
Leserbrief aus: Frankfurter Rundschau, 16.11.2000

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