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"Mit Israel über Frieden zu reden, ist widernatürlich"

Die Regierung will die Zwei-Staaten-Lösung zunichte machen und behält sich weiter vor, internationales Recht zu brechen. Gespräch mit Hanan Aschrawi *



Auf der jüngsten UNO-Vollversammlung forderte Mahmud Abbas als Präsident der Autonomiebehörde die Aufwertung der palästinensischen Delegation vom Status einer Beobachterorganisation zum »Nichtmitgliedsstaat in den Grenzen der 1967 besetzten Gebiete«. Er erntete dafür wütende Attacken von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und seinem Außenminister Avigdor Lieberman. Was sagen Sie dazu?

Deren Hetze wundert mich nicht, sie empört mich allenfalls. In Gegenwart von Staats- und Regierungschefs aus aller Welt hat Abbas den wahren Stand der Dinge dargestellt: Israel will die »Zwei-Staaten«-Lösung zunichte machen und den Begriff »Dialog« jedes Inhalts berauben. Angesichts des Scheiterns des Friedensprozesses und der Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft, Israel für die illegale Besetzung der Palästinensergebiete sowie die zahllosen Verletzungen des Völker- und des Menschenrechts verantwortlich zu machen, bestehen die Palästinenser auf dem Versuch, von der UNO und jedem anderen internationalen Gremium als Staat anerkannt zu werden. Mit dieser israelischen Regierung über Frieden zu reden, erscheint mir widernatürlich.

Warum?

Ihre Logik ist militaristisch und kolonialistisch, von religiösem Fundamentalismus und Nationalismus durchdrungen. Es ist die Logik derjenigen, die ständig das internationale Recht brechen.
Wie sollte man darauf reagieren?

Indem man sie isoliert und ihnen klar macht, daß die Zeit der Straflosigkeit nicht endlos dauern kann. Ich denke da an die militärischen und Wirtschaftsabkommen, die viele Länder mit Israel abgeschlossen haben. Oder an diplomatischen Druck und Protestdemonstrationen. Wer schweigt, macht sich zum Komplizen.

Besteht die Gefahr der Rückkehr zu den tragischen Zeiten des zweiten Palästinenser-Aufstandes, der »Intifada der Selbstmordattentäter«?

Um mich herum wachsen jeden Tag Ernüchterung und Frustration. Vor allem Wut, die in naher Zukunft zu explodieren droht. Was mich anbelangt, bin ich immer der Ansicht gewesen, daß die Militarisierung der Intifada ein schwerer Fehler war, den wir nicht wiederholen sollten.

Was sagen Sie zu US-Präsident Barack Obama, der sich vor der UNO erneut für einen Frieden auf der Basis des Grundsatzes »Zwei Völker, zwei Staaten« ausgesprochen hat?

Die Wahl Obamas vor zwei Jahren hatte große Hoffnungen und Erwartungen in der arabischen Welt und unter uns Palästinensern geweckt. Obama behauptete, die palästinensische Frage wieder ins Zentrum seiner internationalen Agenda zu stellen. Vier Jahre später ist das Mindeste, was man sagen kann, daß diesen hehren Worten keine Taten folgten.

Und in diesen vier Jahren hat Israel durch die weitere Besiedlung jene Politik der vollendeten Tatsachen vorangebracht, die die Aussicht auf einen Palästinenserstaat, der mehr ist als eine Art Bantustan im Mittleren Osten, zunichte macht. Einen Staat, der eine territorial geschlossenes Gebilde ist – mit voller Souveränität über jeden Zoll seines Staatsgebietes. Ein unabhängiger Staat muss die volle Kontrolle über seine Grenzen und seine Wasservorkommen besitzen. Ansonsten ist es eine Farce, an der wir uns nicht beteiligen können.

Kann man bei dem, was in dieser Region abläuft, überhaupt noch das Wort »Frieden« gebrauchen?

Nein. Das Wort »Frieden« muß mit Inhalt gefüllt und mit dem Schlüsselbegriff »Gerechtigkeit« verbunden werden. Damit meine ich jene Gerechtigkeit, die mein Volk seit Jahrzehnten vergeblich fordert und für die wir weiter kämpfen werden.

Interview: Umberto De Giovannangeli

* Hanan Aschrawi (65) ist Anglistikprofessorin und Abgeordnete der Partei »Dritter Weg« im palästinensischen Parlament. Sie ist Trägerin des Olof-Palme-Preises für Frieden und Menschenrechte. Ihr Vater war Mitbegründer der PLO.

[Das Interview erschien zuerst in der italienischen Tageszeitung l’Unità Übersetzung: Andreas Schuchardt]


Aus: junge Welt, Mittwoch, 10. Oktober 2012


Dokumentiert: Rede des israelischen Vertreters bei der UNO

Der ständige Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen, Botschafter Ron Prosor, hat sich ein paar Tage nach diesem Interview, am 15. Oktober 2012, in der Debatte zum Nahen Osten geäußert. Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus seiner Rede, weil darin deutlich wird, warum die Palästinenser keine Chance zu einem Frieden erhalten.

Prosor bei Nahost-Debatte

„ […] Im vergangenen April hat Israel in Amman den Palästinensern einen ernstgemeinten und umfassenden Vorschlag gemacht. Wir haben unsere Position deutlich gemacht. Die meisten Menschen in diesem Raum wissen das.

Die Palästinenser haben nie geantwortet. Sie sind einfach gegangen. Und die Welt hat nichts gesagt. Viele der Länder, die hier heute vertreten sind, haben nicht ein einziges Wort gesagt oder die Palästinenser dazu aufgerufen, auf Israels Angebot zu reagieren. […]

Frieden muss verhandelt werden. Er kann nicht von außen auferlegt werden. Es gibt keine Abkürzungen, Schnellschüsse und Sofortlösungen.

Die einseitigen Aktionen der Palästinenser [bei den UN] sind eine klare Verletzung aller Abkommen, die sie mit Israel unterzeichnet haben […]. Wie kann man von Israel erwarten, dass es sich an dieselben Abkommen hält, die die Palästinenser immer dann ignorieren, wenn es ihnen gerade passt? [...]

Wir in Israel hoffen, dass der Tag kommt, an dem sie die Anforderungen [für einen Staat] erfüllen. Doch lassen Sie es mich klar sagen: Heute sind die Palästinenser sehr, sehr weit davon entfernt, die Mindestanforderungen für eine Staatlichkeit zu erfüllen.

[…]

Gegenseitige Anerkennung ist der Schlüssel zu einem dauerhaften Frieden. Ich weise während dieser Debatten immer wieder darauf hin, dass sie niemals einen Palästinenser-Führer über „zwei Staaten für zwei Völker“ werden sprechen hören. […]

Später wird der Iran hier während dieser Debatte für die Blockfreien Staaten sprechen. In anderen Worten wird der weltgrößte Sponsor von Terrorismus im Sicherheitsrat für etwa zwei Drittel der Länder sprechen, die in den Vereinten Nationen repräsentiert sind. Welch eine Schande. Welch eine Schande! […]

Für Israel sind die Lektionen aus der Geschichte eindeutig: Echte Sicherheit – und echten Frieden – gibt es nur in der echten Welt, nicht im Phantasieland der vagen Stellungnahmen und inhaltsleeren Resolutionen.

Denen, die der Sicherheit Israels und des Nahen Ostens, sowie einer Zweistaatenlösung wirklich verpflichtet sind, sage ich: Handeln Sie konkret, äußern Sie sich öffentlich, und zeigen Sie es uns ganz konkret.

Sie müssen sich entscheiden:

Sie können Israel als den Nationalstaat des jüdischen Volkes anerkennen oder der Palästinenserführung gestatten, ohne Konsequenzen unsere Geschichte in Frage zu stellen.

Sie können darauf hinarbeiten, die Hetze der Palästinensischen Autonomiebehörde und ihre Unterstützung für Terroristen zu beenden oder zulassen, dass Hass und Extremismus für die nächsten Generationen Wurzeln fasst.

Sie können öffentlich sagen, dass das sogenannte „Recht auf Rückkehr“ ein Blindgänger ist. Oder Sie können zulassen, dass diese Forderung ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden bleibt.

Sie können sich entscheiden, direkte Gespräche am Verhandlungstisch zu unterstützen oder sie unterminieren, indem Sie einseitige Aktionen bei den UN unterstützen.

Sie können sich entscheiden, den Terror der Hisbollah zu ignorieren oder die politische Courage zeigen, diese Organisation aufzuhalten.

Sie können sich entscheiden, nichts zu unternehmen, wenn eine iranische Atombombe im Nahen Osten Realität wird. Oder Sie können handeln, bevor es zu spät ist.

Heute sage ich zu den Politikern in unserer Region, den Mitgliedern dieses Rates und jedem einzelnen Mitglied der UN: Sie haben die Wahl. Das Schicksal des Nahen Ostens hängt in der Luft. Jetzt ist es an der Zeit zu handeln.“

(Außenministerium des Staates Israel, 15.10.12)
Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 17. Oktober 2012





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