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Arafats Tod sorgt noch einmal für Wirbel

Spekulationen über Vergiftung mit Polonium-210 halten an

Von Oliver Eberhardt *

Acht Jahre nach seinem Tod sorgt Yasser Arafat für Aufregung: Der arabische Nachrichtensender »Al Dschasira« hat berichtet, der Palästinenserführer sei möglicherweise mit radioaktivem Polonium-210 vergiftet worden. Das hat handfeste politische Auswirkungen - obwohl es unwahrscheinlich ist.

Es kann losgehen, »jederzeit«, erklärt ein Mitarbeiter von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah. »Von uns aus können wir jetzt sofort anfangen.« Er sagt es langsam und deutlich: »Wir möchten, dass diese Geschichte umfassend und ohne restliche Zweifel aufgeklärt wird; am Besten durch eine Kommission der Vereinten Nationen, damit keine Zweifel zurück bleiben.«

Die Geschichte: Vor einigen Wochen berichtete der Nachrichtensender »Al Dschasira«, ein Labor im schweizerischen Lausanne habe bei Untersuchungen im Auftrag des Senders Hinweise darauf gefunden, dass der Ende 2004 verstorbene palästinensische Präsident Yasser Arafat mit radioaktivem Polonium-210 vergiftet worden sein könnte. An Kleidungsstücken, die er in seinen letzten Tagen getragen habe, seien ungewöhnlich hohe Dosen des tödlichen Elements gefunden worden.

Seitdem hat die Palästinensische Autonomiebehörde ein Problem: Der Machtkampf mit der Hamas, die in Gaza de facto die Macht hat, ist nach wie ungelöst, Präsidentschaftswahlen sind bereits seit Jahren überfällig. Und noch viel mehr als das: Die Autonomiebehörde ist pleite, das Ausland macht eine Ausweitung der Finanzhilfen von einer Rückkehr an den Verhandlungstisch abhängig. Wo die derzeitige Führung aber nicht gesehen werden will, so lange der Verdacht der Poloniumvergiftung im Raum steht.

Spekulationen über die Ursache von Krankheit und Tod des jahrzehntelang amtierenden Palästinenserchefs haben in Palästina mittlerweile Tradition: Schon nach den ersten Nachrichten über seine schwere Erkrankung war immer wieder die Meinung zu hören, Israel habe ihn vergiftet. Das Ableben Arafats, der jahrelang von Israel belagert in der Mukata, dem damals kalten, feuchten, von Bomben beschädigten Präsidentensitz in Ramallah, ausgeharrt hatte, kam für viele Menschen plötzlich und unerwartet - man suchte nach Antworten.

»Al Dschasira« hat nun neue Spekulationen geliefert: Aus der Möglichkeit wurde in der Öffentlichkeit schnell die Wahrscheinlichkeit, dass Israels Geheimdienst ihn vergiftet hat. Mit Polonium-210, einem seltenen Schwermetall, von dem jährlich weltweit nur etwa 100 Gramm produziert werden. Polonium-210 ist bereits in einer Menge von einem Mikrogramm - die Größe eine Staubkorns - tödlich. Und die Aussage der Schweizer Wissenschaftler, sie hätten keine Erklärung für die ungewöhnlich hohen Messwerte, nur eine Knochen-Untersuchung könne Aufschluss darüber bringen, ob Arafat durch Polonium-210 vergiftet wurde, wird so interpretiert, dass eine Exhumierung die letzte Gewissheit über die Todesursache bringen könnte. Doch wann diese geschehen wird, war am Wochenende weiter unklar: Zwar hat Suha Arafat, die Witwe des Präsidenten, mit den Worten »Ich will, dass die Welt die Wahrheit über die Ermordung Arafats erfährt«, Mitte der Woche erneut die Untersuchung der Leiche gefordert. Die formale Zustimmung der Witwe sei nach wie vor nicht in Ramallah eingetroffen, heißt es indes aus dem Stab seines Nachfolgers Abbas. Wo man auch gleich eine Erklärung dafür hat: Frau Arafat, gegen die in Frankreich und Tunesien Strafverfahren wegen Finanzvergehen anhängig sind, und der viele Palästinenser vorwerfen, mehrere hundert Millionen Dollar beiseite geschafft zu haben, habe gar kein Interesse an einer genaueren Untersuchung der Vorwürfe, so der Mitarbeiter. Denn es ist gut möglich, dass sich der Vergiftungsverdacht dann im Nichts auflösen würde. Wegen der geringe Halbwertszeit von Polonium-210 halbiert sich alle 138 Tage die Strahlung. Von der Ursprungsmenge wären acht Jahre nach Arafats Tod nur ein Millionstel übrig. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die vor acht Jahren verabreichte Dosis massivst über der tödlichen Dosis gelegen haben müsste. Physiker haben Mengen von zwischen 50 und 200 Milligramm errechnet - von jenem Element, von dem weltweit nur rund 100 Gramm pro Jahr hergestellt werden.

Nach dem Tod Arafats verhinderte Suha Arafat eine Obduktion und sorgte für die sofortige Überführung nach Ramallah. Nun ist sie erneut gefragt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 16. Juli 2012

Unklare Todesursache

Der palästinensische Präsident Yasser Arafat starb 75-jährig in der Nacht zum 11. November 2004 in einem französischen Militärkrankenhaus außerhalb von Paris. Dorthin war er gebracht worden, nachdem er sich am 25. Oktober während einer Besprechung zunächst erbrochen und sich sein Zustand dann rapide verschlechtert hatte. Sicher ist, dass eine Hirnblutung zum Tode führte und dass Arafat an einer Leberzirrhose litt; unsicher ist die Ursache dafür: Die Vermutungen, die im Laufe der Zeit diskutiert wurden, reichen von einer Lebensmittelvergiftung über eine HIV-Infektion bis hin zur Vergiftung.

Arafats Sicherheitsmaßnahmen seien gering gewesen, schreibt der Friedensaktivist Uri Avnery, ein enger Freund Arafats, auf seiner Webseite. Und dies, obwohl Israels damaliger Premierminister Ariel Scharon offen gesagt habe, dass Arafat keine Lebensversicherung habe. Seiner Ansicht nach hat Scharon damals den Weg der Vergiftung gewählt, weil die USA befürchteten, ein direktes Vorgehen gegen Arafat werde zu einer Eskalation in der arabischen Welt führen.

Aufschluss über die Todesursache hätte eine Obduktion liefern können, die allerdings von Arafats Witwe ebenso verweigert wurde wie die Offenlegung der medizinischen Unterlagen, was in Frankreich nur mit Zustimmung der Angehörigen eines Verstorbenen geschehen kann. Mediziner, denen die Unterlagen zugänglich gemacht wurden, sagten dem Sender »Al Dschasira« nun, seine Symptome könnten auf eine Strahlenkrankheit hindeuten. Allerdings: Vergiftungen durch Polonium-210, vor allem in hohen Dosen, seien so extrem selten, dass über ihren Verlauf keine Aussagen getroffen werden könnten, sagte ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation in Genf. Yasser Arafat erwarb sich seine Anerkennung als palästinensischer Freiheitskämpfer, Politiker, Friedensnobelpreisträger und vom 12. Februar 1996 bis zu seinem Tod am 11. November 2004 als Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete. (liv)

(nd, 16.07.2012)




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