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"Wir können nicht ewig im Schützengraben leben"

Die Gründung eines Palästinenserstaates hätte auch für Israel viele Vorteile. Ein Gespräch mit Yael Dayan *


Yael Dayan (71) war Leutnant der ­israelischen Armee, von 1992–2003 ­Knesset-Abgeordnete der Arbeitspartei und wechselte dann zur linkszionistischen und linkssozialdemokratischen Meretz. Sie ist Schriftstellerin, Aktivistin von Peace Now und Tochter des ehemaligen Generalstabschefs, Verteidigungs- und Außenministers Moshe Dayan.

Sie gehören zu den israelischen Politikern und Intellektuellen, die einen Appell und Kundgebungen zugunsten eines unabhängigen Palästinenserstaates organisiert haben. Was liegt dieser Initiative zugrunde?

Die Überzeugung, daß das vollständige Ende der Besatzung die grundlegende Voraussetzung für die Befreiung beider Völker ist. Wohlgemerkt nicht nur des palästinensischen, sondern auch des israelischen Volkes. Die Schaffung eines palästinensischen Staates ist etwas völlig Natürliches. Das hätte bereits vor gut 60 Jahren stattfinden müssen.

In seiner Rede vor den Vereinten Nationen hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Vorstoß von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas aber zu einer Gefahr für Israel erklärt ...

Die wirkliche Gefahr für Israel stellt eine Regierung dar, die von radikalen Falken dominiert wird. Zur Zeit haben wir die schlimmste, die unser Staat seit den Tagen der Unabhängigkeit erlebt hat. Abbas als gefährlichen Extremisten hinzustellen, ist schlicht lächerlich. Netanjahu hatte alle Zeit der Welt und alle Möglichkeiten für einen Neubeginn der Friedensverhandlungen. Er hat sie nicht genutzt und spricht nun von einer palästinensischen Provokation. Was er bietet, ist reine Propaganda.

Auch US-Präsident Barack Obama hat gegen die einseitige Erklärung des Staates Palästina Stellung bezogen. Was meinen Sie dazu?

Ich habe seine Rede vor der UN-Vollversammlung aufmerksam verfolgt. Bei allem Respekt, den man einem Staatsführer schuldet, der bei allen Völkern des Mittleren Ostens große Hoffnungen und Erwartungen geweckt hat, muß ich sagen, daß mich Obama nicht überzeugt hat. Der Friedensprozeß ist an einem toten Punkt angekommen – dafür verantwortlich sind vor allem diejenigen, die mein Land heute regieren und glauben, sie könnten den auf der Besatzung der 1967 eroberten Gebiete basierenden Status quo aufrechterhalten. Präsident Obama sollte sich fragen, warum er für seine Position jetzt von jener nationalistischen israelischen Rechten Beifall bekommt, die ihn vorher als Feind angeprangert hat, nur weil er einen Stopp des Siedlungsbaus wollte.

Ist die Gründung eines Staates Palästina für die dialogbereiten Kräfte in Israel einfach ein Akt der Gerechtigkeit oder noch etwas mehr?

Um Gerechtigkeit geht es dabei mit Sicherheit, aber auch um unser Eigeninteresse. Ein auf dem Prinzip »Zwei Völker – zwei Staaten« beruhender Friede ist kein freundliches Zugeständnis an die Palästinenser und noch weniger ein Nachgeben gegenüber jenen, die Israel beseitigen wollen. Die Gründung eines palästinensischen Staates liegt in unserem ureigenen Interesse. Sie ist notwendig, um die Existenz Israels zu sichern, um die Besatzung zu beenden und zu verhindern, daß die Juden eine Minderheit in einem großen, binationalen Staat werden. Die parallele Unabhängigkeit der beiden Völker würde das eine wie das andere stärken.

Die Palästinenser feiern, und Israel schottet sich ab ...

Die Rechte schürt die Ängste der Menschen, und sie entfacht Feindseligkeit gegenüber der Realität, die uns umgibt. Aber wir können nicht ewig im Schützengraben leben. Der palästinensische Staat ist jedenfalls keine Bedrohung für Israel!

Interview: Umberto Di Giovannangeli

Übersetzung: Andreas Schuchardt. Dieses Interview erschien zuerst in der italienischen Tageszeitung l’Unità vom 24.9.2011.

* Aus: junge Welt, 4. Oktober 2011



Bedingungslos

Israel nervt seine Verbündeten

Von Werner Pirker **


Es dürfte sich wohl wieder um den üblichen Theaterdonner gehandelt haben. Nachdem die israelische Regierung mitten in die westlichen Bemühungen um die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zwischen Israel und den Palästinensern mit der Ankündigung platzte, in Ostjerusalem 1100 neue Wohneinheiten bauen zu lassen, war im befreundeten Westen routinierte Empörung angesagt. Ihr würde dafür jegliches Verständnis fehlen, ereiferte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Einklang mit US-Außenministerin Hillary Clinton beide Seiten vor »provokativen Handlungen« warnte. Mit der Verkündung ihrer Baupläne im israelisch besetzten Ostjerusalem hatte die Netanjahu-Regierung ihren westlichen Verbündeten nun doch etwas zu viel des Bösen zugemutet.

Denen war es gerade mit Müh und Not gelungen, die Palästinenserführung davon abzubringen, ihre Sache vor der UNO mit Nachdruck zu vertreten und sie statt dessen zur Wiederaufnahme von »Friedensgesprächen« zu bewegen, als Israel jeglichen Illusionen über einen Befriedungserfolg gleich wieder den Boden entzog. Verhandlungen hin, Verhandlungen her: Von ihren Bauvorhaben will die israelische Regierung sich durch nichts abbringen lassen. Inzwischen haben sich Netanjahu und die Seinen großzügig zu »Verhandlungen ohne Vorbedingungen« bereiterklärt, womit sie die Schuld für die von ihrer Siedlungspolitik verursachte Blockade der Friedensgespräche den auf einen Stopp des jüdischen Siedlungsbaus bestehenden Palästinensern zuschieben. Der Unterstützung ihrer Posi­tion durch den Westen kann sich die israelische Führung sicher sein.

Und so soll es immer weitergehen. Die Palästinenserführung wird der israelischen Bedingung, keine Bedingungen zu stellen, nachgeben. Man wird den Palästinensern weitere Kompromisse abverlangen. Da das zionistische Regime aber nicht wirklich zu einer Zweistaatenlösung, die diesen Namen auch verdienen würde, gelangen will, wird es neue Provokationen, die gezielte Hinrichtung von palästinensischen Militanten zum Beispiel, planen, die mehr oder weniger gewaltsame palästinensische Reaktionen auslösen und damit Israel einen Vorwand liefern werden, den Verhandlungstisch zu verlassen. Das ist dann wieder die Zeit für das Nahostquartett, die beiden Streitparteien zur Wiederaufnahme ihrer Gespräche zu bewegen. An deren Ausgangspunkt werden die von den Palästinensern zuletzt gemachten Konzessionen stehen. Auf dieser Basis werden ihnen dann weitere Zugeständnisse abverlangt.

Doch das kann nicht immer so weitergehen. Selbst die der Kollaboration keineswegs abgeneigte Palästinensische Autonomiebehörde kann dieses Spiel auf Dauer nur um den Preis der Selbstaufgabe mitmachen. Das Wissen darum hat Abbas zu seiner UN-Initiative bewogen. Vor allem aber ist es die arabische Rebellion, die den Nahost-Poker zum Nachteil des zionistischen Machtanspruchs kräftig aufgemischt hat.

** Aus: junge Welt, 4. Oktober 2011 (Kommentar)


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