Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Eine weitere Verletzung der Menschenrechte"

Nach Absperrung der Westbank will Israel auch die Grenze zu Ägypten zumauern. Ein Gespräch mit Sigal Rosen

Sigal Rosen ist Leiterin der 1998 gegründeten israelischen Non-Profit-Organisation »Hotline for Migrant Workers«



Nach der Absperrung der palästinensischen Westbank will Israel nun eine zweite Mauer an der Grenze zu Ägypten bauen. Die »Hotline for Migrant Workers« hat das scharf kritisiert – warum?

Weil es eine weitere Verletzung der Menschenrechte bedeutet und weil diese Mauer schlichtweg sinnlos ist. Aus einem einfachen Grund: Wenn die Regierung, wie sie behauptet, den Zustrom von Migranten stoppen will, dann sollte sie nicht die Grenze zu Ägypten ins Visier nehmen, sondern den internationalen Flughafen Ben Gurion. Ein Großteil der arbeitssuchenden Migranten kommt nämlich über einen Zwischenstopp in Tel Aviv ins Land und nicht von Süden.

Auf dem Landweg, über die Grenze zu Ägypten gelangen – offiziellen Zahlen zufolge – jedes Jahr nur wenige tausend Menschen hierher. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres waren es keine 3000, und von denen waren, wie sich herausstellte, bloß 1000 auf der Suche nach einem Job. Im selben Zeittraum aber stellte das Innenministerium 120000 Personen, die über den Flughafen einreisten, eine Arbeitserlaubnis aus. Deshalb sehe ich keinen Grund, warum man ein so großes Projekt wie diesen Mauerbau starten sollte.

Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu behauptet, dieses Projekt diene langfristig dazu, die jüdische Bevölkerungsmehrheit Israels sicherzustellen, die durch den Zustrom zu vieler Ausländer gefährdet sei. Liegt darin das Motiv?

Die Regierung erzählt viel, wenn der Tag lang ist, aber dieses Bauprojekt ist lediglich ein Signal an die verunsicherte Bevölkerung – sie erlebt eine Wirtschaftskrise, in der viele ihren Arbeitsplatz verlieren, wofür dann vielfach der Zustrom von Migranten verantwortlich gemacht wird. Dabei spielt es keine Rolle, daß die Ursachen in Wirklichkeit ganz andere sind.

Die Einwanderer verrichten in unserem Land – wie in allen anderen reichen Ländern auch –, zumeist niedrige und anstrengende Arbeiten, für die sich die lokale Bevölkerung zu schade ist. Diese Vorurteile greift Netanjahu auf, indem er den Israelis sagt: »Schaut her – die Regierung tut etwas Konkretes und trägt ihren Teil dazu bei, um die Zuwanderung zu stoppen.« Das beruhigt die Leute zwar, hebelt aber zugleich das Asylrecht aus.

Warum?

Weil wir es hier mit einem ernsten Problem zu tun haben, das vieleAfrikaner betrifft, die aus den Kriegsgebieten zum Beispiel im Sudan oder am Horn von Afrika fliehen. Die Regierung wiederholt immer wieder, Israel habe das Recht, entlang einer anerkannten Grenze eine Barriere zu errichten. Okay, aber wir haben auch Pflichten: Unser Land hat nämlich eine internationale Resolution zum Thema politische Flüchtlinge unterzeichnet und muß diese auch einhalten.

Aber: Wie können nach dem Bau dieser neuen Mauer noch Asylsuchende ins Land kommen? Wird die Grenzpolizei die Dokumente und den Status von Männern, Frauen und Kindern, die zu uns wollen, unter diesem Gesichtspunkt prüfen und ihnen Einlaß gewähren? Das würde ich stark bezweifeln. Außerdem sollten wir nicht vergessen, wie brutal Ägypten mit den Afrikanern umgeht, die nach Israel zu gelangen versuchen. In den vergangenen Jahren schreckten sie nicht einmal vor dem Einsatz von Schußwaffen zurück, Dutzende wurden dadurch getötet.

Im Gegensatz zu anderen lehnt die »Hotline for Migrant Workers« eine Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und Arbeitsmigranten ab. Wieso?

Unsere Position ist klar: Wer vom Süden her einreist, will Asyl. Punkt! Es ist uninteressant, ob derjenige dann auch eine Arbeit sucht, wenn er erst einmal in Israel ist. Die Regierung muß anerkennen, daß die Afrikaner, die zu uns wollen, Menschen sind, die einen Krieg hinter sich haben und Zuflucht suchen. Ein Migrant ist eben immer auf der Suche nach einem besseren Leben und irgendeiner Arbeit, um zu überleben.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 20. Januar 2010


Zurück zur Palästina-Seite

Zur Israel-Seite

Zur Ägypten-Seite

Zur Seite "Migration, Flucht, Vertreibung"

Zurück zur Homepage