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Siedlungsbau verurteilt

Palästinensischer Präsident Mahmud Abbas: Gespräche mit Israel historische Chance. Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin

Von Karin Leukefeld *

Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), hielt sich am Freitag in Berlin zu politischen Unterredungen auf. Am Donnerstag war er in Rom von Papst Franziskus empfangen worden, den er einlud, das Heilige Land zu besuchen. Von Berlin wird Abbas nach Brüssel fahren. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Abbas sicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel dem palästinensischen Gast »Kontinuität der deutschen Außenpolitik« im Mittleren Osten zu. Sie rief Israel zur Zurückhaltung beim Siedlungsbau auf, um die laufenden Nahostgespräche nicht zu gefährden und mahnte Israelis und Palästinenser zu Kompromißbereitschaft.

Als »Vorleistung für die Gespräche« lobte Merkel, daß die Palästinenser sich nach dem Erhalt ihres Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen (2012) nicht um die Aufnahme in andere UN-Organisationen bemüht hätten. Die USA hatten entsprechenden Druck auf die Autonomiebehörde ausgeübt, um die Israelis an den Verhandlungstisch zu bringen. Palästinensische Kritiker gehen davon aus, daß die PA durch die Zustimmung zu der Forderung aus Washington erhebliches politisches Potential verloren habe.

Abbas bezeichnete in Berlin die Gespräche mit Tel Aviv als »historische Chance«. Gleichzeitig verurteilte er den »illegalen israelischen Siedlungsbau« in den besetzten Gebieten. Er begrüßte Boykotte gegen die israelischen Produkte aus diesen okkupierten Gegenden. Eine neue EU-Anordnung, die den Import solcher Waren für den EU-Markt verbietet, soll Anfang 2014 in Kraft treten.

Nach Angaben der israelischen Organisation »Frieden Jetzt« vom Donnersag hat Israel in der ersten Jahreshälfte 2013 den Siedlungsbau im Vergleich zum selben Zeitraum 2012 »drastisch« erhöht. Zwischen Januar und Juni 2013 wurden demnach 1708 neue Wohneinheiten in der Westbank und dem von Israel annektierten Ostjerusalem gebaut. 86 Prozent der Neubauten würden jenseits der Sperrmauer in abgelegenen jüdischen Siedlungen errichtet, erklärte »Frieden Jetzt«.

Mitte Oktober war bekannt geworden, daß die Autonomiebehörde im November zahlungsunfähig wäre, sollte internationale Hilfe ausbleiben. Durch Privatisierung will die PA eigene Kosten reduzieren. Abbas rief »alle wohlhabenden Palästinenser« auf, einzelne Familien und kleine Projekte zu fördern. Bundeskanzlerin Merkel sagte Abbas am Freitag die Fortsetzung der deutschen Finanzhilfe zu. 2013 erhielt die PA aus Berlin 100 Millionen Euro. Deren offizielles Haushaltsdefizit beträgt in diesem Jahr 500 Millionen US-Dollar.

Unklar ist, ob bei den Begegnungen in Berlin auch die Verschwendung europäischer Hilfsgelder durch die Palästinensische Autonomiebehörde zur Sprache kam. Laut der britischen Tageszeitung Sunday Times soll ein EU-Report für den Zeitraum von 2008 bis 2012 das Verschwinden von mehr als drei Milliarden US-Dollar EU-Hilfen an die Autonomiebehörde registriert haben. Prüfer hätten in EU-finanzierten Projekten in Jerusalem, den besetzten palästinensischen Gebieten in der Westbank und im Gazastreifen »erhebliche Mängel« im Management festgestellt. Der Bericht soll Ende des Jahres veröffentlicht werden.

Die Lage der Palästinenser bleibt derweil wirtschaftlich, politisch und sozial weiter angespannt. Israelische Truppen ermordeten am Donnerstag einen Palästinenser, der mit seinem Traktor auf den (israelischen) Armeestützpunkt Al-Ram nördlich von Jerusalem gefahren war. Die Soldaten hätten um ihr Leben gefürchtet, rechtfertigte eine Armeesprecherin den Mord.

Die palästinensische Nachrichtenagentur Maan News berichtete am gleichen Tag von einem verzweifelten Familienvater in Al-Schajaija (Gaza), der seine sechsjährige Tochter zum Verkauf angeboten habe, weil er seine Familie nicht ernähren könnte. »Seit Monaten haben wir nichts als Brot und Salz zum Frühstück«, sagte der Bauarbeiter Hani Al-Hadidi (33). »Niemand wagt es, seine Kinder zu verkaufen, aber unsere harte Lebenssituation zwingt mich zu so einer Entscheidung«. Der Gazastreifen wird seit 2007 von Israel belagert, Ein- und Ausfuhr sind weitgehend blockiert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 19. Oktober 2013


Merkel sichert Kontinuität zu **

Deutschland unterstützt die palästinensischen Autonomiegebiete im laufenden Jahr mit 100 Millionen Euro. Wichtig sei, dass die wirtschaftliche Entwicklung erfolgreich und für die Bevölkerung spürbar sei, so Bundeskanzlerin Merkel nach dem Gespräch mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmut Abbas.

Ein Erfolg der möglichen israelisch – palästinensischen Gespräche unter US-Obhut sei für die Bundesregierung sehr wichtig, betonte Merkel nach dem Treffen mit Abbas in Berlin. Man habe darüber gesprochen, welche Chancen es dafür gebe. Die Kanzlerin erklärte: "Deutschland hat immer darauf hingewiesen, dass unilaterale Schritte nicht dazu führen, den Friedensprozess voranzubringen." Nur Verhandeln könne die Lösung bringen. Auf die Frage des Siedlungsbaues angesprochen bemerkte sie, dass Israel in dieser Frage Zurückhaltung üben möge. Präsident Abbas hob hervor, dass die palästinensische Seite ernsthaft bemüht sei, die Verhandlungen zu führen.

Zwei-Staaten-Lösung

Eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ist nach Überzeugung Deutschlands nur durch Verhandlungen zu erreichen, die zu einer Zwei-Staaten-Lösung führen: einem Staat Israel und einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat.

US-Präsident Barack Obama hatte auf seiner Reise nach Israel und Palästina im März 2013 für neue Verhandlungen ohne Vorbedingungen geworben. Aufgrund einer Initiative von US-Außenminister John Kerry fanden israelisch-palästinensische Direktgespräche im Juli diesen Jahres in Washington statt. Man einigte sich, vertrauliche Verhandlungen zu allen Themen zu führen. Konflikt in Syrien Im Hinblick auf Syrien betonte Merkel:"Jetzt gilt es, mit Nachdruck darauf hinzuarbeiten, dass Genf II baldmöglichst stattfinden kann." Nur eine politische Lösung könne eine friedliche Lösung in Syrien möglich machen.

Deutsche Hilfe für die Palästinensischen Gebiete

Deutschland ist einer der größten bilateralen Geber. Schwerpunkte des deutschen Engagements sind die Bereiche Wasser, Wirtschaftsentwicklung, öffentliche Sicherheit (Polizei), Regierungsführung und Bildung. Die Bundesregierung engagierte sich im Jahr 2012 mit einem Gesamtvolumen von rund 150 Millionen Euro in den Palästinensischen Gebieten, davon mit rund 74 Millionen Euro im Rahmen bilateraler Projekte. Die bilateralen Projekte waren auf die Bereiche Entwicklungszusammenarbeit (46 Millionen Euro), humanitäre Hilfe (circa 15 Millionen Euro), zivile Krisenprävention (8,3 Millionen Euro) sowie Kultur und Bildung (4,8 Millionen Euro) verteilt.

Deutsch-palästinensischer Lenkungsausschuss

Im Rahmen der bilateralen Kooperation wurde im Mai 2010 der Deutsch-Palästinensische Lenkungsausschuss geschaffen, der zum zweiten Mal im März 2012 in Berlin getagt hatte. Der Lenkungsausschuss hat das Ziel, das deutsche Engagement in den Palästinensischen Gebieten zu bündeln.

Hilfen der EU

Die EU ist der wichtigste Geber für die Palästinensischen Gebiete. Das EU-Engagement, zu dem Deutschland mit etwa 20 Prozent beiträgt, beläuft sich jährlich auf etwa 480 Millionen Euro. Durch das bilaterale Engagement der Mitgliedstaaten kommt noch einmal etwa dieselbe Summe hinzu. 2013 hat die EU bislang rund 248 Millionen Euro an Unterstützung für die Palästinensischen Gebiete geleistet.

** Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 18.10.2013




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