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Ein trauriges Jubiläum

60 Jahre UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge. Dramatischer Alarmruf: "Verfolgt, gefoltert, ermordet – und niemand macht Anstalten, uns zu helfen."

Von Karin Leukefeld *

Nicht nur der Staat Israel besteht 60 Jahre. Auch das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) wurde vor 60 Jahren gegründet – ein trauriges Jubiläum, zu dem es keine Feier geben wird, statt dessen ist Zorn angebracht angesichts der unverändert tragischen Lage von Hunderttausenden Palästinensern heute.

»Jeder palästinensische Flüchtling in Irak ist gefährdet, entführt oder getötet zu werden. Wir sind eingekreist, und Dutzende sind seit langem spurlos verschwunden«, schrieben palästinensische Flüchtlinge vor wenigen Monaten in einem Brief an die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah. »Wir werden verfolgt, gefoltert und ermordet – und niemand macht Anstalten, uns zu helfen.« Der Hilferuf verhallte ungehört. Weder Ramallah noch verschiedene arabische Staaten scheinen sich um die »irakischen Palästinenser« zu kümmern.

34000 registrierte Palästinenser lebten vor der US-Invasion 2003 im Irak, so die offizielle Zahl. Vermutlich waren es jedoch doppelt so viele, die in Bagdad und Umgebung in der zweiten und dritten Generation Schutz und eine neue Heimat gefunden hatten. Inzwischen sind mehr als 21000 von ihnen geflohen. Während Jordanien von Anfang an seine Grenzen für Palästinenser aus dem Irak geschlossen hielt, ließ Syrien sie anfangs noch einreisen. Inzwischen aber ist das auch vorbei. Im Lager Al-Tanaf im »Niemandsland« des syrisch-irakischen Grenzgebiets leben seit Mai 2006 etwa 500 palästinensische Flüchtlinge aus dem Irak. Im Flüchtlingslager Al-Walid, auf der irakischen Seite, sind es inzwischen 1560. Die Zahl erhöht sich nach Angaben von UNRWA wöchentlich um bis zu 40 Personen, denn die Flucht aus Bagdad hält an.

Neben lokalen Organisationen unterstützen sie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und frischem Wasser. Syrien verweigert die Aufnahme der Gestrandeten mit Verweis darauf, daß bereits mehr als eine halbe Million Palästinenser und über zwei Millionen irakische Flüchtlinge in Syrien leben. Im April erklärte sich Chile bereit, 117 der Flüchtlinge aufzunehmen. Etwa 150 palästinensische Flüchtlinge, die im Lager Al-Ruwished an der jordanischen Grenze vier Jahre lang aushalten mußten, fanden Ende 2007 eine neue Heimat in Brasilien und Kanada.

Die meisten palästinensischen Flüchtlinge leben in Jordanien, Syrien und Libanon. Als vor einem Jahr das Lager Nahr Al-Bared nahe Tripoli im Nordlibanon bei Kämpfen zwischen Armee und Islamisten in Schutt und Asche gebombt wurde, verloren 20000 Menschen ihre Bleibe. Die Regierung in Beirut versprach, alles wieder aufzubauen, doch das ist bis heute nicht geschehen. Noch immer leben Familien aus Nahr Al-Bared im benachbarten Flüchtlingslager Beddawi, manche von ihnen in einer gemieteten Garage, wie die Familie von Nazmiyeh Abu Mayha, die sich mit ihrer Tochter Amira und ihrem Sohn Nasser auf 24 Quadratmetern eingerichtet hat. UNWRA zahlt die monatliche Miete von 200 Dollar (etwa 130 Euro).

Inzwischen wurden die ersten neuen »Häuser« auf einem Stück Land neben dem früheren Nahr Al-Bared errichtet. Die »Wohneinheiten« sind Container mit einem oder zwei Räumen und einem Bad, je nach Größe der Familie. Um Saleh, die mit ihren zehn Kindern in zwei kleinen Räumen wohnt, ist froh, daß sie nicht mehr in der Schule von Beddawi hinter einem Plastikvorhang leben muß. »Dieses Haus ist nur ein Übergang«, meint sie zuversichtlich. Und träumt von der Rückkehr in ihr großes Haus mit Garten im alten Nahr-Al-Bared-Lager.

* Aus: junge Welt, 15. Mai 2008


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