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Islamabad scheint atomar entschärft

Im Gespräch: Der Sicherheitspolitiker Willy Wimmer (MdB/CDU) über Indien als neuen Favoriten der Amerikaner, den tragischen Verlierer Pakistan und den gelassenen Beobachter China


FREITAG: Lassen die USA Pakistan als strategischen Verbündeten fallen? Oder ist das nur ein temporärer Eindruck, der sich aus dem Umgang der Amerikaner mit den Anschlägen von Mumbai ergibt?

WILLY WIMMER: Die amerikanischen Interessen lassen sich nicht immer einwandfrei definieren, aber soviel ist sicher: Seit geraumer Zeit herrscht in Pakistan der Eindruck, dass die USA ihre Wahl zwischen Indien und Pakistan getroffen haben und diese Wahl zugunsten Indiens ausgefallen ist. Man sieht das in Islamabad mit großer Sorge, schließlich ist davon auszugehen, dass bei einer solchen Tendenz im bilateralen Verhältnis auch die Möglichkeit kriegerischer Ausein-andersetzungen auf pakistanischem Gebiet nicht ausgeschlossen wird.

Die es in Belutschistan und der Nordwestprovinz um Peschawar ja bereits gibt.

Auf jeden Fall werden dort die territoriale Integrität und Souveränität Pakistans durch amerikanische Angriffe in der Grenzregion zu Afghanistan ständig verletzt. Außerdem zieht man in Islamabad seine Schlussfolgerungen aus dem indisch-amerikanischen Nuklearabkommen, das wohl auch mit Blick auf die Rivalität Indiens zu China geschlossen wurde. Das ist mehr als nur ein Indiz dafür, wen die Vereinigten Staaten für sich gewinnen wollen, auch wenn dieses Werben bei den Indern - wie die Proteste gegen den Atomvertrag zeigen - nicht durchweg auf Sympathie stößt.

Aber hat sich Indien diese Wertschätzung der USA nicht gerade durch seine Jahrzehnte währende Rivalität mit China verdient?

Das mag sein, nur ist diese Rivalität in den vergangenen Jahren sowohl von Delhi wie auch von Peking auf ein sehr erträgliches Maß reduziert worden, weil man eben nicht zum Spielball von amerikanischen Interessen werden wollte. Das haben wir doch im Frühjahr deutlich gesehen, als es zu den Unruhen in Tibet kam. Die ganze Welt hat protestiert, während Indien, das bekanntlich den Dalai Lama beherbergt, betont ruhig blieb und alles tat, um die Beziehungen nicht zu belasten. Die Interessen Indiens und der Volksrepublik China werden von beiden eben auch dahingehend definiert, sich nicht fremder Interessenpolitik ausliefern zu wollen.

Wovon Pakistan eigentlich profitieren müsste.

Dessen Lage wird schwieriger, weil die USA Indien den Vorzug geben, unabhängig davon, wie Delhi darauf im einzelnen reagiert.

Was ist in der jetzt so aufgeheizten Atmosphäre zwischen Indien und Pakistan gefährlicher - dass beide Staaten Atommächte sind oder beide zur direkten Umgebung des Afghanistan-Konflikts gehören?

Die Situation für Südasien war schon vor Mumbai in hohem Maße explosiv. Weil das so ist, müssen wir seit geraumer Zeit davon ausgehen, dass die pakistanischen Atomwaffen - nicht zuletzt wegen des Afghanistan-Konfliktes und der Instabilität im Lande selbst - entschärft sind.

Was heißt das?

Sie sind ohne Zündvorrichtungen.

Wo sind die geblieben?

Die Welt rätselt darüber - möglicherweise außerhalb von Pakistan. Es gibt seriöse Stimmen in Islamabad, die es als Ziel des amerikanischen Vorgehens gegenüber Pakistan ansehen, dessen nukleare Komponente unter ihre vollständige Kontrolle zu bekommen. Das ist freilich für das Selbstwertgefühl dieses fragilen Landes kaum zu verkraften.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind die pakistanischen Kernwaffen nicht voll einsetzbar und bei einem sich zuspitzenden Konflikt mit Indien auch nicht relevant.

Das würde sich aus der von mir geschilderten und weit verbreiteten Annahme ergeben. Andererseits gehört es zum Charakter von Nuklearwaffen, damit Politik zu machen, vor allem dann, wenn unklar ist, in welchem Zustand sich ein nationales Kernwaffenarsenal wie das Pakistans wirklich befindet.

Und wie beschreiben Sie die Rolle Indiens im Afghanistankonflikt?

Indien hat in Afghanistan eine solche Fülle von Konsulaten errichtet, dass man es zunächst kaum nachvollziehen kann, es sei denn, man kommt zu dem Urteil, Indien verfolgt am Hindukusch eine Politik, die jahrelang Pakistan unterstellt wurde, nämlich Afghanistan als strategisches Hinterland zu betrachten. Das hätte jedoch geostrategisch nur dann einen Sinn, wenn Delhi alles täte, um den Einfluss Pakistans dort spürbar zu unterlaufen.

Wäre das im Sinne der USA?

Ich gehe davon aus, dass beide Seiten sehr sorgfältig miteinander über diese Dinge sprechen, das geht bis hin zu entsprechenden Fühlungnahmen des jeweiligen US-Oberbefehlshabers in Richtung Delhi. Man tut wahrscheinlich gut daran, dies in die Kategorie Selbstverständlichkeiten einzuordnen.

Vermittelt diese Akzentverschiebung der US-Politik für Südasien auch einen Vorgeschmack auf die Prioritäten einer Obama-Administration?

Ich glaube, dass wir in Deutschland oft genug einem Trugschluss unterliegen, der darin besteht, dass man an zu große Unterschiede glaubt zwischen einer republikanisch und einer demokratisch geführten US-Regierung. Die Zielrichtungen, das haben wir seit Mitte der neunziger Jahre in Europa, aber auch in anderen Regionen gesehen, sind zwischen Demokraten und Republikanern häufig so nahe beieinander, dass sich Unterschiede oder Nuancen oft nur aus den Interessen der Industriegruppen ergeben, die sich expansiv um den Zugang zu neuen Märkten bemühen. Es hängt also oft davon ab, wie aggressiv bestimmte Branchen oder Unternehmen ihre Interessen definieren. Das gilt natürlich auch für den potenziellen Großmarkt Indien und ist in gewisser Weise verständlich.

Das Gespräch führte Lutz Herden

* Aus: Freitag, Nr. 50, 11. Dezember 2008


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