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Pakistan warnt USA

Gerüchte über Anschläge in Europa. Islamabad stellt Nachschub für den Afghanistankrieg in Frage

Von Knut Mellenthin *

Die meisten westlichen Mainstream-Medien haben am Mittwoch (29. Sep.) über »eine verheerende Anschlagserie« (Spiegel online) gegen Ziele in Deutschland, Frankreich und Großbritannien berichtet, die von Pakistan aus vorbereitet werde. Diese aus der Luft gegriffene Geschichte soll offenbar die massive Zunahme der US-amerikanischen Angriffe auf pakistanisches Gebiet rechtfertigen. Die Drohnenattacken des US-Geheimdienstes CIA gegen Nordwestpakistan, deren Zahl in letzter Zeit stark erhöht wurde, hätten nicht zuletzt auch den Planern dieser Anschläge gegolten, hieß es in zahlreichen Berichten.

Als erster in die Welt gesetzt hatte die dann eifrig aufgegriffenen Gerüchte ein Auslandsredakteur des britischen Fernsehsenders Sky News, Tim Marshall, der keinerlei Quellen für seine Vermutungen genannt hatte. Selbst die nicht näher bezeichneten »westlichen Geheimdienste«, von denen die »Warnungen« ausgegangen sein sollen, waren offenbar eine spätere Zutat anderer Medien. Sind solche Legenden aber erst einmal in Umlauf, wird jede Regierung sich hüten, sie rundum als falsch und unbegründet zurückzuweisen. Dann kommt es zu gewundenen Stellungnahmen wie der des deutschen Innenministeriums: Zwar gebe es »keine konkreten Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Anschläge«, aber »längerfristig« gebe es bei Al-Qaida natürlich Pläne.

Indessen ist es äußerst unwahrscheinlich, daß Aktionen in Europa ausgerechnet in den abgelegenen Bergdörfern Nordwasiristans geplant werden, die das Hauptziel der Drohnenangriffe sind. Im September gab es 20 solcher Attacken, bei denen mindestens 90 Menschen getötet wurden. Die bisherige Höchstzahl von Angriffen innerhalb eines Monats hatte bei elf im Januar dieses Jahres gelegen. Schon von der großen Zahl der Opfer her ist klar, daß es sich bei den meisten nicht um hochrangige Kommandeure, sondern höchstens um sogenannte Low-Level-Fighter, einfache Stammes­krieger, handelt. Daß oft auch Unbeteiligte zu Schaden kommen, wird in Kauf genommen und von der CIA nicht einmal kommentiert.

Seit Freitag voriger Woche (24. Sep.) haben auch US-amerikanische Kampfhubschrauber in mindestens drei Fällen pakistanisches Gebiet beschossen. Die Zahl der Getöteten, die angeblich alles Angehörige des in Afghanistan kämpfenden »Haqqani-Netzwerks« gewesen sein sollen, wird unterschiedlich mit mindestens 30 und bis zu 50 angegeben. Eine Sprecherin der ISAF-Besatzungstruppen hatte zunächst behauptet, die Hubschrauber hätten flüchtende Kämpfer über die Grenze verfolgt, die vorher einen vorgeschobenen Posten auf afghanischem Gebiet angegriffen hätten. Das galt allerdings höchstens für die erste Aktion am Freitag, aber nicht für die folgenden am Sonnabend und Montag.

Das pakistanische Außenministerium bezeichnete die Übergriffe in ungewöhnlich scharfer Form als »klare Verletzung und Bruch des UN-Mandats, unter dem ISAF operiert«. Das Ministerium widersprach auch der Behauptung US-amerikanischer Stellen, daß es eine Absprache über Grenzverletzungen in Fällen von »hot pursuit«, der Verfolgung von auf frischer Tat ertappten Tätern, gebe. »Wenn es nicht zu sofortigen korrigierenden Maßnahmen kommt, wird Pakistan gezwungen sein, über Reaktionsmöglichkeiten nachzudenken«, hieß es abschließend in der Stellungnahme. Einige Medien des Landes interpretierten das als Warnung vor einer Einschränkung der Nachschubtransporte für den NATO-Krieg in Afghanistan, die zu 80 Prozent durch Pakistan laufen.

* Aus: junge Welt, 30. September 2010


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