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Pakistan: Fahrt und Feuer frei!

NATO-Nachschub soll wieder rollen / Taliban drohen mit Angriffen auf Konvois *

Sieben Monate lang rollte kein Nachschub für die NATO in Afghanistan durch Pakistan. Nun hat Islamabad seine Zustimmung für die Wiederaufnahme der Truppenversorgung gegeben. Doch wann es losgeht, ist unklar.

Nach knapp siebenmonatiger Blockade hat die pakistanische Regierung der Wiedereröffnung der Nachschubwege für die NATO-Truppen in Afghanistan offiziell zugestimmt. Wie Informationsminister Qamar Zaman Kaira am Mittwoch in Islamabad mitteilte, billigte das Kabinett eine entsprechende Empfehlung des Verteidigungskomitees vom Vortag. Wann die Konvois wieder durch Pakistan nach Afghanistan rollen können, ließ er allerdings offen.

Pakistan hatte die Nachschubwege für die Afghanistan-Schutztruppe ISAF Ende vergangenen Jahres geschlossen. Grund dafür war ein US-Luftangriff auf einen pakistanischen Grenzposten, bei dem im November 24 Soldaten getötet worden waren. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte sich am Dienstag nach langem Zögern dafür entschuldigt.

Pakistans Einsatz für Frieden in der Region sei durch den US-Angriff »beeinträchtigt« worden, sagte Informationsminister Kaira. Daher habe seine Regierung die Entschuldigung begrüßt. Teile der Opposition kritisierten die Wiedereröffnung der Nachschubrouten dagegen als »Kapitulation« vor den USA.

Bis zum Beginn der Blockade durch die pakistanische Regierung Ende 2011 bezogen die NATO-Truppen in Afghanistan rund 80 Prozent ihres Nachschubs auf dem Landweg über Pakistan. Die wichtigste Route führt vom Hafen in Karatschi durch Zentralpakistan zum Khyber-Pass, eine weitere durch die Provinz Baluchistan in Richtung Kandahar.

Nach der Ankündigung Pakistans haben die pakistanischen Taliban mit Angriffen auf die Konvois gedroht. »Wir werden nicht nur den Nachschub angreifen, sondern auch die Fahrer der Lastwagen töten«, erklärte der Sprecher von Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), Ehsanullah Ehsan, in der Nacht zu Mittwoch.

TTP gilt als Dachorganisation der pakistanischen Taliban. In den vergangenen Jahren haben die Aufständischen immer wieder Nachschubkonvois in Brand gesteckt und Fahrer erschossen. 2010 waren bei Angriffen mehr als 200 Transport- und Militärfahrzeuge zerstört worden.

Unterdessen hat in Afghanistan ein Angreifer in der Uniform der afghanischen Armee südwestlich von Kabul das Feuer auf US-Truppen eröffnet und dabei mindestens fünf Soldaten verletzt. Wie am Mittwoch aus afghanischen Sicherheitskreisen verlautete, konnte der mutmaßliche Täter nach dem Angriff am Dienstag fliehen. Ein Sprecher der ISAF bestätigte den Vorfall in der Provinz Wardak. Erst am Sonntag hatte ein uniformierter Afghane in der südlichen Provinz Helmand drei britische NATO-Soldaten getötet.

Angriffe von Extremisten in Uniformen der afghanischen Armee und Polizei auf NATO-Soldaten haben in dem Land am Hindukusch zugenommen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Juli 2012


Pakistan kapituliert

Islamabad läßt NATO-Transporte für Afghanistan-Krieg wieder zu

Von Knut Mellenthin **


Regierung in Islamabad stimmt Wiederaufnahme der Nachschubtransporte für den Afghanistankrieg zu, obwohl keine ihrer Forderungen erfüllt wurde.

Der über sieben Monate lang unterbrochene Transit durch Pakistan für den NATO-Krieg in Afghanistan kann wieder rollen. Das beschloss am Dienstag der Verteidigungsausschuss der Regierung in Islamabad. Ihm gehören außer den Ministern für die Schlüsselbereiche auch die Chefs der Streitkräfte und des Geheimdienstes an. Pakistan hatte die Nachschubwege gesperrt, nachdem am 26. November vorigen Jahres bei US-amerikanischen Luftangriffen gegen pakistanische Grenzstellungen 24 Soldaten getötet worden waren.

Während Islamabad anfangs eine umfassende Neugestaltung der Beziehungen zwischen beiden Staaten und eine angemessene finanzielle Vergütung für die Nutzung der Transitwege gefordert hatte, war am Schluss nur noch eine „Entschuldigung“ der USA für den Zwischenfall vom 26. November verlangt worden.

Am Ende langte es nicht einmal dazu. Pakistans Regierung begnügte sich mit einer Erklärung von US-Außenministerin Hillary Clinton, in der es hieß, sie und ihre pakistanische Kollegin Hina Rabbani Khar hätten in einem Telefongespräch „die Fehler eingeräumt“, die zu dem Tod der 24 Soldaten geführt hätten. Sie habe „unser tiefstes Bedauern“ über den Zwischenfall bekräftigt. Mit diesem kunstvollen Formulierungskompromiss hat Pakistan öffentlich die amerikanische Ausgangsposition akzeptiert, der Luftangriff sei durch „Fehler beider Seiten“ verursacht worden. Das „tiefste Bedauern“ hatte das Pentagon schon am 22. Dezember ausgesprochen. Damals hatte die pakistanische Regierung allerdings noch erwidert, dass ihr das als Entschuldigung nicht ausreiche.

In ihrer Stellungnahme hob Clinton außerdem hervor, dass Pakistan „im höheren Interesse von Frieden und Sicherheit in Afghanistan und in der Region“ auch künftig darauf verzichte, von der NATO oder den USA Gebühren für den Transit zu fordern. Früheren Presseberichten zufolge kassierte Pakistan allerdings in der Vergangenheit 250 Dollar pro Container und hatte angeblich in den monatelangen Verhandlungen versucht, den Preis auf 5000 Dollar anzuheben. Auf jeden Fall ist der Nachschubtransport durch Pakistan sehr viel billiger als auf dem Luftweg, aber auch erheblich günstiger als über die sogenannte Nordroute, die durch Russland und die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion führt. Die US-Regierung selbst bezifferte ihre Mehrkosten durch die Sperrung der pakistanischen Transitwege auf 100 Millionen Dollar monatlich.

Verbunden mit der jetzt erreichten Einigung ist angeblich die Freigabe von einer Milliarde Dollar „Hilfsgeldern“, die wegen des Streits blockiert worden waren. Dabei handelt es sich jedoch erstens um bereits fest vereinbarte Zahlungen, zweitens nur um etwa ein Drittel von Pakistans Forderungen, und drittens lediglich um Gerüchte, die sich auf anonyme Quellen berufen. In Clintons offizieller Stellungnahme steht davon kein Wort.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Juli 2012


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