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Doktor Khans gesammeltes Schweigen

Die USA brauchen für ihren Krieg in Afghanistan Pakistan als Partner. Deshalb tolerieren sie auch die Freilassung des Atomspions Abdul Qadeer Khan

Von Ursula Dunckern *

Ein 76-Jähriger präsentiert sich in Siegerpose: Abdul Qadeer Khan, der Vater der pakistanischen Atombombe, ist seit einer Woche auf Order des High Court von Islamabad aus fünfjährigem Hausarrest entlassen. Im Dezember 2003 hatte er im pakistanischen Fernsehen gestanden, Nukleartechnologie an Iran, Nordkorea und Libyen verkauft zu haben. Vom damaligen Präsidenten Musharraf rasch begnadigt und unter Hausarrest gestellt, blieb er seither dem Zugriff westlicher Geheimdienste sowie der Internationalen Atombehörde entzogen.

Khans Begnadigung lässt nun die indische Regierung befürchten, der leidenschaftliche Nationalist und langjährige Sympathisant der radikal-islamischen Lashkar-e-Toiba (LeT) könnte Atomwaffen in die Hände von Terroristen spielen. Die LeT - sie pflegt enge Kontakte zum pakistanischen Geheimdienst ISI - gilt als verantwortlich für die Terroranschläge in der Wirtschaftsmetropole Mumbai Ende November, die Indien und Pakistan an den Rand eines Krieges trieben.

Was bewog also Präsident Asif Zardari, den richterlichen Entschluss über Khans Freilassung abzusegnen? Das Krise zwischen Delhi und Islamabad ist kaum abgeklungen, die Macht der militanten Islamisten in Pakistan wächst auch so schon dramatisch und eine freundliche Geste zum Empfang des neuen US-Unterhändlers Richard Holbrooke in Islamabad war die Entscheidung auch nicht.

Wollte Zardari zeigen, er könne es sich leisten, Entschlüsse zu fassen, die Washington verärgern? Oder wollte er vor Eintritt in eine neue Phase der Zusammenarbeit mit den USA die heimischen Nationalisten und Islamisten beschwichtigen, um innenpolitisch nicht unter Druck zu geraeten? Nach der Ankündigung von Ex-Premier Nawaz Sharifs, die Opposition werde im März die Opposition wieder gegen die Regierung marschieren zu lassen, ist sicher Vorsicht geboten.

Bevor die US-Armee mit ihrer geplanten Großoffensive in Afghanistan beginnt, hat die Regierung in Islamabad wohl Kontur zeigen und andeuten wollen: Auch wir haben Interessen. Weil diese mit denen in Washington nicht immer identisch sind, will Pakistan unbedingt an einer regionalen Konfliktlösung beteiligt werden.

Nuklearspion unter CIA-Schutz

Der Name A.Q.Khan steht für Washingtons stillschweigende Kompromissbereitschaft, wenn es darum geht, eigene geopolitische Ziele zu verfolgen. Das Drama mit den Akten -- Khans Geständnis, Khans Begnadigung und Khans Arrest - wurde 2003 unter Assistenz der CIA inszeniert, um Präsident Pervez Musharraf, dessen Generäle tief in Khans Nukleargeschäfte verwickelt waren, als Alliierten für die USA zu retten - und dabei erpressbarer denn je zu machen. Das brachte zwar nicht den gewünschten Langzeiterfolg, erwies sich aber im US-Wahlkampf 2004 als sehr hilfreich. Musharraf gab die Rolle des Trophäen-Lieferanten, der Bushs zweiten Wahlsieg durch pünktliche Lieferung bestellter Köpfe von getöteten "High-Value-Targets" aus der Al-Qaida-Szene sicherte.

Das war nicht das erste Mal, dass die CIA als Schutzengel des Dr. Khan auftrat. Die Wurzeln dieser geheimnisvollen Verbindung reichen bis tief in die siebziger Jahre zurück. Damals schmuggelte Khan als Nuklearspion Zentrifugentechnologie und Lieferantenlisten aus niederländischen Laboratorien nach Pakistan. Er geriet dabei zweimal - in den Siebzigern wie in den frühen Achtzigern - in Haft und wurde beide Male auf Druck der CIA ohne jede Untersuchung wieder freigelassen. Khans Spionage ermöglichte es Pakistan, Indiens Vorsprung in der Atomtechnologie aufzuholen und unter Bruch geltender völkerrechtlicher Verträge eigene Atomwaffen zu bauen. Dies geschah mit Duldung der USA, die ihre offizielle Proliferationspolitik auf dem Altar geopolitischer Ambitionen opferten. Pakistans Kernwaffen waren der Preis für Pakistans Hilfe bei der "Mudjahedin-Kampagne" gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan.

Zardari hat verstanden

Angesichts dieser Vorgeschichte scheint es unwahrscheinlich, dass die plötzliche Freilassung Khans ganz ohne Absprache mit Washington erfolgte. Es sieht vielmehr so aus, als sei sie ein erstes Agreement, um Pakistan auf die neue Strategie für die große Schlacht um Afghanistan einzuschwören. Sondervermittler Holbrooke soll dazu alle politischen Kräfte sammeln und auch den pakistanischen Präsidenten vergattern, der an diesem Wochenende in einem CBS-Interview von einer drohenden Machtübernahme durch die Taliban und einem Kampf um Pakistan sprach, in dem die Armee und die Geheimdienste sein volles Vertrauen genießen.

Wie dankbar Emissär Holbrooke für derartige Statements ist, ließ sich seiner Ankündigung beim Besuch in Islamabad entnehmen, er wolle die Opposition um Nawaz Sharif davon überzeugen, demnächst nicht gegen die Regierung zu marschieren. Er wolle auch alles tun, um die Spannungen mit Indien einzudämmen. Schließlich hatte er das Angebot von Präsident Obama zu überbringen, eine gemeinsame militärstrategische Linie gegen die Militanten zu entwickeln. Generalstabschef Kayani ist bereits zu Besprechungen nach Washington gereist.

* Dieser Beitrag erschien in der online-Ausgabe der Wochenzeitung "Freitag", 15. Februar 2009; www.freitag.de


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