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Vakuum in Pakistan

Von Jochen Hippler *

Die deutsche Öffentlichkeit starrt auf Afghanistan, weil dort deutsche Soldaten stehen. Gerade hat Außenminister Steinmeier das Land erneut besucht. Dabei gerät das Nachbarland Pakistan zu oft aus dem Blick – aber auch dort herrscht Krieg. Bereits im letzten Jahr sind mehr als 9000 Menschen durch Gewalt und Terror gestorben – mehr als im benachbarten Afghanistan.

Dabei ist Pakistan international politisch viel wichtiger als Afghanistan: Das Land hat so viele Einwohner wie Deutschland, Frankreich und Spanien zusammen. Mehrere Millionen Pakistaner leben in der Europäischen Union, vor allem in Großbritannien. Und manche Spur des Terrorismus in Europa führt nach Pakistan – nicht nur bei der Sauerland-Gruppe, die jetzt vor Gericht steht. Vor allem aber: Das Land ist eine Atommacht. Es verfügt über rund 60 Atomsprengköpfe. Pakistan in Gewalt und Chaos versinken zu lassen, wäre eine Katastrophe für die internationale Politik.

Die Welle der Gewalt ist neu. Bis 2002 gab es in Pakistan keine Selbstmordanschläge, inzwischen haben sie auch die Hauptstadt erreicht. Der Aufstand begann 2002 in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze, als US-Truppen über die Grenze schossen, um Stützpunkte von Extremisten zu treffen, dabei aber immer wieder Zivilisten töteten, einschließlich Frauen und Kinder. Dann wurde die pakistanische Armee angegriffen, als diese auf Bitten Washingtons versuchte, die Grenze abzuriegeln. Letztlich hat der massive Druck der USA auf Pakistan, sich dem »Krieg gegen den Terror« anzuschließen und als amerikanische Hilfstruppe zu fungieren, fast die ganze pakistanische Bevölkerung gegen ihre Regierung aufgebracht. Dazu kommen die Korruption und Schwäche des pakistanischen Staates, die die Bevölkerung vom ihm entfremden. Zusammengenommen führte dies zu einem politischen Vakuum, das die Taliban und andere Extremisten nun füllen.

Der Afghanistan-Krieg und insbesondere die Anwesenheit der ausländischen Truppen sind wichtige Ursachen für die Welle der Gewalt in Pakistan. Letztlich hat sich der Afghanistan-Krieg nach dorthin ausgedehnt, vor allem in die paschtunischen Siedlungsgebiete. Deshalb ist die Truppenverstärkung der USA in Afghanistan auch für Pakistan keine gute Nachricht.

Die Bundesregierung hat die Bedeutung des Landes inzwischen erkannt. Ihr Engagement bleibt aber zu gering. Sie hat bisher nicht wirklich umgesteuert – weder konzeptionell noch bezüglich des Mitteleinsatzes. Auch auf Washington hat sie zur Stabilisierung Pakistans bisher nicht eingewirkt. Die westliche Politik besteht immer noch darin, es als Mittel im Afghanistan-Krieg zu benutzen – und genau dadurch zu destabilisieren.

So wird aus taktischen Gründen eine strategische Katastrophe gefördert. Stattdessen müssten vor allem die Rechtsstaatlichkeit und der Föderalismus gefördert und die Korruption bekämpft werden. Die westliche Öffentlichkeit und Politik pendeln zwischen einer Vernachlässigung Pakistans und der Hysterie über das Vordringen der Taliban. Beides trägt dazu bei, das Land immer näher an den Abgrund zu drängen. Pakistan gehört ins Zentrum der Politik und darf nicht länger als Anhängsel Afghanistans betrachtet werden.

Der Politikwissenschaftler arbeitet am Institut für Entwicklung und Frieden der Uni Duisburg-Essen.

Aus: Neues Deutschland, 2. Mai 2009 (Gastkolumne)


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