Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Richter und sein Präsident

Hintergrund. Die Karatschi-Affäre um illegale Waffendeals mit Pakistan bringt neben anderen Politikern auch Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy in Bedrängnis

Von Hansgeorg Hermann *

Karatschi, die dreizehn Millionen Einwohner zählende Hafenstadt am Ufer des Arabischen Meers am 8. Mai 2002, vormittags. Eine Gruppe von 23 Technikern und Ingenieuren fährt in einem Kleinbus vom »Jinnah International Airport«, dem größten Flughafen Pakistans, in Richtung »Naval Base«, wo drei jüngst aus Frankreich gelieferte Unterseeboote vertäut sind. Die Ingenieure sollen die pakistanische Marine in Technik und Wartung des Kriegsgeräts einweisen, bis auf wenige einheimische Begleiter kommen sie direkt aus Brest an der französischen Atlantikküste, wo der Staatskonzern DCNS (Direction des Constructions Navales Systèmes et Services) – Slogan: »Strength at sea« (Stärke zur See) – seit Zeiten des Präsidenten Charles de Gaulle kriegstaugliche Wasserfahrzeuge plant und herstellt – Kreuzer, Fregatten, Minensucher, vor allem aber nukleargetriebene Raketen-U-Boote.

Auf dem Weg zum Hafen rammt »ein mit Sprengstoff beladener Toyota-Pritschenwagen den Bus, gesteuert von einem »Fanatiker«, berichtet die Presse anderntags. Bei der Explosion sterben 14 Passagiere, zwölf werden schwer verletzt. Unter den Toten sind elf Konstrukteure und Wartungsexperten aus Brest. Der französische Auslandsgeheimdienst DGSE (Diréction Générale de la Sécurité Exterieure) recherchiert im Umfeld des pakistanischen Militärs und geht auch Spuren nach, die auf Al-Qaida und seinen Chef Osama bin Laden, den »Terrorpaten«, hinweisen.

Im Auftrag der DCNS ermittelt gleichzeitig der ehemalige Agent Claude Thévenet und liefert am 11. September einen Bericht, genannt »Nautilus«, der unter Verschluß bleibt, bis er sechs Jahre später, im Frühling 2008, im Rahmen einer gerichtlichen Untersuchung der Pariser Staatsanwaltschaft plötzlich an die Öffentlichkeit kommt. »Nautilus« nennt eine völlig andere, aus Sicht der Politik unangenehme Ursache für das Attentat. Während die Presse in Paris über Jahre mit der »Al-Qaida«-These »beruhigt« wird – globaler Terrorismus ohne Motiv, gegen den es keinen Schutz gibt – hat Thévenet schon 2002 einen Zusammenhang hergestellt zwischen dem mörderischen Anschlag und der von seiten der französischen Regierung unterlassenen Auszahlung von versprochenen Kommissionen, sprich »Schmiergeldern«, an die »Vermittler« eines milliardenschweren Waffengeschäfts mit U-Booten und Fregatten. Wer hat es eingefädelt, wer hat profitiert?

Waffen für Despoten

Im Jahre 1994 geht die zweite siebenjährige Amtszeit des sozialistischen Präsidenten François Mitterrand zu Ende. Sein Ministerpräsident ist seit 1993 ein Konservativer. Edouard Balladur, Vorsitzender der Republikanischen Partei, die zusammen mit den Gaullisten des Jacques Chirac und einigen rechten Splittergruppen die parlamentarische Mehrheit und – im Rahmen der »Cohabitation«, einer französischen Spezialität im politischen Geschäft – den Regierungschef stellt. Balladur hat sich zu diesem Zeitpunkt entschlossen, im Frühjahr 1995 bei der Präsidentschaftswahl anzutreten – gegen den von der Union der Rechtsparteien eigentlich längst erkorenen Kandidaten Jacques Chirac. Der damalige Budgetminister Nicolas Sarkozy, ursprünglich ein politischer Ziehsohn Chiracs und von diesem bisweilen als sein »Dauphin« bezeichnet, schlägt sich, völlig überraschend, auf Balladurs Seite. Er hält dessen Aussicht auf Erfolg für besser. Vor allem aber sieht er für sich die Chance, schon im zarten Alter von 40 Jahren Ministerpräsident zu werden – falls sein Kandidat Chirac ausstechen und Mitterrand beeerben sollte. Sarkozy wird Sprecher der Kampagne Balladur, die Nicolas Bazire leitet, dessen Kabinettchef im Hotel Matignon, dem Sitz des Ministerpräsidenten. Bazire wird ein enger Vertrauter des späteren Präsidenten Sarkozy und dessen Trauzeuge, als der 2008 im Elysée das ehemalige Mannequin Carla Bruni heiratet.

Am 21. September 1994 unterzeichnen Balladurs Verteidigungsminister François Léotard und sein pakistanischer Kollege einen Vertrag zur Lieferung dreier Unterseeboote der »Agosta«-Klasse, Bazire ist auch dabei. Kostenpunkt für den damals von General Pervez Musharraf und der Premierministerin Benazir Bhutto diktatorisch geführten, von den Westmächten gleichwohl umworbenen und mit Waffen versorgten Staat: 5,4 Milliarden Francs. Knapp zwei Monate später unterschreibt Léotard darüber hinaus den Vertrag »Sawari II«, der die Lieferung dreier Fregatten der Klasse »La Fayette« aus Frankreich an Saudi-Arabien bestätigt, Preis: 19 Milliarden Francs (rund drei Milliarden Euro).

Als von Frankreich offiziell benannte Vermittler des Geschäfts treten auf – die beiden Libanesen Ziad Takieddine und Abdul Rahman el-Assir. Ziel des Einsatzes dieser kundigen, skandalerprobten Waffenschieber: Überzeugungsarbeit bei den Regierungen in Islamabad und Riad. Seinerzeit und bis hin zur Ratifizierung der OECD-Konvention gegen die internationale Korruption im Jahre 1997 erlauben die französischen Gesetze die Zahlung sogenannter Kommissionen, auch für Waffengeschäfte. Um diese Schmiergelder kümmert sich seinerzeit, ebenfalls ganz offiziell, die staatliche »Société Française d’Exportation de Matériel Militaire et Aéronautique« (SOFMA). Die Gesellschaft überweist oder übergibt, je nach Wunsch, die ausgehandelten Summen an die verantwortlichen Politiker und/oder ihre Gesandten. Der Name des Empfängers bleibt jeweils geheim, nur die Geldsumme wird genannt und beim Finanzminister deklariert – schließlich handelt es sich um legale Geschäfte von Staat zu Staat. Internationaler Brauch sieht vor, daß 6,25 Prozent der laut Vertrag vereinbarten Kosten an die Vermittler gehen.

Takieddine und Rahman el-Assir stehen in Verbindung mit Verteidigungsminister Léotard, der allerdings nicht direkt mit ihnen verhandelt, sondern seinen Staatssekretär schickt, den von Gewissensbissen eher selten belasteten Klein­adligen Renaud Donnedieu de Vabres. Die Vermittler wollen vier Prozent, also bedeutend weniger als üblich. Dafür soll das Geld nicht mit Laufzeit über mehrere Jahre erstattet, sondern zu 85 Prozent schon im ersten und als Rest im zweiten Jahr ausbezahlt werden. Adressat der Vermittlungsgebühr: »Mercor Finance«, eine Briefkastenfirma in Panama, der die fälligen Millionen von einer anderen Scheinfirma, der ausschließlich zu diesem Zweck in Luxemburg gegründeten »Societé Heine«, übermittelt werden.

Chirac kappt den Geldfluß

Die Präsidentenkampagne geht nicht so aus, wie Balladur und sein neuer Verbündeter Sarkozy sich das gedacht haben. Chirac schaltet Balladur beim Vorwahlkampf der Konservativen aus und wird Kandidat des Rechtsbündnisses. Er gewinnt 1995 die Wahl gegen den Sozialisten Lionel Jospin und bleibt, nach einer zweiten Amtszeit (von 2002) bis 2007, Präsident des Landes. Sarkozy und die anderen Helfer Balladurs sind über Jahre hin aus dem engeren Kreis der rechten Macher verbannt. Sie sind politische Schuldner, die Chirac je nach Laune und Bedarf in die Regierung holt oder auch wieder verstößt.

Der neue Präsident kennt sich aus in den dunklen Hinterzimmern der Politik. Er war Bürgermeister von Paris und Ministerpräsident unter Mitterrand. Er weiß nur allzu gut, wie Kandidaten – ob für die Kommunalwahlen oder als Präsidentschaftsanwärter – ihre Wahlkampfkassen füllen. Er läßt die Verträge der Regierung Balladur mit den Saudis, Pakistani und den finsteren Helfern durchleuchten und vermutet – womöglich zu Recht – daß ein Teil der Vermittlungsgebühren, ein großer Teil sogar, als illegale »Retrokommissionen« zurück nach Frankreich verschoben wurde. Über »Mercor«, »Heine« oder andere Briefkästen. Und daß Balladur seine verräterische Kampagne, gegen ihn, den Messias der Rechten, 1995 mit diesem Geld bezahlt hat. Er stoppt persönlich die noch ausstehende Zahlung der restlichen 15 Prozent an das unüberschaubare Netz des Händlers Takieddine und holt sich 1996 bei einem Besuch in Riad für diesen Schritt sogar den Segen des saudischen Regenten Fahd.

Die Familien klagen an

Nach dem Attentat in Karatschi ermitteln auch die pakistanischen Behörden. »Schuldige« sind schnell gefunden, zwei Männer, vermutlich Terroristen, die sie für den tödlichen Anschlag verantwortlich machen: Asif Zaheer, der angeblich die Bombe baute, und Mohammad Rizwan, der den als Höllenmaschine präparierten Wagen in den Bus der Techniker gesteuert und sich mit einem Sprung aus dem Fahrzeug gerettet haben soll. Am 30. Juni 2003 spricht der Strafgerichtshof in Karatschi sie schuldig und verurteilt sie zum Tod. Knapp zwei Jahre später revidiert das Berufungsgericht des Bezirks Sind überraschend das Urteil. Die beiden Männer kommen frei, die »Islamistenspur« verliert sich.

n Frankreich gibt es, was Täter und Motiv des Anschlags betrifft, zwei Versionen. Die der Öffentlichkeit damals unbekannte, unter Verschluß gebliebene des Agenten Thévenet, der eine Beziehung herstellte zu den versprochenen aber unter dem neuen Präsidenten Chirac nicht vollständig bezahlten »Kommissionen« für die Vermittler des U-Boot- und Fregattengeschäfts. Und die offizielle, die das Attentat Osama bin-Ladens Terrornetzwerk Al-Qaida zuschreibt.

Erst 2007, nachdem in Pakistan Regierungen und Minister gewechselt haben, nachdem dort hohe Militärs in der U-Boot-Sache wegen Korruption zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind, werden auch in Frankreich neue Ermittlungen aufgenommen. Zwei Richter der Spezialabteilung zur Terrorismusbekämpfung, Marc Trévidic und Yves Jannier, stellen sich am 18. Juni 2009 mit ihrem Bericht den Familien der beim Anschlag ums Leben gekommenen Techniker. Das Resultat der Ermittlungen ist eine Art Offenbarung: Die Wahrscheinlichkeit der bereits von Thévenet ermittelten »politico-finanziellen Piste«, die bezahlten und unbezahlten Kommissionen sowie deren teilweise Umwandlung in illegale Retrokommissionen, erscheint den Richtern »grausam logisch« (cruellement logique). Der ehemalige Premierminister und Verantwortliche des Geschäfts, Edouard Balladur, dementiert sofort. Sein Wahlhelfer, der 1994 als Finanzminister zwangsläufig in den Waffenhandel eingeweihte und mitverantwortliche Nicolas Sarkozy, inzwischen Staatpräsident, nennt das Ermittlungsergebnis »grotesk«.

Am 14. Dezember 2009 erheben die Angehörigen der Anschlagsopfer von Karatschi Klage – wegen »Korruption« – gegen Edouard Balladur und seinen, wie die Familien zu verstehen geben, Kreis von Komplizen – die verantwortlichen Minister und Staatssekretäre. Die Justizbehörden erklären den vermuteten Tatbestand der Korruption für verjährt. Dennoch nimmt der Staatsanwalt von Paris, Jean-Claude Marin, vorbereitende Ermittlungen auf. Es geht, zunächst, nur um die mögliche »Veruntreuung öffentlicher Gelder«.

Im September 2010 wird der Richter Renaud Van Ruymbeke mit der offiziellen Untersuchung beauftragt – die Familien haben eine neue Klageschrift vorbereitet und eingereicht. Und Van Ruymbeke gibt sich nicht mit der angeblichen »Veruntreuung« zufrieden. Er untersucht, ob ein Teil der Vermittlungsgebühren illegal zurück nach Frankreich und in die Wahlkampfkasse Balladurs geflossen ist – und wer davon gewußt hat.

»Es ist echter Haß«

Im Frühling 2011 veröffentlichen die Journalisten Gérard Davet und Fabrice Lhomme, beide »Grand Reporter« bei der Tageszeitung Le Monde, ein Buch mit dem Titel »Sarko m’a tuer« [1] (etwa: Sarko[zy] mich getötet). Es handelt sich um eine Sammlung von 26 Interviews mit Menschen, die dem amtierenden französischen Präsidenten begegnet sind – direkt, als Politiker oder hohe Beamte. Und indirekt, als Staatsangestellte oder Geschäftsleute, Immigranten gar mit unvollkommenen Kenntnissen der Sprache – daher der grammatisch falsche Titel. Es ist, alles in allem, eine erschütternde, eine unerhörte Charakterstudie des Herrschers im Elysée-Palast. Ein Bericht darüber, wie der kleine Mann mit den hohen Absätzen seine Feinde behandelt, die politischen und die privaten, wie er mit seinen Freunden umgeht, wie er sie zu sich holt oder wegwirft, wenn er sie nicht mehr braucht, je nachdem, wenn sie seiner Meinung nach zu »dumm« für ihren Job sind oder einfach lästig.

Vierzehn Seiten des Buches sind dem Richter Renaud Van Ruymbeke gewidmet, der sich lange geweigert habe, überhaupt nur mit ihnen zu sprechen, sagen die beiden Reporter. Van Ruymbeke darf ganz zweifellos als »Opfer« des Präsidenten Sarkozy bezeichnet werden. Es ist Tatsache, daß der Staatschef den bescheidenen Pariser Untersuchungsrichter für einen »Feind« hält und dies auch vor Journalisten oft genug ausposaunt hat. »Sarkozy verabscheut ihn«, schreiben Davet und Lhomme als ersten Satz in ihren Ruymbeke-Bericht. »Das ist mehr als sicher. Es ist echter Haß.«

Für Sarkozy ist Van Ruymbeke einer dieser kleinen, unnachgiebigen und peniblen Beamten, die Karikatur eines Untersuchungsrichters, ein Kleingeist, der sich gern Politiker vornimmt und alles tut, um sie in Mißkredit zu bringen. Und es ist wahr – der Richter und sein Präsident haben nichts gemeinsam, aber auch gar nichts. Sarkozy ist ein Fan des einfach gestrickten Sonnenbrillenträgers und Altrockers Johnny Hallyday, er ist der Freund der Stars aus dem »show-biz«, er kauft gern Markenanzüge (und erzählt das auch), und er ist ein Mann, der »den Kult des großen Geldes pflegt«, heißt es treffend in dem Buch. Der Richter dagegen ist ein passionierter Hörer klassischer Musik, ein »Adept simpler Freuden«, er ist ein – im Sinne des Wortes – keuscher und zurückgezogen lebender Mann, allergisch gegen das Getue der Bussi-Gesellschaft, das »Hast-du-mich-neulich-im-TV-gesehen?«.

Der eine verbringt seinen Urlaub auf dem Landsitz seiner neuen, aus steinreicher Familie stammenden Ehefrau oder auf der Luxusyacht eines Unternehmerfreundes, der andere weigert sich, ein Mobiltelefon zu benutzen und züchtet im Garten seines Hauses bei Rennes Tomaten. Er will »korrekt« sein, der Richter, auf Teufel komm raus – und er ist es auch. Daß er seinerseits den Staatschef nicht besonders mag, ist kein Geheimnis. Aber er begibt sich nicht auf dieses schlüpfrige Terrain persönlicher Gefühle, nicht im Dienst jedenfalls. »Ich führe gegen niemanden Krieg«, sagt er, »nicht gegen Nicolas Sarkozy und auch nicht gegen jemand anderen.«

Seit die Pariser Justiz ihm den hypersensiblen Fall Balladur-Karatschi anvertraut hat, meidet der Richter Journalisten, läßt bestimmte Anrufe auf seinem Diensttelefon unbeantwortet und geht Situationen aus dem Weg, die für ihn zur Falle werden könnten. Van Ruymbeke leugnet nicht, vor allem nicht gegenüber sich selbst, daß er des Staatspräsidenten wegen schon vor einigen Jahren am Ende seiner beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten ankam. »Sarko« hat ihm, dem Richter, der im Rahmen einer anderen Staatsaffäre, genannt »Clearstream«, auch gegen den Staatschef ermitteln mußte, eine aufgrund seiner Intelligenz und seiner Leistungen im Dienst eigentlich vorgezeichnete höhere und höchste Karriere verbaut. Daß ausgerechnet Van Ruymbeke in der Affäre Balladur-Karatschi ermittelt, ist dem Chef im Elysée mehr als lästig – er und seine Getreuen halten den kleinen Richter für höchst gefährlich. Auch im Hinblick darauf, daß Sarkozy sich im Mai zur Wiederwahl stellen muß, und daß seine Chancen diesmal bedeutend schlechter zu sein scheinen als noch vor fünf Jahren.

Der Richter und sein Präsident verdanken ihre ganz persönliche, unglückliche Bekanntschaft einem schlichten Mißverständnis, schreiben die Le Monde-Journalisten in ihrem Buch. Sie haben sich 1999 kennengelernt, als beide an einem Kolloquium der französischen Richterschaft in Bordeaux teilnehmen und die Veranstalter sie für das anschließende Festbankett zu Tischnachbarn machen – »eine unglückliche Initiative«. Für den umtriebigen Bürgermeister des Pariser Nobelvorortes Neuilly scheint es zunächst wie ein Glücksfall, besser gesagt, wie ein Vorteil, an der Seite des schon damals berühmten und erfolgreichen Untersuchungsbeamten zu sitzen. Sarkozy ist zu der Zeit in der erwähnten politischen Verbannung und ist gerade dabei, sich in den wichtigen Lebensbereichen eines Politikers – Justiz, Medien, Wirtschaft – ein neues Netz für die Zukunft zu knüpfen. Wie das seine Art ist, will er Van Ruymbekes Gegenwart nicht nur genießen, sondern auch nutzen.

Er hält sich für einen unwiderstehlichen Verführer; Frauen und Männer, die Sarko kennengelernt haben, behaupten, er sei es tatsächlich. Er schenkt dem Richter folglich sein Verführerlächeln, er erzählt seine besten Witze, er vertraut ihm – ganz unter uns – das eine oder andere kleine Geheimnis an. Der reagiert nicht, er sitzt stumm neben ihm, womöglich verdutzt über soviel unerwünschte Vertraulichkeit. Schließlich zieht Sarkozy seinen, wie er meint, besten Trumpf: Er selbst ist Fußballfan und hat sich sagen lassen, daß auch Van Ruymbeke gern mal ins Stadion geht. Er bietet an, sich bei Gelegenheit gemeinsam ein Match anzuschauen. Doch der Richter ist streng – auch was den Fußball anbetrifft. Seit dort nur noch das große Geld zähle, läßt er den verstörten Sarkozy abblitzen, sei Fußball für ihn erledigt.

In seinem Buch »Libre« (Frei) schreibt Sarkozy drei Jahre später, bevor ihn Chirac »begnadigt« und in die große Politik zurückholt: »Seine (Van Ruymbekes) Replik erstaunte mich ordentlich. Ich habe ihm geantwortet, daß eine solche Abneigung gegenüber den ›Geldgeschichten‹ eigenartig sei für einen Untersuchungsbeamten der Finanzgerichtsbarkeit von Paris – wo die ›Geldgeschichten‹ das täglich Brot sind.« In einem anderen Buch mit dem Titel »Le Justicier« (Der Rächer) läßt die Autorin Dorothée Moisan einen der Teilnehmer des berühmten Banketts von Bordeaux, den Richter Jean de Maillard, erzählen: »Die Feindschaft beruht auf der Tatsache, daß er (Sarkozy) es nicht schaffte, Renaud (Van Ruymbeke) für sich einzunehmen. Im Gegenteil, das hat eine definitive Gegnerschaft begründet.«

Balladurs Immobilien

Alle Versuche, den verhaßten Richter aus der Karatschi-Untersuchung herauszudrängen, scheitern an der Unnachgiebigkeit der klagenden Familien – und am wachsenden Unmut der Richterschaft über den Rachefeldzug des Präsidenten gegen einen für ihn unbequemen Kollegen. Maître Olivier Morice, der mehrere Angehörige der Anschlagsopfer vertritt, läßt am 13. Dezember 2010 Chantal Arens, die Präsidentin des zuständigen Pariser Gerichts, wissen: »Die Zivilparteien lassen sich nicht von den Machenschaften in der Pariser Gerichtsbarkeit täuschen. Falls die angekündigten Maßnahmen (neue Recherchen im Fall Karatschi und ein damit eventuell verbundener Austausch des zuständigen Untersuchungsrichters) zum Ziel haben, einen anderen als den Richter Van Ruymbeke einzusetzen (...) und weil man auch weiß, daß der Richter Van Ruymbeke nicht aufhört, dem Präsidenten Nicolas Sarkozy zu mißfallen, in diesem Fall werden die Zivilparteien weder schweigen noch tatenlos zuschauen.«

»Der Präsident hat sich in Van Ruymbeke in jeder Beziehung getäuscht«, resümieren Davet und Lhomme ihren Bericht über den Richter und seinen Präsidenten. »Van Ruymbeke ist kein ›Antisarkozyste‹. Er ist der Anti-Sarkozy schlechthin.« Von den Anwälten der Familien, den Journalisten, einer breiten Öffentlichkeit und letzlich auch von den Kollegen in der Justiz gedeckt und beschützt, verfolgt der Richter seit der Warnung des Maître Morice vorerst unbehelligt seine Ermittlungen. Sie haben ihn im Oktober des vergangenen Jahres zurück zu den Ursprüngen der Affäre, zu den Geschäften des ehemaligen Premierministers Edouard Balladur geführt.

Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht Balladurs Erwerb einer geradezu fürstlichen Immobilie in der Normandie, an der Perpherie des Luxus-Badeortes Deauville, einer Kleinstadt, die bekannt ist für ihr Spielkasino und die Pferderennbahn. »Balladur, immer sehr auf gute Manieren bedacht, wird die Prozedur schockierend finden«, schreibt daraufhin das Politikmagazin L’Express und berichtete ausführlich darüber, wie Van Ruymbekes Ermittler sich seit einigen Monaten intensiv um den Grunderwerb auf dem Mont Canisy kümmern, den Balladurs Ehefrau Marie-Josèphe im Juni 1996 – nur ein Jahr nach der verlorenen Präsidentschaftskandidatur – tätigte. »Es ist wahr«, staunt der Express-Autor Jean-Marie Pontaut, »das Anwesen hat Klasse. Wir befinden uns hier in der schicksten Gegend der Küste. Das Haus, mit Blick auf das Meer, hat 13 Zimmer, darunter fünf Schlafräume, einen Filmsaal, vier Badezimmer, einen Tennisplatz und ein Schwimmbecken, das mit Mosaik gekachelt ist. Diese schöne Normannin (gemeint ist das Haus) mit ihrer Fachwerkfassade und der Schloßatmosphäre, repräsentiert in der Gegend das Feinste vom Feinen.«

Was den Ermittlern allerdings interessanter und wichtiger erscheint an der Immobiliengeschichte ist die Tatsache, daß die Balladurs – bevor sie die mondäne Immobilie auf dem Mont Canisy für 7,3 Millionen Francs kauften, schon eine andere luxuriöse Villa im Herzen des Badeorts besaßen. Das Anwesen, genannt »Grany Lodge«, sei bereits 1970 von Marie-Josèphe per Barzahlung erworben worden und seither der traditionelle Feriensitz der Familie gewesen. Seit Juni 1996 verfügen die Balladurs plötzlich über zwei riesige Feriendomizile am selben Ort. Zwei Jahre später bewegt sich die Situation erneut. Im September 1998 verkauft Madame Balladur »Grany Lodge« für 3,7 Millionen Francs, das Geld kommt bar auf den Tisch, auch diesmal. Und im Februar 2005 schließlich veräußert ihr Gatte Edouard auch das Schloß auf dem Berg, in neuer Währung, die Käufer zahlen 1,735 Millionen Euro bar auf den Tisch. Ein Schnäppchen, finden die von den Ermittlern und der Presse rasch befragten Immobilienexperten. In der Tat – die Käufer des Balladur-Anwesens bieten es heute ihrerseits zum Verkauf, diesmal für den doppelten Preis, für mehr als drei Millionen Euro.

Von den Express-Journalisten zu den seltsamen Immobiliengeschäften in der Normandie befragt, erklärt sich der ehemalige Regierungschef, der ehemalige Mentor des gegenwärtigen Präsidenten Nicolas Sarkozy, eher vage: »Wir haben immerhin 20 Jahre in Deauville verbracht«, sagt er Ende Oktober, »aber das Leben in der Stadt (!) wurde uns zu kompliziert, die Leute haben mich auf der Straße erkannt. Meine Frau wollte daher lieber aufs Land. Was das Haus Casigny betrifft, haben wir freilich ein schlechtes Geschäft gemacht, aber wir wollten es schnell loswerden. Mehr habe ich nicht zu sagen. Weil man mich wegen der Karatschi-Affäre nicht kriegt, werden nun andere Geschichten erfunden, und man stürzt sich hemmungslos auf diese Haus-Geschichte.«

Aus der »Haus-Geschichte«, wie Balladur sie nennt, könnte auch eine Geschichte über Geldwäsche werden. Was sonst sollte den strengen Richter Renaud Van Ruymbeke am Verkauf zweier Immobilien durch einen ehemaligen Regierungschef interessieren? Noch immer stellt sich den Ermittlern nämlich die Frage, was aus den unzweifelhaft aus den Kommissionen des Waffengeschäfts mit Saudi-Arabien und Pakistan abgezweigten und nach Frankreich zurückgeflossenen illegalen Retrokommissionen geworden ist, den Millionen aus dem Milliarden-Handel, wohin sie verschwunden und wo sie letztlich geblieben sind.

Der damalige Budgetminister und heutige Staatspräsident Sarkozy »weiß von nichts«, obwohl er als Minister die Bezahlung der – legalen – Kommissionen genehmigen und abzeichnen mußte. Van der Ruymbeke, sein hartnäckiger Richter, hat inzwischen schon all jene vernommen, die damals mit in den Ministerien und mit im Geschäft waren. Den Staatssekretär ­Renaud Donnedieu de Vabres beispielsweise, den er kurzfristig in Untersuchungshaft nahm, ebenso wie den engen Freund und Trauzeugen Nicolas Barzire. Das Ende und vor allem das Ergebnis der Ermittlungen ist ungewiß. Daß der Richter Van Ruymbeke dem Staatschef in dieser ekligen, ja blutigen Sache schon sehr nahe gekommen ist, wird im Elysée mit großer Sorge registriert. In drei Monaten muß sich Sarkozy dem Wahlvolk stellen.

[1] »Sarko m’a tuer«, 2011, Edition Stock, Paris

* Aus: junge Welt, 26. Januar 2012


Zurück zur Pakistan-Seite

Zur Frankreich-Seite

Zur Waffenexport-Seite

Zurück zur Homepage