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Luftangriffe als Gastgeschenk?

US-amerikanischer Druck zwingt Pakistan in den Bürgerkrieg

Von Knut Mellenthin *

In Pakistan haben sich die Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Offensive der Regierungstruppen in Swat weiter verstärkt. Der Bezirk in der Nordwest-Grenzprovinz (NWFP) gilt als Hochburg der Taliban. Ein militärisches Vorgehen gegen Swat würde wahrscheinlich zum endgültigen Zusammenbruch des ohnehin brüchigen Waffenstillstands mit den islamistischen Rebellen führen, der im Februar geschlossen wurde.

Der oberste Regierungsvertreter in Swat forderte an Dienstag die Bevölkerung mehrerer Orte auf, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen. Das gilt in Pakistan als übliche Vorankündigung, daß massive Luftangriffe auf diese Gebiete unmittelbar bevorstehen. Die systematische Entvölkerung bestimmter Gegenden ist ein zentrales Element der Aufstandsbekämpfung im Nordwesten Pakistans. Fast 600000 Bürgerkriegsflüchtlinge sind in dieser Region beim Welternährungsprogramm der UNO registriert. Die Gesamtzahl der Vertriebenen wird auf bis zu eine Million Menschen geschätzt. Die pakistanische Regierung unternimmt kaum Hilfsmaßnahmen.

Auch in Swat machten sich am Dienstag nach der Aufforderung des Regierungsvertreters wieder Hunderte mit ihrem wenigen Besitz zu Fuß oder in überfüllten Bussen auf die Flucht, insbesondere aus der Bezirkshauptstadt Mingora. Dort haben inzwischen in Erwartung der Regierungsoffensive schwerbewaffnete Taliban die Kontrolle über alle wichtigen Punkte übernommen und befestigte Stellungen auf den Dächern höherer Gebäude errichtet. Mehrere Polizeistationen wurden gesprengt, nachdem die staatlichen Sicherheitskräfte ohne Widerstand abgezogen waren.

Eine Großoffensive der Regierung gegen Swat wird weithin als pakistanisches »Gastgeschenk« für die morgen beginnenden Gespräche in Washington zwischen US-Präsident Barack Obama und seinen Kollegen aus Pakistan und Afghanistan, Asif Ali Zardari und Hamid Karsai, erwartet. Zardari, dessen Ansehen im eigenen Land sich auf einem Tiefpunkt befindet, steht schon seit Monaten unter starkem amerikanischen Druck, den Krieg gegen die Taliban massiv zu verstärken. Gleichzeitig hat im US-Kongreß die Debatte über ein Gesetz begonnen, das Militär- und Wirtschaftshilfe für Pakistan vom Wohlverhalten der Regierung in Islamabad abhängig macht.

* Aus: junge Welt, 6. Mai 2009

Krisengipfel

Von Olaf Standke **

Die Kernwaffen in Pakistan sind »sicher«. Dieser gestrige Satz des US-amerikanischen Generalstabschefs Michael Mullen erinnert fatal an Norbert Blüm und die Renten. Nur hätte ein Irrtum dieses Mal eine verheerendere Wirkung. Versinkt das islamische Land mit seinen maroden und korrupten staatlichen Strukturen und einem auf 60 Nuklearsprengköpfe geschätzten atomaren Arsenal im Chaos, wäre das ein Desaster nicht nur für die Region.

So wird die Sorge über den Taliban-Vormarsch auch dort das von Ba-rack Obama einberufene Treffen der Präsidenten Pakistans, Afghanistans und der USA in Washington prägen. Experten stufen die von der Entwicklung in Pakistan ausgehenden Gefahren seit geraumer Zeit sogar höher ein als jene, die mit Afghanistan verbunden sind. Doch das hat sich bisher in der Politik gegenüber Islambad viel zu wenig widergespiegelt, nicht nur mit Blick auf das Vorgehen Washingtons.

Denn Pakistan ist längst mehr als ein Rückzugsgebiet für die militanten Fundamentalisten vom Hindukusch. Im Lande herrscht praktisch Krieg mit Tausenden Toten, den die USA mit ihren vor allem für Zivilisten tödlichen Raketenangriffen nur noch angeheizt haben. Militärische Lösungen für das selbst geschaffene Dilemma wird es in Pakistan so wenig geben wie im benachbarten Afghanistan. Daran muss sich der heutige Mini-Gipfel messen lassen.

** Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2009




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