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Öl ins Feuer

Verbalattacke des afghanischen Präsidenten eskaliert Spannungen im Verhältnis zum Nachbarn Pakistan. Washington als Drahtzieher vermutet

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Washingtons Haltung zu den gewachsenen Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan erscheint derzeit widersprüchlich. Während US-Präsident George Bush zum Ende seiner Europareise auf einem vorgeblichen »Recht« Afghanistans besteht, »Terroristen« auf pakistanischem Gebiet anzugreifen, versuchten die Außenpolitiker daheim im Weißen Haus, die Kontroverse zwischen Kabul und Islamabad herunterzuspielen. Sie appellierten an beide Seiten, »im Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu kooperieren«.

US-Kriegsminister Robert Gates bezeichnete zudem die Situation im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet als ernst. In der vergangenen Woche hatte es dort Kämpfe zwischen Aufständischen und afghanischen Soldaten gegeben, in die NATO-Militär eingriff und einen pakistanischen Grenzposten bombardierte. Dabei wurden 13 pakistanische Soldaten und mindestens 14 Zivilisten getötet. Außerdem stürmten Taliban das Zentralgefängnis von Kandahar und befreiten über 1100 Häftlinge. Und sie brachten acht afghanische Dörfer unter ihre Kontrolle. Gründe genug dafür, daß den Pentagonstrategen die Haare zu Berge stehen. Afghanistans Präsident Hamid Karsai hatte am Sonntag Pakistan erstmals offen mit Militärschlägen gedroht, um »in Selbstverteidigung Terrornester« auf des Nachbarn Gebiet zu zerstören, wenn dieser dazu nicht in der Lage sei. Er warnte namentlich die Taliban-Führer Mullah Omar und Baitullah Mehsud, Kabul würde sie in ihren pakistanischen Verstecken fassen. Afghanistan verfüge hierfür heute über die Mittel, behauptete er. Ermutigt fühlte sich Karsai zu seiner Verbalattacke offensichtlich durch die Übergriffe der US-NATO-Truppen auf pakistanische Stammesgebiete und durch eine Studie der US-amerikanischen strategischen »Denkfabrik« Rand Corporation. Diese will herausgefunden haben, daß der pakistanische Geheimdienst ISI und Kräfte im Militär angeblich »aktiv Taliban-Insurgenten unterstützen«.

Islamabad hat Karsais Beschuldigungen und Drohungen vehement zurückgewiesen, Kabuls Botschafter ins pakistanische Außenministerium zur Entgegennahme des Protestes bestellt und durch Außenminister Mahmud Shah Qureshi unmißverständlich seine Position erklärt. Dieser nannte Karsais »unverantwortliches Drohstatement bedauerlich« und bekräftigte, Pakistan werde seine territoriale Souveränität verteidigen. Die pakistanische Zeitung The News spekulierte, Kabul habe diese jüngste Affäre im Auftrag der USA inszeniert.

Inzwischen ruderte Hamid Karsai zurück. Vor pakistanischen Journalisten sagte er zu Wochenbeginn, seine Erklärung sei nicht gegen Pakistan gerichtet gewesen. Er habe lediglich Kabuls Recht auf Selbstverteidigung unterstreichen wollen. Er halte die neue Regierung in Islamabad nicht für die gegenwärtige Lage verantwortlich und sei auch nicht dagegen, wenn Pakistan mit seinen Stammesmilizen und den Taliban Friedensabkommen aushandele. Offensichtlich verpflichtete Wa­shington seinen Statthalter in Kabul nunmehr zur Schadensbegrenzung, nachdem dieser mit seinen Drohungen erst noch mehr Öl ins Feuer geschüttet hatte.

* Aus: junge Welt, 18. Juni 2008


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