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Kriegsnachschub stockt

Islamabad hält Checkpoints geschlossen. Pakistans Militär will "nicht ausschließen", daß NATO-Luftangriff auf Stellungen an Grenze zu Afghanistan absichtlich erfolgte

Von Knut Mellenthin *

In Pakistan hängen Hunderte Last- und Tankwagen mit Nachschub für den NATO-Krieg in Afghanistan fest. Die Regierung in Islamabad hatte am Sonnabend die Schließung der Grenzübergänge Torkham und Chaman angeordnet, nachdem in den frühen Morgenstunden 24 Soldaten bei einem Luftangriff der NATO auf zwei benachbarte Stellungen an der Grenze getötet worden waren.

Nach einem früheren Zwischenfall im September 2010, bei dem zwei pakistanische Soldaten getötet worden waren, hatte Islamabad nur den Übergang in Torkham am Khyberpaß gesperrt. Die Maßnahme wurde erst zehn Tage später aufgehoben, nachdem die US-Regierung sich entschuldigt hatte. Aufständische hatten die Zwischenzeit genutzt, um 150 der abgestellten Tankwagen zu zerstören.

Der Angriff vom Sonnabend war der schwerste derartige Fall seit Beginn des Afghanistan-Krieges. Der Sprecher der pakistanischen Streitkräfte, Generalmajor Athar Abbas, gab am Montag in einer Presseerklärung bekannt, daß in den vergangenen drei Jahren insgesamt 72 Soldaten durch grenzüberschreitende NATO-Attacken getötet und weitere 250 Angehörige der Sicherheitskräfte verletzt wurden. Bei dem bis zum vergangenen Sonnabend folgenschwersten Angriff starben im Juni 2008 elf Mitglieder des Grenzcorps.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte Abbas, daß Pakistan die bisherigen Äußerungen der NATO und der USA nicht als Entschuldigung akzeptiere. Der jüngste Luftangriff könne »ernste Folgen für das Niveau und das Ausmaß unserer Zusammenarbeit« haben.

Inzwischen veröffentlichen die westlichen Mainstream-Medien immer mehr Aussagen anonymer Informanten, die von einer »gerechtfertigten Selbstverteidigung« sprechen. Angeblich sei kurz vor dem Zwischenfall eine gemeinsame Spezialoperation afghanischer und US-amerikanischer Soldaten von Pakistan aus beschossen worden. Daraufhin hätten deren Befehlshaber Luftunterstützung angefordert. Von afghanischer Seite wurde sogar der explizite Vorwurf laut, daß das feindliche Feuer von den pakistanischen Stellungen aus gekommen sei.

Abbas kommentierte das in seiner Presseerklärung eher vorsichtig mit der Formulierung, er könne »nicht ausschließen«, daß der Schlag gegen die zwei Grenzstellungen von der NATO in voller Absicht durchgeführt wurde. »Das war ein total unprovozierter Angriff. Die Grenzposten waren sichtbar und gut ausgebaut, oben auf einem Höhenrücken gelegen, mit Betonunterständen. Aufständische operieren nicht von Berggipfeln und von Betonbauten aus.« Die Luftangriffe hätten über eine Stunde lang gedauert, ohne daß die NATO irgendeinen Versuch unternommen hätte, die pakistanische Seite über das eigens zur Vermeidung von Grenzzwischenfällen geschaffene Koordinationssystem zu kontaktieren. Im übrigen seien der NATO schon vor einiger Zeit genaue Karten mit allen pakistanischen Stellungen übergeben worden.

Starke Beachtung fand in westlichen Medien die chinesische Stellungnahme. Der Sprecher des Außenministeriums, Hong Lei, erklärte: »China ist tief erschüttert über diese Ereignisse. Es drückt sein starkes Mitgefühl für die Opfer und sein umfassendes Beileid für Pakistan aus.« Peking sei der Überzeugung, »daß Pakistans Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität respektiert werden müssen. Der Zwischenfall sollte gründlich untersucht und angemessen behandelt werden.«

* Aus: junge Welt, 29. November 2011


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