"Die Leute dachten, Pfizer biete humanitäre Hilfe"
US-Gericht verurteilte Pharmakonzern wegen Medikamententests in Nigeria. Ein Gespräch mit Oliver Moldenhauer *
Oliver Moldenhauer ist Koordinator der Kampagne der »Ärzte ohne Grenzen« für den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten.
Der Pharmakonzern Pfizer muß sich vor Gericht wegen Medikamententests an
200 Kindern in Nigeria verantworten - das Oberste Gericht der USA hatte
vergangene Woche dessen Einspruch abgelehnt. Elf Jungen und Mädchen
starben, viele weitere sollen lebenslängliche Behinderungen haben.
Pfizer bestreitet den Vorwurf, und will seine Aktion als humanitäre
Geste verstanden wissen ...
Wir begrüßen, daß das Gericht so geurteilt hat und damit Firmen wie
Pfizer in Verantwortung nimmt. In ärmeren Ländern müssen dieselben
ethischen Standards wie in reichen Industrienationen gelten, wenn man
wie dieser Pharmakonzern Medikamententests durchführt. Dazu gehört, daß
die Patienten oder - weil es sich in diesem Fall um Kinder handelt -
ihre Eltern informiert werden müssen, wenn Medikamente getestet werden
sollten.
Und das war nicht der Fall, als der Konzern Pfizer vor 15 Jahren das
unerprobte Antibiotikum Trovan an Kinder in der Provinz Kano im Norden
Nigerias, verabreichte?
Den Eltern war der Unterschied zwischen dem humanitären Einsatz von
»Ärzte ohne Grenzen« und Pfizers Medikamententestes nicht klar. Der
Konzern hatte sein Zelt vor 15 Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft zu
unserer Station aufgestellt. So kam es zur Verwechslung. Die Leute
dachten, Pfizer biete ebenfalls humanitäre Hilfe.
Welche Auswirkungen hat der Skandal auf Ihre Arbeit und die anderer
entwicklungspolitischer Organisationen?
Aufgrund eines solchen Verhaltens sinkt das Vertrauen der Bevölkerung
gegenüber ausländischen Organisationen. Die Skepsis, sich in ärztliche
Behandlung zu begeben oder sich impfen zu lassen, wird anwachsen. Es
gibt allerdings auch einen Vorteil: Regierungen der Länder,
Zulassungsbehörden und die Patienten selber werden die Kontrolle
erhöhen. Sie werden fordern, daß sich die Pharmaindustrie an harten
ethischen Vorgaben orientiert. Minimalstandard ist die Zustimmung zu
solchen Tests. Sichergestellt sein muß, daß Medikamententests der
Bevölkerungsgruppe nutzen, an der getestet wurde. In diesem Fall hat
Pfizer das Medikament in Nigeria ausprobieren wollen, um es anschließend
in den Vereinigten Staaten zuzulassen. Davon hätten die Nigerianer
nichts gehabt.
Werfen Sie dem Konzern vor, aus reiner Profitgier gehandelt zu haben?
Die Beweggründe von Pfizer kenne ich nicht. Klar ist jedoch, daß sie
ethische Standards verletzt haben.
Was können Organisationen wie »Ärzte ohne Grenzen« tun, um sich von
solchen Machenschaften großer Pharmakonzerne zu distanzieren?
Wir werden weitermachen wie bisher. Das heißt, für absolute Transparenz
und Klarheit sorgen und den Patienten sagen, welche Verfahren und
Medikamente wir anwenden, woher wir unsere Mittel erhalten und wie wir
uns finanzieren. »Ärzte ohne Grenzen« hat dafür von der
Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers
(PwC) den Transparenzpreis verliehen bekommen. Klar ist, daß unser
Interesse nicht ist, Profit zu erwirtschaften, sondern den Menschen zu
helfen.
Wie stehen Sie zu Medikamententests in Entwicklungsländern?
Wir stecken in einem Dilemma: Einerseits brauchen wir die Tests für
dringend notwendige neue Medikamente, gerade auch für Krankheiten, die
nur in diesen Ländern auftreten. Beispielsweise kann man eine Arznei
gegen die Schlafkrankheit nicht in Europa testen, weil die Krankheit
dort nicht auftritt. Doch auch in einem armen Land wie Nigeria sind die
härtesten ethischen und medizinischen Standards einzuhalten. Es darf
nicht sein, daß ein Medikament getestet wird - und danach in dem
entsprechenden Land gar nicht auf den Markt kommt. Etwa mit der Folge,
daß selbst die Testpersonen nicht behandelt werden können, bis sie
geheilt sind.
Zugleich müssen wir erleben, daß sich die Europäische Union bei
Verhandlungen für Freihandelsabkommen dafür ausspricht, daß Testdaten
von anderen Firmen nicht weiter verwendet werden dürfen. Das will man
veranlassen, um Konzernen Konkurrenz vom Leib zu halten - wie es den
Patienten dabei geht, ist hierbei offenbar nicht von Interesse.
Interview: Gitta Düperthal
* Aus: junge Welt, 6. Juli 2010
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