Herero und Nama fordern Gerechtigkeit
Häuptlinge Riruako und Frederick nennen Einzelheiten eines "Wiedergutmachungspakets"
Von Rolf-Henning Hintze *
Die Niederschlagung des Aufstands der Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 gehört zu
den blutigsten Kapiteln deutscher Kolonialgeschichte im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Beide
betroffene Volksgruppen kämpfen jetzt erstmals gemeinsam um eine Wiedergutmachung für den
Völkermord.
Der traditionelle Führer der Herero, Häuptling Kuaima Riruako, und der Nama-Häuptling David
Frederick einigten sich kürzlich auf ein gemeinsames »Positionspapier zu Völkermord und
Wiedergutmachung«. In dem Papier umreißen sie zum ersten Mal ihre materiellen Forderungen. Die
beiden Häuptlinge betonen in ihrer Erklärung, die jetzt auch in Deutschland vorliegt, dass der
Völkermord von der deutschen Bundesregierung eingeräumt worden ist. Sie verweisen auf einen
einstimmig angenommenen Antrag des namibischen Parlaments, der Entschädigung dafür fordert.
Eine Abfuhr erteilen Riruako und Frederick der »Sonderinitiative«, die von Berlin ohne Einbeziehung
der traditionellen Führer beschlossen wurde. Sie enthält ein entwicklungspolitischen Programms in
Höhe von 20 Millionen Euro. Dies sei ein Versuch, vom Völkermord »abzulenken«. Gegenüber
Bundesregierung und Bundestag, Regierung und Nationalversammlung Namibias wie auch
gegenüber der internationalen Gemeinschaft fordern sie »als betroffene Nachkommen der
Überlebenden des Völkermords« von Deutschland eine »gerechte Wiedergutmachung«.
Da ihre Vorväter außer den Verlusten an Menschenleben auch Land, Viehherden und anderes
Eigentum ohne Entschädigung verloren hätten, beschreiben die beiden Häuptlinge ein
Wiedergutmachungspaket, das fünf Maßnahmen umfassen sollte: Da geht es um den Kauf von
Land, auf dem vertriebene und enterbte Menschen angesiedelt oder wiederangesiedelt werden
könnten, und um den Bau von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, die den Nama und Herero
oder der namibischen Regierung zum Nutzen aller Menschen in Namibia übergeben werden sollten.
Der Bau von Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Telekommunikation, Gemeindekulturzentren,
Transportsystemen und Landwirtschaftseinrichtungen ist eine weitere Forderung. Die Qualifizierung
von Angehörigen ihrer Volksgruppen zu Ingenieuren, Architekten, Medizinern, Juristen,
Umweltexperten, Landwirtschaftsfachleuten und Meeresbiologen sollte durch Stipendien gefördert
werden. Und schließlich sollte ein Fonds geschaffen werden, der die Nachhaltigkeit dieser Vorhaben
unterstützt. Riruako und Frederick erklären, die Liste könne verlängert werden, aber sie reiche aus,
um eine Vorstellung davon zu geben, »was wir im Sinne haben, wenn wir von Wiedergutmachung
und danach von Versöhnung und Vergebung sprechen«.
Die Regierungen beider Staaten sollten wissen, heißt es in dem Papier weiter, dass es den Herero
und Nama nicht um eine Konfrontation mit der Bundesregierung oder dem deutschen Volk gehe,
»aber wir suchen Wiedergutmachung für die Fehler der Vergangenheit, damit die Wunden heilen
können und wirkliche Versöhnung und friedliche Koexistenz zwischen den Nama und Herero und
den Deutschen in unserem Land und dauerhafte freundschaftliche Beziehungen zwischen den
beiden Ländern geschaffen werden«.
Riruako und Frederick wiederholen ihren Wunsch nach einem »dringenden Dialog«. Zunächst
sollten alle betroffenen Parteien zusammenkommen, um den Inhalt des Dialogs zu bestimmen. Die
Bundesregierung lehnt das bislang ab.
Die in Bonn ansässige Informationsstelle Südliches Afrika (ISSA) unterstützt die Forderung nach
einem Dialog und nach Wiedergutmachung seit langem. Ihr stellvertretender Vorsitzender Reinhart
Kößler erklärte gegenüber ND, das Positionspapier der beiden Häuptlinge widerlege zahlreiche
Darstellungen in der deutschen Presse, wonach es den Herero und Nama um Geldzahlungen gehe.
Der Beginn eines »Dialogs in Augenhöhe« mit den Repräsentanten der Herero und Nama sei
vordringlich, um das Verhältnis endlich zu entspannen.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Januar 2008
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