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Bitternis und Wut

Herero und Nama fordern Entschuldigung und Entschädigung für Kolonialverbrechen in Deutsch-Südwestafrika

Von Christian Selz, Windhuk *

Festus Muundjua schreitet den Bauzaun ab, der den fertigen, aber noch nicht eröffneten Neubau des Staatsmuseums von der Robert-Mugabe-Avenue trennt. »Beim Bau des Museums haben die Arbeiter dort Knochen gefunden«, erzählt der 75jährige Historiker, Spuren des Konzentrationslagers, in das die deutschen Truppen während des Völkermordes an den Nama und Herero zwischen 1904 und 1908 ihre Gefangenen pferchten. Direkt gegenüber bauten die Deutschen ab 1907 in Sichtweite ihre Christuskirche, noch immer das Wahrzeichen von Windhuk.

Einzig das koloniale Reiterdenkmal mußte für den protzig-überdimensionierten Museumsneubau seinen Platz über den Gebeinen der Ermordeten räumen und steht jetzt 100 Meter südlich. Muundjua möchte wissen, was darauf geschrieben steht – keine angenehme Aufgabe für einen deutschen Journalisten. »Zum ehrenden Andenken an die tapferen deutschen Krieger« wurde der triumphierende Schutztruppenreiter hier am 27. Januar 1912 zum 53. Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. errichtet. Gedacht wird der deutschen Opfer: Soldaten, Zivilisten, vier Frauen und ein Kind. Muundjua nickt kurz und schweigt einen Moment.

»Es wird also nur eines Kindes gedacht«, sagt er dann leise. Muundjua ist selbst Herero, Schirmherr des »Ovaherero Völkermord Komitees« und Sprecher des obersten traditionellen Anführers seiner Volksgruppe, Paramount Chief Kuaima Riruako. »Und die Verluste der gegnerischen Seite?«, fragt er schließlich bitter. Den Schätzungen zufolge sind bis zu 100000 Herero und Nama in den Schlachten, Konzentrationslagern oder als Vertriebene in der Kalahari-Wüste umgekommen. Ihrer wird mit dem Denkmal nicht gedacht. Das ist das eine. Daß die heutige Bundesregierung den Völkermord noch immer nicht gesteht, das andere. Die Herero fordern von Berlin ebenso wie die Nama eine Entschuldigung für die Greueltaten der kaiserlichen Truppen und Reparationen für ihre Verluste. Im deutschen Außenministerium versteckt man sich allerdings hinter einem juristischen Winkelzug: die BRD trat der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes erst 1955 bei, und diese gelte nicht rückwirkend. Außerdem wird immer wieder auf die umfangreiche deutsche Entwicklungsförderung in Namibia hingewiesen.

Daran hat sich auch nach der peinlich verlaufenen Übergabe von 20 der zwischen 3000 und 10000 geraubten Schädel Ende September 2011 in der Berliner Charité nichts geändert. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP) hatte damals von »Bedauern« und »Versöhnung« gesprochen, eine offizielle Entschuldigung für die Greueltaten aber genauso abgelehnt wie Reparationen für die Nachfahren der Opfer des Völkermordes. Zudem verließ Pieper, begleitet von Buhrufen, den Saal, noch bevor der Sprecher der Delegation aus Namibia ans Rednerpult treten konnte. Muundjua, damals Mitglied der namibischen Delegation, berichtet auch von den Irritationen, die die Weigerung der Bundesregierung in Namibia ausgelöst hat, die Gebeine in einer offiziellen Zeremonie zu überreichen.

Diese Respektlosigkeit könnte für Deutschland allerdings noch Folgen haben, weil sie auch die namibische Regierung erzürnt hat. Der deutsche Botschafter in Namibia, Egon Kochanke, goß weiteres Öl ins Feuer. So erhob er den Vorwurf, die namibische Regierung lasse sich von den Herero und Nama lenken. Dafür wurde er von Staatspräsident Hifikepunye Pohamba aus dem State House geworfen. Hatte die von der Bevölkerungsgruppe der Ovambo dominierte SWAPO-Regierung die Reparationsforderungen bisher nicht unterstützt und diplomatisch blockiert, nahm das Parlament nun einstimmig eine Vorlage an, nach der der Völkermord als solcher anerkannt und mit der zwingenden Forderung nach Reparationen verbunden ist.

Daß daraus eine offene Forderung der namibischen Regierung wird, glaubt Muundjua dennoch nicht. »Hinter vorgehaltener Hand flüstern sie, daß sie Angst haben, die Beziehungen zu Deutschland und die Entwicklungshilfezahlungen zu riskieren«, sagt der über interne Debatten bestens informierte Historiker. Er hofft dennoch auf mehr Unterstützung aus den eigenen Reihen und schließlich auf eine Verhandlungslösung mit Deutschland. »Wir wollen die deutsche Regierung nicht bloßstellen oder beschämen, wir wollen einen Dialog.« Ohne den, so sagt er, ließe sich die Wut der mittellosen Herero nicht besänftigen. »Man kann nicht vorhersagen, was passiert, wenn die Herero an den Punkt getrieben werden, an dem sie explodieren«, warnt er. »Wenn sie jetzt jemand aufruft, die deutschen Farmen anzugreifen, werden sie losbrechen.«

Der deutsche Bundestag hat am Donnerstag abend einen Antrag der Linksfraktion auf Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika mit den Stimmen der Regierungskoalition bei Enthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

* Aus: junge Welt, 24. März 2012


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