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"Mit verbalen Erklärungen, die die Selbsttäuschung übertünchen, können Konflikte nicht gelöst werden"

Zur Resolution 1850 des UN-Sicherheitsrats vom 16. Dezember 2008

Von Werner Ruf

Die Resolution 1850 des UN-Sicherheitsrats, die am 16. Dezember 2008 fast einstimmig verabschiedet wurde, stimmt bereits in der Überschrift, die ihr die Pressestelle der Vereinten Nationen in ihrer Pressemitteilung gegeben hat, nachdenklich: „Der Sicherheitsrat bekräftigt seine Unterstützung für die Ergebnisse von Annapolis und erklärt Verhandlungen für ‚unumkehrbar’“. In der Tat betont er in Punkt 1. und 2. die Verhandlungen von Annapolis und die seither im Gang befindlichen bilateralen Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas. Ferner ruft er beide Seiten dazu auf, ihre Verpflichtungen im Rahmen der so genannten Roadmap, der Straßenkarte für den Frieden, zu erfüllen, die unter Aufsicht der Quartetts, bestehend aus den UN, USA, EU und Russland, geführt werden. Ebenso verweist sie auf die von der Arabischen Friedensinitiative formulierten Grundsätze.

Die Resolution wurde mit 14 Stimmen verabschiedet, einzig Libyen, derzeit nicht-ständiges Mitglied der Sicherheitsrats, enthielt sich der Stimme mit der Begründung, die humanitäre Situation in der Region habe sich seit Beginn des Annapolis-Prozesses weiter verschlechtert, der Sicherheitsrat müsse schnell handeln, um die Zivilbevölkerung zu schützen, die unter kollektiver Bestrafung leide, was ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstelle. Die Mindestbedingungen für eine gerechte Lösung verlangten die Verurteilung des israelischen Verhaltens und dessen Beendigung. Diese Position hätte eine Gegenstimme, nicht eine Enthaltung begründet.

Worum geht es?

Der beschworene Annapolis-Prozess bezieht sich zunächst auf die „Roadmap“.
  • Diese war im Mai 2003 beschlossen worden. Bis 2005 sollte sie in drei Phasen zu einem Friedensschluss führen. Derzeit steckt sie noch immer in Phase I: Israel wirft den Palästinensern vor, dass sie – wie vereinbart - terroristische Akte gegen Israel nicht verhindern, Die Palästinenser verweisen darauf, dass Israel seine Verpflichtungen für Phase I, insbesondere den Ausbau von Siedlungen, den Stopp der Beschlagnahmung und Zerstörung palästinensischen Eigentums, Deportationen und Angriffe auf Zivilisten nicht eingestellt haben.
  • Kern des in der Roadmap vorgesehenen Prozesses war es, dass die entscheidenden Fragen des Konflikts – Grenzen eines zukünftigen Staates Palästina, die Frage der Hauptstadt beider Staaten, Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 – von beiden Parteien erst in den Schlussverhandlungen geklärt werden sollten. Angesicht der Asymmetrie zwischen den beiden Parteien dürfte es kaum wahrscheinlich sein, dass die Ergebnisse dieser Verhandlungen den Interessen der Palästinenser wie auch völkerrechtlichen Prinzipien Rechnung tragen dürften.
  • Sowohl die Roadmap wie das Treffen von Annapolis haben die entscheidende Resolution 242 (und folgende) des Sicherheitsrats zum Nahostkonflikt aufgehoben, indem sie diese zum Verhandlungsgegenstand machten: Diese nach dem so genannten Sechs-Tage-Krieg hatte den Rückzug Israels aus den in diesem Krieg besetzten Gebieten, dem West-Jordanland und dem Gazastreifen sowie von den besetzten syrischen Golan-Höhen gefordert.
  • Annapolis hat letztlich die Verantwortung des Quartetts für die Roadmap aufgehoben. So heißt es in dem Kommuniqué zum Ende dieser Konferenz im November 2008: „Die Vereinigten Staaten werden die Erfüllung der Verpflichtungen der Roadmap überwachen und beurteilen. Soweit nicht anders von den Parteien vereinbart, wird die Verwirklichung eines künftigen Friedensvertrages von der Verwirklichung des Fahrplans abhängen, gemäß der Beurteilung durch die Vereinigten Staaten.“ Dies durfte mit Fug und Recht als das Ende des Mandats des Quartetts betrachtet werden, das die Umsetzung der Roadmap begleiten sollte.
Betrachtet man die jetzt gefasste Resolution des Sicherheitsrats in diesem Lichte, so enthält sie durchaus positive Aspekte:
  • Die weiterhin geltende Verantwortung des Quartetts für die Umsetzung der Roadmap wurde betont. D. h. der Prozess steht nicht mehr, wie in Annapolis vereinbart, unter der alleinigen Aufsicht und Schiedsrichterschaft der USA.
  • Erwähnt wird in der Resolution die Arabische Friedensinitiaive von 2002, die von Saudi-Arabien ausgearbeitet und von der Arabischen Liga übernommen wurde. Diese Initiative sieht vor, dass sämtliche arabischen Staaten Israel anerkennen und diplomatische Beziehungen zu diesem Staat aufnehmen, wenn Israel die 1967 besetzten palästinensischen Gebiete als Territorium eines zukünftigen palästinensischen Staates anerkennt.
Jedoch:
  • Präsident Bush scheint sich in den letzten Tagen seiner Amtszeit von der Alleinverantwortung der USA für die Lösung des Konflikts verabschieden zu wollen. Dies wurde auch deutlich im Kommentar der US-Außenministerin Rice zur Verabschiedung der Resolution: Sie betonte, dass die USA und die russische Föderation diese Resolution gemeinsam eingebracht hatten und hob den „historischen Vorschlag“ des Arabischen Friedensplans hervor.
  • Diese Schalmeientöne dürften allerdings in den letzten Amtstagen der Bush-Regierung mehr der historischen Kosmetik der scheidenden US-Administration geschuldet sein als einem wirklich politischen Gestaltungswillen. Dennoch könnte die Resolution dazu dienen, Barack Obama vor seine Verantwortung zu stellen, nämlich die gescheiterte Bush-Politik im Nahen und Mittleren Osten auf eine friedensorientierte und völkerrechtskonforme Basis zu stellen. Hierzu gehört aber nicht nur der israelisch-palästinensische „Kernkonflikt“, sondern der gesamte Nahe und Mittlere Osten, einschließlich des Verhältnisses zu Iran.
  • Die Resolution könnte der EU und Russland wie auch den Vereinten Nationen Handlungsspielräume eröffnen, um endlich eine konstruktive - völkerrechts-konforme! – Rolle in der Lösung des Konflikts zu spielen, so sie dies wollen. Dies würde vor allem für die EU bedeuten, dass sie ihre Politik des Wegschauens beenden würde, die sich bisher vor allem auf Hilfeleistungen zur Kompensation israelischer Zerstörungen und Blockaden beschränkte. Eine intensivere Abstimmung mit Russland und den Vereinten Nationen böte hierzu Handlungsmöglichkeiten.
  • Die Resolution sieht nach wie vor die Palästinensische Autonomie-Behörde als einzigen Verhandlungspartner. Sie ignoriert damit die – im arabischen Raum einzigen – demokratischen Wahlen vom Januar 2006, die der Hamas eine Mehrheit brachten und damit der palästinensischen Autonomie-Behörde unter Mahmud Abbas die Legitimität und das Recht zur Repräsentanz des palästinensischen Volkes entzogen. Sollte diese Behörde wirklich gestärkt werden, müssten die USA, das Quartett und vor allem die Vereinten Nationen Israel dazu bringen, massive Konzessionen zu machen, als da sind: Die Anerkennung eines palästinensischen Staates in den Grenzen der 1967 besetzten Gebiete, die Etablierung Jerusalems als Hauptstadt beider Staaten, die Lösung des Flüchtlingsproblems.
  • Um eine „gerechte“ Lösung dauerhaft und stabil zu machen, ist die Zustimmung der Hamas unerlässlich, zumal diese - wie auch die Arabische Friedensinitiative - ihre Friedensbereitschaft unter der Bedingung angeboten hat, dass die besetzten Gebiete das Territorium des zukünftigen palästinensischen Staates sein sollen. Das hieße für Israel: Abriss der – völkerrechtswidrigen – Mauer, Abbau der Siedlungen, Lösung der Hauptstadt-Frage und des Flüchtlingsproblems.
Alle diese Fragen werden in der Resolution allenfalls indirekt oder gar nicht erwähnt. Mit verbalen Erklärungen, die die Selbsttäuschung übertünchen, können Konflikte nicht gelöst werden. Die israelische Stellungnahme zu der Resolution ist vor diesem Hintergrund erhellend: Außenministerin Tzipi Livni, nach dem Rücktritt Olmerts die starke Person in der noch amtierenden israelischen Regierung, verweist auf die bilateralen Verhandlungen als einzige Gesprächsbasis, ohne die fundamentale Asymmetrie zwischen den Parteien zu erwähnen und offensichtlich darauf bauend, dass, wie bisher, Israel seine dominante Position auf die westliche Unterstützung gründen kann. Zugleich verweist sie darauf, dass die bilateralen Verhandlungen zwischen den beiden Parteien „ohne internationale Intervention“ stattfinden müssten – also auch ohne Einflussnahme des Quartetts? Und sie beharrt auf der „Einstellung des Terrors“, also des Beschusses von Wohngebieten in Südisrael aus dem Gazastreifen. Die in der Roadmap festgeschriebene Verpflichtung zum Stopp des Ausbaus der Siedlungen bleibt unerwähnt. Entscheidend ist schließlich, dass sie die Autonomie-Behörde in die Pflicht nimmt, „kompromisslose Bemühungen gegen die Herrschaft der Hamas in Gaza“ zu unternehmen. Dies heißt im Klartext, die Autonomiebehörde solle stellvertretend für Israel jene Partei bekämpfen, hinter der die Mehrheit des Volkes steht.

Eine solche Politik läuft darauf hinaus, die palästinensische Gesellschaft noch weiter zu spalten und am Ende eine Situation herbeizuführen, in der die israelische Regierung behaupten kann, mit einem „Partner“, der über keine Repräsentanz verfüge, sei ein Friedensschluss nicht möglich. So schafft die Kadima-Regierung die besten Voraussetzungen für die von den israelischen Wahlen zu erwartende noch wesentlich radikalere Regierung der rechtsgerichteten Likud-Partei unter der Führung von Netanyahu. Internationaler Druck ist mehr denn je angesagt, wenn es zu einem Frieden kommen soll, der diesen Namen verdient und der auch und vor allem im langfristigen Interesse Israels liegen muss.


Resolution 1850 (2008), adopted by the Security Council, December 16, 2008:

“The Security Council,

“Recalling all its previous relevant resolutions, in particular resolutions 242, 338, 1397, and 1515 and the Madrid principles,

“Reiterating its vision of a region where two democratic States, Israel and Palestine, live side by side in peace within secure and recognized borders,

“Welcoming the 9 November 2008 statement from the Quartet and the Israeli-Palestinian Joint Understanding announced at the November 2007 Annapolis Conference, including in relation to implementation of the Performance-Based Roadmap to a Permanent Two-State Solution to the Israeli-Palestinian Conflict,

“Noting also that lasting peace can only be based on an enduring commitment to mutual recognition, freedom from violence, incitement, and terror, and the two-State solution, building upon previous agreements and obligations,

“Noting the importance of the 2002 Arab Peace Initiative,

“Encouraging the Quartet’s ongoing work to support the parties in their efforts to achieve a comprehensive, just and lasting peace in the Middle East,

“1. Declares its support for the negotiations initiated at Annapolis, Maryland, on 27 November 2007 and its commitment to the irreversibility of the bilateral negotiations;

“2. Supports the parties’ agreed principles for the bilateral negotiating process and their determined efforts to reach their goal of concluding a peace treaty resolving all outstanding issues, including all core issues, without exception, which confirm the seriousness of the Annapolis process;

“3. Calls on both parties to fulfil their obligations under the Performance-Based Roadmap, as stated in their Annapolis Joint Understanding, and refrain from any steps that could undermine confidence or prejudice the outcome of negotiations;

“4. Calls on all States and international organizations to contribute to an atmosphere conducive to negotiations and to support the Palestinian government that is committed to the Quartet principles and the Arab Peace Initiative and respects the commitments of the Palestinian Liberation Organization, to assist in the development of the Palestinian economy, to maximize the resources available to the Palestinian Authority, and to contribute to the Palestinian institution-building programme in preparation for statehood;

“5. Urges an intensification of diplomatic efforts to foster in parallel with progress in the bilateral process mutual recognition and peaceful coexistence between all States in the region in the context of achieving a comprehensive, just and lasting peace in the Middle East;

“6. Welcomes the Quartet’s consideration, in consultation with the parties, of an international meeting in Moscow in 2009;

“7. Decides to remain seized of the matter.”

The Council adopted the draft resolution by 14 in favour to none against, with 1 abstention ( Libya), as resolution 1850 (2008).

Source: United Nations, Security Coubcil; www.un.org




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