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CIA-Mann als Friedensstifter? - Was steht im Tenet-Plan?

Arafat im Würgegriff - Scharon bereitet den Krieg vor

Es ist diesmal anders als bei der Vorlage des Mitchell-Berichts: Damals signalisierten die Palästinenser relativ rasch ihre Zustimmung, während sich die israelische Seite bis zuletzt bedeckt hielt, um dann den Bericht nur unter Vorbehalten zu akzeptieren. Der Mitchell-Bericht sah sowohl einen Waffenstillstand als auch den Stopp des Siedlingsbaus vor. Letzteres widerstrebt aber dem Regierungschef Ariel Scharon. Seite einigen Tagen "vermittelt" CIA-Direktor George Tenet im Nahostkonflikt. Am Dienstag, den 12. Juni hat er einen Plan vorgelegt, dem die Israelis - trotz einiger Bedenken gegenüber ein paar Details - sofort zustimmten. Die Palästinenserbehörde brauchte etwas mehr Zeit und stimmte erst in der Nacht zum 13. Juni zu, machte aber ihrerseits einige Vorbehalte geltend.

Was in den Abmachungen steht, ist bislang nur den Verhandlungspartnern bekannt. Weder Israel noch die USA haben bieher irgend welche Einzelheiten bekannt gegeben. Einem Bericht der palästinensischen Tageszeitung "Al-Ayyam" ist allerdings zu entnehmen, dass sich die Autonomiebehörde verpflichten solle, illegale Waffen und Granaten einzusammeln und Sprengstofflabors auszuheben. Die Verhaftung islamistischer Extremisten, die von Arafats Behörde zu Anfang der Intifada auf freien Fuss gesetzt worden waren, steht - entgegen ersten Berichten - nicht mehr zur Debatte. Stattdessen sollten sich die Palästinenser lediglich verpflichteten, Leuten festzunehmen, falls sie in Zukunft den Waffenstillstand brechen werden. Israel behauptet allerdings, dass Arafat innerhalb von 48 Stunden namentlich bezeichnete Extremisten (die Rede war von 38 Namen) festnehmen müsse.

Auf der Gegenseite sollte Israel bei der Auflösung von Demonstrationen keine todbringenden Waffen einsetzen und keine palästinensischen Institutionen oder Wohnhäuser beschießen. Gefangene, die nicht direkt an Attentaten beteiligt waren, müssten auf freien Fuss gesetzt werden.

Weiter heißt es, nach einer kurzen Abkühlungsperiode (hier schwanken die Angaben zwischen 48 Stunden und einer Woche) müssten die israelische Truppen die Umzingelung palästinensischer Ortschaften einstellen und sich auf die Linien vor Ausbruch der Initifada (also vor dem 28. September 2000) zurückziehen. An den Nahtstellen zwischen Israel und den autonomen Gebieten sollen so genannte Verbindungsbüros eingerichtet werden, die mit Offizieren beider Seiten besetzt werden sollten. Die USA wollen ein Überwachungs-Videosystem zur Verfügung stellen, das gegenseitige Konsultationen erlaubt, ohne dass sich die Gesprächspartner persönlich gegenübersitzen müssen.

Ein weiterer Punkt, der für Israel besonders wichtig schien, betrifft die antiisraelische Hetze in den palästinensischen Medien. Eine Meinungsumfrage einer palästinensischen Universität ergab kürzlich nach einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung, dass nicht weniger als drei Viertel der Bevölkerung Selbstmordattentate gegen Israel und israelische Ziele befürworten. Vor fünf Jahren betrug diese Rate weniger als zwanzig Prozent. Israel hatte in allen bisherigen Verhandlungen eine sofortige Einstellung der Hetzpropaganda. Aber nun verlangt die palästinensische Führung Gegenleistungen. Auch Israel müsse gegen hetzerische Elemente, insbesondere in den Kreisen der Siedler, vorgehen. Israel müsse diesen Extremisten ebenfalls das Handwerk legen, fordern die Palästinenser. (NZZ, 14. Juni 2001)


Einzelheiten aus dem Tenet-Plan

Nach einer Meldung von Reuters haben die Palästinenser am Mittwoch, den 13. Juni, Einzelheiten des Plans des amerikanischen Vermittlers George Tenet bekannt gegeben. Danach soll ein "hochrangiger" Vertreter der Palästinenser aus dem dreiseitigen Papier zitiert haben. Seine Angaben, so behauptete er, deckten "80 Prozent" des Plans ab. Die Punkte im Einzelnen:

Entwaffnung:
Die Palästinenser verpflichten sich, "illegale Waffen", darunter auch Granatenwerfer, in den Palästinenser-Gebieten einzuziehen. Auch solle die Herstellung von Bomben und der Waffenschmuggel unterbunden werden. Umfang und Bewaffnung der palästinensischen Sicherheitskräfte war bereits in den Abkommen, die vor der Intifada abgeschlossen worden waren, festgelegt worden.

Verfolgung und Verhaftung militanter Kräfte:
Beide Seiten müssen sich künftig gegenseitig darüber informieren, wenn ihnen im Gebiet des anderen Verdächtige auffallen, deren Verhalten die Sicherheit gefährde. Zudem müssen sie Personen, die Angriffe planen, festnehmen, verhören und in Haft setzen. Gegen diese Forderung haben sich die Palästinenser lange gewehrt. Israel verlangt außerdem, dass diese Forderung auch rückwirkend gelte. Die Palästinenser hingegen sagen, sie beziehe sich nur auf Personen, die Angriffe planten, nachdem der Waffenstillstand in Kraft getreten sei.

Einstellung der Angriffe
Israel wird dazu verpflichtet, militärische oder zivile Einrichtungen der Palästinenser nicht mehr anzugreifen. Auch darf es zur Auflösung von Demonstrationen keine Mittel einzusetzen, die zu tödlichen Verletzungen führen können.

Einstellung der Hetze
Einer israelischen Forderung folgend legt der Plan fest, dass beide Seiten nicht zur Gewalt aufhetzen dürfen. Offizielle palästinensische Vertreter sollen sich jeder Hetze enthalten. Auch sollen sie niemanden unterstützen, der Angriffe gegen Israel ausführt. "Die israelische Regierung soll Massnahmen gegen Personen treffen, die zur Gewalt aufhetzen oder Angriffe auf Palästinenser planen", fügte der Palästinenservertreter hinzu.

Wöchentliche Treffen
Israel muss Palästinenser aus der Haft entlassen, die "nicht an terroristischen Anschlägen beteiligt" gewesen seien. Es soll auch die Fälle untersuchen, in denen Soldaten Palästinenser getötet haben. Beide Seiten sollen sich einmal pro Woche treffen und konkrete Schritte zur Wiederaufnahme ihrer Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen unternehmen.

Pufferzone
Über eine "Pufferzone", die im Tenet-Plan offenbar vorgesehen ist, sagte der palästinensische Vertreter nichts. Eine solche Pufferzone zwischen den israelischen und palästinensischen Sicherheitskräften war von Arafat kritisiert worden. Angeblich sollte sie bis zu 500 Meter tief in palästinensisch-kontrollierte Gebiete hinein reichen. Dies aber wäre nichts anderes als eine Wiederbesetzung der Gebiete gleich.


Seit dem 13. Juni ist der Waffenstillstand in Kraft. Am 14. Juni hat Israel damit begonnen den mit den Palästinensern vereinbarten Sicherheitsplan umzusetzen. So wurden Panzer aus dem Gaza-Streifen abgezogen und Straßensperren abgebaut. Um die israelische Siedlung Netzarim, einem der Brennpunkte der jüngsten Gewalt patrouillieren nur noch israelische Armeejeeps zu sehen. Trotzdem kam es auf beiden Seiten wieder zu schweren Zwischenfällen, bei denen ein Israeli und ein Palästinenser getötet wurden.

Es ist daher verständlich, wenn auf beiden Seiten wenig Optimismus zu spüren ist, dass nun vielleicht ein Ende der Gewalt bevorstehe. Der Kolumnist Eitan Haber, langjähriger Berater des ermordeten Ministerpräsidenten Izchak Rabin, schrieb am 13. Juni in der Tageszeitung "Jedioth Achronoth": "Machen wir uns nichts vor, all dies ist nicht viel mehr als die erfolgreiche diplomatische Vorarbeit für den militärischen Schlag, auf den jeder wartet." Ein militärischer Schlag, der natürlich nur von Israel ausgehen kann. Fast alle israelischen Zeitungen (Ausnahme: die links-liberale Tageszeitung Haaretz) teilen die Skepsis gegenüber der Friedensbereitschaft der Palästinenser und sind deshalb davon überzeugt, dass Scharon weiter auf die militärische Karte setzen muss. Infrastrukturminister Avigdor Lieberman sowie der Minister für Innere Sicherheit, Usi Landau, fordern nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung die Annullierung jeglicher Kooperation mit Arafat und den Schutz Israels durch Bombardierung von Arafats Autonomiebehörde. Sprecher der Siedlerbewegung plädieren ebenso für militärische Vergeltungsschläge. Die gesamte Zivil- und Sicherheitsinfrastruktur der Palästinenser müsse zerstört werden, verlangen sie. Arafat sei kein Partner, sondern ein Feind. (SZ, 15.06.2001) In Regierungskreisen wird die Einhaltung eines Waffenstillstands davon abhängig gemacht, dass jegliche Gewalt von Seiten der Palästinenser aufgehört haben muss. "Der Count-Down beginnt mit dem letzten geworfenen Stein", wurde ein Beamter aus dem Büro Scharons zitiert. Und Israels Außenminister und Friedesnnobelpreisträger Schimon Peres stimmte ihm zu, wenn er sagte: Es ist zwecklos, weniger zu verlangen."

Wen wundert es da, wenn auch auf palästinensischer Seite die Skepsis gegenüber dem Tenet-Plan überwiegt. Arafat stünde zunächst mit leeren Händen da, würde er den Plan akzeptieren. Was die Massen in Palästina bewegt, etwa ein Siedlungsstopp, wird im Tenet-Plan überhaupt nicht angesprochen. Sollte nach achteinhalb Monaten Intifada tatsächlich nicht mehr heraus gekommen sein als die Beendigung des Widerstands, der ja mehr Facetten hat als die verbrecherischen Terroranschläge kaum zu kontrollierender Attentäter? Scharons unnachgebige Haltung, dass erst die Palästinenser jede Gewalt eingestellt haben müssen, bis - nach einer "angemessenen" Frist - wieder substanzielle Verhandlungen mit der Autonomiebehörde aufgenommen werden könnten, bedeutet nichts anderes, als dass das Schicksal des Friedensprozesses in die Hand der militanten Kräfte gelegt wird. Das aber ist der freiwillige Verzicht auf eine politische Lösung des Konflikts. Mit jedem Selbstmordattentat, mit jedem Schuss auf einen Israeli erhält Scharon die Legitimation für seine konfrontative Linie. Seine diversen Äußerungen der letzten Tage über den "Terroristen" und "Mörder" Arafat haben darüber hinaus klar gemacht, dass Scharon an Verhandlungen gar nicht wirklich interessiert ist. Jedenfalls ist nur schwer vorstellbar, dass sich Scharon und Arafat bald als Verhandlungspartner gegenüber sitzen sollen.

Pst

Quellen: NZZ, 13. und 14. Juni 2001; SZ, 15. Juni 2001; FR, 15. Juni 2001, HNA, 14. Juni 2001

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