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"Uns fehlt das politische Gewicht"

Der palästinensische Politiker Fahed Soleiman zum Plan einer einseitigen Staatsgründung


Der Verhandlungsprozess zwischen Israel und den Palästinensern ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Was sind die Ursachen dafür? Welche Lösungsansätze sollten jetzt verfolgt werden? Darüber gibt es auch unter den Palästinensern unterschiedliche Auffassungen. Fahed Soleiman, Mitglied des Politbüros der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas, erörterte die Vorstellungen der Organisation. Für »Neues Deutschland« sprach Karin Leukefeld für das "Neue Deutschland" (ND) mit ihm in Damaskus.

ND: Seit fast 20 Jahren gibt es die Osloer Verträge, die die Grundlage für die Bildung eines Palästinenser-Staates sein sollten. Doch sieht man sich heute die besetzten Gebiete an, ist kaum vorstellbar, wie ein palästinensischer Staat überhaupt aussehen soll.

Soleiman: Das Wesentliche an der Sache sind nicht die Osloer Verträge, das Wesentliche sind die Rechte der Palästinenser. Wenn es sich herausgestellt hat, dass nach 17, 18 Jahren dieses Osloer Abkommen nicht anzuwenden ist, dann soll man nach einem anderen politischen Rahmen suchen. Unsere nationalen Rechte sind unabänderlich. Ob mit den Osloer Verträgen, mit UNO-Resolutionen oder dem Recht auf Selbstbestimmung der Völker, das sind alles Mittel, die zu unserem Ziel führen sollen: unseren Staat zu errichten und das Problem der Flüchtlinge zu lösen.

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) möchte einseitig einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 proklamieren. Stimmt die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas dem zu?

Eine einseitige Erklärung eines palästinensischen Staates wird uns wenig nützen. Politisch und juristisch würden wir auch nicht weiterkommen, wenn das von den arabischen Ländern anerkannt würde. Da fehlt politisches Gewicht. Wenn schon, dann brauchen wir eine Anerkennung von einer internationalen Instanz, wie den blockfreien Staaten, der EU, dem UN-Sicherheitsrat, der UN-Generalversammlung oder dem lateinamerikanischen Staatenbündnis UNASUR.

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die PA einen palästinensischen Flughafen in der Nähe von Jerusalem bauen will. Möchte man Fakten schaffen?

Das wäre wunderbar, aber können sie das? Es gibt nur so ein kleines Detail bei der ganzen Sache: Das heißt israelische Besatzung. Und wenn die israelischen Besatzer sagen, ihr dürft keinen Flughafen bauen, dann können wir das nicht. Wir hatten mal einen Flughafen in Gaza, der wurde von den Israelis bombardiert und zerstört. Und wir dürfen keinen neuen Flughafen bauen, wir dürfen auch keinen Hafen bauen. Obwohl es einen offiziellen Vertrag gibt, einen solchen zu bauen.

Wenn die PA vom Bau eines Flughafens spricht, von einem neuen Stadtprojekt oder dass man ausländische Investitionen in die Westbank bringen will, um der palästinensischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, vermittelt sie jedoch den Eindruck, dort sei alles in Ordnung und die Besatzung kein Problem.

Es gibt eine Theorie, der zufolge die Errichtung des Staates auf einer gut aufgebauten Verwaltung, einer gesunden Wirtschaft, einer guten Infrastruktur basieren sollte. Damit würde man sich dem Ziel des unabhängigen Staates annähern.

Genau das unterstützt die Bundesregierung.

Die Europäer im allgemeinen und besonders deren Nahostbeauftragter, der ehemalige britische Premierminister Tony Blair. Das wäre ja auch wunderbar, wir möchten gern so einen Staat aufbauen, der so gut und so straff funktioniert, wie der preußische Staat. Wir möchten gern so eine Demokratie haben, die so arbeitet und funktioniert wie die Demokratie in Finnland. Wir möchten gern so eine Wirtschaft haben, wie die chinesische, japanische oder deutsche Wirtschaft. Aber alle diese Vorstellungen haben einen kleinen Haken, und der heißt israelische Besatzung. Keine Wirtschaft kann gut funktionieren, wenn man unter Besatzung steht. Keine Wirtschaft, keine Verwaltung, keine Demokratie.

Wie kann die Besatzung beendet werden?

Durch Druck auf die Okkupanten. Es gibt einige Beispiele in der Geschichte, wo die Kolonialmacht freiwillig das Land, das sie besetzt hatte, verlassen hat. Das sind aber Ausnahmen, die damit zusammenhingen, dass die Besatzungs- oder Kolonialmacht kein Interesse mehr hatte zu bleiben.

Der überwiegende Teil des Dekolonisierungsprozesses konnte nur unter dem Druck des besetzten und unterdrückten Volkes geschehen. Und mit der Unterstützung von Befreiungsbewegungen, progressiven Parteien, des liberalen Milieus, den humanistisch gesinnten Institutionen religiöser Art. So war das in Vietnam, in Südafrika, in Algerien, wir sind keine Ausnahme. Wir sind auf die Unterstützung aus dem Ausland angewiesen, auf Solidaritätskampagnen. Doch leider müssen wir feststellen, dass für die palästinensische Sache zu wenig getan wird.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Dezember 2010


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