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Israelisch-palästinensicher Konflikt: "Ohne internationale Unterstützung wird es keinen Ausstieg aus dem Teufelkreis der Gewalt geben"

Ein Bericht über die Internationale Konferenz "Stop the Wall" - Abschlusserklärung der Konferenz

Im Folgenden dokumentieren wir
  1. einen Bericht von Elvira Högemann über die Internationale Konferenz "Stop the Wall", die am 5. Juni 2004 in Köln stattfand, sowie
  2. die Abschlusserklärung dieser Konferenz.

Die völkerrechtswidrig errichteten Mauer- und Zaunabschnitte abreißen!

Von Elvira Högemann*

Es ist ein Verdienst der Veranstalter der Konferenz "Stop the Wall - für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel" am 5.6. in Köln, dass sie diesen neuesten Schritt zur Verhinderung einer Friedenslösung zum Ausgangspunkt der Tagung gemacht haben. Auch, weil neuerdings jeder vom Vorwurf des Antisemitismus bedroht wird, der das Thema nur aufgreift. Wie auch in diesem Fall geschehen. Die Gegendemonstration der "Antideutschen", bundesweit beworben, war allerdings eher marginal, sie selbst in der Debatte nicht vertreten. Die Veranstalter hatten angesichts der geräuschvollen Vorbereitung Polizeischutz für den Eingang zum Tagungsort bestellt und auf vorheriger Anmeldung der Teilnehmer bestanden. Ein go-in, das manche erwartet hatten, fand nicht statt. Die Konferenz spricht für sich.

Sie war von der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und Gush Shalom Deutschland, Pax Christi, Friedensratschlag und -kooperation, einer Reihe weiterer palästinensischer und jüdischer sowie deutscher Menschenrechts- und Friedensorganisationen einberufen. Im Namen der Veranstalter begrüßten ein Sprecher der Palästinensischen Gemeinde in Deutschland und eine Sprecherin von Gush Shalom die 300 Teilnehmer. Sie bezeichnete die Politik der Regierung Scharon als selbstzerstörerisch. Das Existenzrecht Israels stehe nicht in Frage, der Zorn über die Scharon-Politik habe mit Antisemitismus nichts zu tun. Der palästinensische Sprecher nannte die Zwei-Staaten-Lösung als die einzig mögliche, unabdingbar sei , dass die israelische Seite die Schuld an der Vertreibung der Palästinenser anerkenne, ebenso wie das Recht auf Rückkehr und materielle Entschädigung aller Flüchtlinge seit 1948.

Die Lage im Land ist davon weit entfernt. Der so genannte Sicherheitszaun wurde als Konzept der Annexion beschrieben. Die nach UNO-Beschluss illegalen Siedlungen im Westjordanland würden damit zementiert, zugleich auf dem Restgebiet die palästinensische Bevölkerung von Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsmöglichkeiten und die Bauern von ihrem Land abgeschnitten. Die Wasservorräte der Region fließen fast ausschließlich den israelischen Siedlungen zu. Ein Bauer aus Kalkilia erzählte, was er und seine Kollegen anstellen müssen, um ihr Land zu erreichen, wenn sie denn überhaupt einen permit bekommen, Viktoria Waltz, die an der Bir-Zeit-Universität in einem Projekt der Universität Dortmund arbeitet, berichtete, dass Studenten aus Bethlehem 5 Stunden brauchen, um ihren Studienplatz zu erreichen, dass Ambulanzen aufgehalten, die medizinische Versorgung Neugeborener unmöglich wird. Eine "Armutsmauer" nannte Hasan Ayoub das Bauwerk. Benachteiligung und Einschränkung von Rechten der palästinensischen Bevölkerung, Zerstörung palästinensischer Häuser - das alles ist nicht neu, es sind Maßnahmen zu gezielten Verarmung, bzw. Druckmittel zur Vertreibung der palästinensischen Einwohner.

"Segregation" nennt Moshe Zuckermann, Professor an der Universität Jerusalem, das Konzept seiner Regierung. So könne und dürfe die Zwei-Staaten-Lösung nicht aussehen. Zuckermann hält die Vorstellung, Israel könne Frieden und Sicherheit durch Abschottung von den arabischen Staaten und durch "Wegschaffen" der Palästinenser erreichen, für illusionär. Für ihn sind Israelis und Palästinenser "wie siamesische Zwillinge" aneinander gekoppelt durch Arbeitsmarkt; Ressourcen; Wasser. Das zwinge zu nachbarschaftlichen Lösungen, zur Koexistenz. Zu schaffen sei eine "konföderative Struktur" der beiden Staaten. Von dieser Einsicht aber sei die israelische Gesellschaft weit entfernt. Zwar sei mittlerweile unübersehbar, wie Bildungswesen, Gesundheitswesen und andere zivilgesellschaftliche Einrichtungen in Israel zugrunde gehen, zwar sei die Mehrheit für eine Zwei-Staaten-Lösung, aber zugleich werde der Gedanke der Segregation weithin akzeptiert.

Bleibt die Frage, was hier und jetzt zu tun ist. Ohne internationale Unterstützung wird es keinen Ausstieg aus dem Teufelkreis der Gewalt geben. Die Erklärung der EU gegen den Bau der Mauer wurde als positiv gesehen, im Ganzen aber als "zu milde" beurteilt. Fanny-Michaela Reisin (European Jews for a just Peace) plädierte für starke Einwirkung auf die europäische Öffentlichkeit und ganz besonders für Druck auf die Regierung Schröder/Fischer, die in Brüssel alle Eingaben zu Fall bringe, die gegen die israelische Regierung gerichtet sein könnten. Ihre Gruppe hatte den deutschen Außenminister zu einer Stellungnahme gegen den Mauerbau im Westjordanland aufgefordert. In der Antwort hieß es dann, der "Verlauf der Mauer sei zu kritisieren". Der Warenexport Israels in die EU ist durch ein Assoziationsabkommen privilegiert. Eine Eingabe von EP-Abgeordneten, dieses Abkommen auszusetzen, ist in Brüssel gescheitert, u.a. am deutschen Einspruch. In anderen Beiträgen wurden die deutschen Waffenlieferungen kritisiert.

In diesen Kontext stellte sich Minister a.D. Norbert Blüm mit seinem Beitrag. Er begann mit einem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und für einen palästinensischen Staat. Eine Lösung gebe es nur für beide oder für keinen, es werde nicht ohne Kompromisse abgehen. Es müsse eine Lösung auf der Grundlage von Menschenwürde und Menschenrechten geben, ohne Gewalt. "Rafah ist ein Verbrechen, Selbstmordattentate sind ein Verbrechen. Es gibt keinen Gott, der Wohlgefallen daran hat. Kindern das einzureden, ist auch ein Verbrechen." Es gab viel Beifall, auch für die Aufforderung, man solle es sich nicht so kompliziert machen, einfach fordern "Die Mauer muss weg". Ein "Bündnis aller Gutwilligen" sei nötig.

Vorerst geht die Friedensbewegung noch in kleinen Schritten. Für eine dringend notwendige politische Initiative bietet die Schlusserklärung eine gute Grundlage. Sie fordert, "die völkerrechtswidrig schon errichteten Mauer- und Zaunabschnitte" abzureißen, das hierfür konfiszierte Land zurück zu geben und Schadenersatz für die geschehenen Zerstörungen zu leisten. Von den EU-Staaten wird gefordert, die Menschenrechte ernst zu nehmen, dies von der israelischen Regierung zur Fortsetzung des Assoziationsabkommens zu verlangen und den Waffenhandel in diese Krisen- und Kriegsregion einzustellen.

* In: "Lokalberichte Köln" vom 10.6.2004

Stop the Wall. Für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel

Abschlusserklärung
Samstag 5. Juni 2004 - Alte Feuerwache - Köln

Vor genau 37 Jahren begann der "6-Tage"-Krieg und damit die Besetzung des Westjordan-Landes und des Gaza-Streifens durch die israelische Armee. Heute, an diesem Jahrestag erklären die VeranstalterInnen der Konferenz "Stop the Wall - Für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel" angesichts der dramatischen Lage im israelisch-palästinensischen Konflikt:

Der derzeitige Bau eines "Trennungszauns" auf palästinensischem Gebiet durch die israelische Regierung muss unverzüglich gestoppt werden! Diese Anlage wird mit guten Gründen von vielen Menschen in Palästina und Israel "Apartheidmauer" genannt. Sie bringt bereits jetzt eine unerträgliche Verschärfung der Lebensbedingungen für die palästinensische Bevölkerung mit sich. Feindschaft und Gewalt zwischen Teilen der jüdisch-israelischen und der arabisch-palästinensischen Bevölkerung werden weiter zugespitzt. Wir fordern von der israelischen Regierung, die völkerrechtswidrig schon errichteten Mauer- und Zaunabschnitte unverzüglich wieder abzureißen, hierfür konfisziertes Land an seine palästinensischen Eigentümer zurückzugeben und für die angerichteten Zerstörungen angemessenen Schadensersatz zu leisten.

Wir wenden uns gegen die strukturelle und militärische Gewalt von Mauerbau und Okkupation und ebenso gegen verbrecherische Angriffe auf Zivilisten beider Seiten. Wir appellieren an die israelische wie an die palästinensische Seite, die bewaffnete Konfrontation zugunsten eines Prozesses der zivilen, gewaltlosen Konfliktbearbeitung zu überwinden. Damit dies gelingen kann, ist eine starke und aktive internationale Bewegung unverzichtbar, die die legitimen Rechte der palästinensischen Bevölkerung anerkennt und unterstützt:
  • Die Palästinenserinnen und Palästinenser haben - ebenso wie Israel in den Grenzen bis 1967 - das Recht, auf dem gesamten Gebiet der Westbank und des Gaza-Streifens ihren souveränen Staat aufzubauen, und das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat.
  • Die europäischen Regierungen müssen konsequent für Menschen- und Völkerrecht in der Nahost-Region eintreten: Der skandalöse Waffenhandel in diese Krisen- und Kriegsregion muss unverzüglich und vollständig eingestellt werden. Waren aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen in Gaza und Westbank müssen von allen Zollpräferenzen der EU ausgenommen werden. Die Produkte sind auch für die Konsumenten eindeutig zu kennzeichnen, so dass diese entscheiden können, ob sie Waren aus diesen Siedlungen kaufen wollen.
  • Die EU muss außerdem ihre eigenen Regeln ernst nehmen und von der israelischen Regierung die Respektierung der Menschenrechte als Voraussetzung für die Fortsetzung des Assoziationsabkommens einfordern, entsprechend der Resolution des Europäischen Parlaments vom 10. April 2002.*
Als Initiativen der Friedens- und Solidaritätsbewegung in Deutschland und Europa wollen wir unsere Beziehungen zu den Menschen in beiden Gesellschaften festigen. Wir werden die bestehenden Kontakte und die solidarische Unterstützung ausbauen, sowohl zu den von Mauerbau und Okkupation Betroffenen in Palästina und ihren Organisationen, als auch zu allen israelischen Gruppen und BürgerInnen, die Sicherheit und eine menschliche Zukunft auch für die israelische Bevölkerung nicht durch immer mehr militärische Gewalt und Unterdrückung erreichen wollen, sondern durch gemeinsame Arbeit und sozialen Kampf für ein gleichberechtigtes Zusammenleben.

Wir treten ein für die universelle Gültigkeit von Menschen- und Völkerrechten. Deswegen wenden wir uns hier in Deutschland und Europa ebenso wie in Israel-Palästina gegen Antisemitismus, Judenhass, Islamophobie und Araber-Feindlichkeit. An Stelle des "Zusammenpralls der Zivilisationen" wollen wir deren wechselseitige Akzeptanz und konstruktiven Dialog voranbringen.
Mit unserer heutigen Konferenz haben wir dazu einen Beitrag geleistet.

* Entschließung des Europäischen Parlaments zum Nahen Osten, vom 10.4.02 < P5_TA(2002)0173>
"Das Europäische Parlament ... fordert die Kommission und den Rat in diesem Sinne auf, zu prüfen, wie sie sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der Aussetzung des Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommens zwischen der EU und Israel, am besten einsetzen können;..."

Quelle: www.freepalestine.de



Siehe auch:
"Siedler haben das Leben in der Westbank zu einer Hölle gemacht"
Nahost-Konflikt: Was vom "einseitigen Rückzug" aus Gaza zu halten ist. Referat von Reuven Moskovitz (Israel) auf der Kölner Konferenz "Stop the Wall" (7. Juni 2004)





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