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Die Angst in Nahost vor Teheran

USA-Sicht von Israel geprägt

Von Karin Leukefeld, Amman *

Die von internationalen »Leitmedien« in Absprache mit Wikileaks veröffentlichte interne Washingtoner Diplomatenkorrespondenz bestätigt eine deutliche israelische Handschrift in der USA-Politik im Nahen Osten. Im Zentrum der Mitteilungen stehen das iranische Atomprogramm und Äußerungen besorgter arabischer Königshäuser, allesamt enge Bündnispartner der USA. Als Informationsquellen werden immer wieder Israel, dessen Geheimdienst Mossad und jene genannt, die von ihm abgeschöpft oder geführt werden.

In Riad ist man tief besorgt. Der saudische Botschafter in Washington, Adel al-Jubair, wird mit den Worten zitiert, sein König habe sich mit »wiederholten Warnungen« an die USA gewandt, um das iranische Atomprogramm zu stoppen. Von einem Treffen mit General David Petraeus (2008) wird protokollarisch festgehalten, der Monarch habe Washington aufgefordert »der Schlange den Kopf abzuschlagen«. König Hamid bin Isa al-Khalifa von Bahrain wird mit dem Wunsch zitiert, die US-Amerikaner sollten »alles Notwendige« unternehmen, um Iran zu stoppen. Zeid Rifai, Berater des jordanischen Königs Abdullah, wird noch deutlicher: Die USA sollten »Iran bombardieren oder mit der iranischen (Atom)Bombe leben«.

Arabische Staaten, die die USA zur Zurückhaltung gegenüber Iran ermahnen und einen Dialog mit Teheran vorschlagen, werden allenfalls als »Gefährder« bezeichnet. Das gilt insbesondere für Syrien und Katar. Damaskus steht seit Jahrzehnten in einer strategischen Partnerschaft mit Teheran, der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Khalife al-Thani, gilt als Schlichter in regionalen Konflikten, ob in Libanon, Jemen oder Sudan. Gegenüber Iran plädiert Scheich Hamad für Dialog statt Konfrontation. In einem Protokoll des US-Heimatschutzministeriums wird Mossad-Chef Meir Dagan zitiert, der den Emir von Katar als »wirkliches Problem« bezeichnet, der »alle ärgern« würde. Dagan riet seinen Washingtoner Gesprächspartnern dazu, die US-Basis in Katar aufzulösen.

Katars Position der Vermittlung wird auch von Saudi-Arabien und Ägypten kritisiert und hat innerhalb der Arabischen Liga schon mehrfach für Differenzen gesorgt. Die Korrespondenz legt nahe, dass neben Israel auch Saudi-Arabien, Jordanien, die Golfstaaten und Ägypten Iran als größte akute Gefahr ansehen. Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien gelten als Statthalter der USA im Nahen Osten, die beiden Letztgenannten haben mit Israel ein Friedensabkommen geschlossen. Das saudische Königshaus ist darüber hinaus ständig bemüht, seine regionale Vormachtstellung zu behaupten.

Iran ist historisch seit Jahrhunderten regionale Großmacht am Golf. Früher lag es im Wettstreit mit den Ottomanen, inzwischen mit Saudi-Arabien, das seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches engste Bindungen mit den westlichen Imperien Großbritannien und den USA eingegangen ist. Eigentlich tendiert die arabische Tradition weniger zur Konfrontation und mehr zum Dialog, doch ist diese Haltung durch westlichen Einfluss und die konfrontative Politik Israels ins Wanken geraten.

Bis 2003 bezeichnete Israel Irak mit seinen angeblichen Massenvernichtungswaffen als größte regionale Gefahr. Seit dessen Sturz ins Chaos hat man Iran und dessen Atomprogramm als »größte Gefahr für die gesamte Menschheit« ausgemacht und nahezu den gesamten Westen hinter diese Einschätzung geschart. Während Iran den Atomwaffensperrvertrag und die IAEO-Zusatzprotokolle unterzeichnet hat, verbirgt Israel sein Atomprogramm und seine Kernwaffen hartnäckig vor jeder internationalen Kontrolle.

* Aus: Neues Deutschland, 30. November 2010


Im Gleichschritt

Wikileaks und die Angst der Araber vor Iran: Führende europäische und US-Medien berichten vollkommen unkritisch über Einschätzungen amerikanischer Diplomaten

Von Knut Mellenthin **


Das Leck macht es möglich: Fünf Zeitungen aus Europa und den USA marschieren genau nach Verabredung im Gleichschritt. Am Sonntag abend (28. Nov.) um 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit stellten das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel, die New York Times, der britische Guardian, die französische Le Monde und die spanische Tageszeitung El Pais ihre ersten Artikel zu den neuen Wikileaks-Dokumenten, 251287 an der Zahl, online. Gleichzeitig wurde eine relativ geringe Zahl (nur einige Hundert) von Depeschen zwischen dem amerikanischen Außenministerium und seinen diplomatischen Vertretern im Ausland öffentlich zugänglich gemacht. Weitere Dokumente sollen, jeweils in kommentierten Themenblöcken, in den nächsten Tagen folgen. Der Zeitplan dafür wurde zwischen den Redaktionen und angeblich auch mit Wikileaks-Chef Julian Assange abgesprochen. Der Londoner Telegraph behauptete am Sonntag, bereits das weitere Programm zu kennen: Am Dienstag (30. Nov.) seien Korea und Guantánamo dran, am Mittwoch Pakistan und die Piratenjagd am Horn von Afrika, am Freitag (3. Dez.) die Korruption in Afghanistan, am Sonnabend der Jemen und am Sonntag China. In der kommenden Woche soll dann auch noch Rußland folgen.

Niedriges Niveau

Für den Anfang hatten sich die beteiligten Zeitungen, denen die Dokumente schon seit mehreren Monaten vorlagen, auf das Thema »Iran und die Araber« geeinigt. Die zugehörigen Texte fallen durch ihre extreme Gleichförmigkeit in Aufmachung und Inhalt sowie durch ihr niedriges journalistisches und politisches Niveau aus dem Rahmen der übrigen Artikel. Völlig unkritisch und scheinbar naiv wird in diesem Zusammenhang alles für bare Münze genommen, was in den Gesprächs- und Stimmungsberichten der US-Diplomaten nach Washington zu lesen war. Der Spiegel textet ganz auf der Linie des Wunschdenkens in Washington und Tel Aviv: »Die amerikanischen Dokumente enthüllen, daß die Front gegen einen nuklear bewaffneten Iran breiter ist als weithin bekannt: Arabische Machthaber fordern bei vertraulichen Gesprächen Maßnahmen gegen die Mullahs in Teheran.« Im Unterschied zu den anderen Artikeln im Heft ist dieser nicht namentlich gezeichnet. El País titelt: »Die Araber rufen die USA und die EU auf, Iran mit allen Mitteln zu stoppen.« In der New York Times lautet die Überschrift: »Rund um die Welt schwere Sorgen über Iran«. Le Monde schreibt über »Die Furcht der arabischen Länder vor dem Iran« und »Irans Einschüchterungsmethoden«. Der Guardian schließlich setzt die Headline: »Saudis drängten USA wiederholt, Iran anzugreifen.«

Keiner der beteiligten Redakteure scheint sich daran gestört zu haben, daß die von den US-Diplomaten zitierten arabischen Gesprächspartner ausschließlich Autokraten ohne außenpolitische Kompetenz sind, die sich im Gegensatz zur vorherrschenden Stimmung in ihren Ländern befinden. Einigen von ihnen ist außerdem zuzutrauen, daß sie iranischen Vertretern unter vier Augen genau das Gegenteil erzählen.

Keine Transparenz

Leider hat sich bisher noch keine der fünf Redaktionen zu den Pressionen geäußert, denen sie von US-amerikanischer Seite im Vorfeld ihrer Veröffentlichungen ausgesetzt waren. Anscheinend endet an diesem Punkt die Transparenz. Fakt ist, daß die Mainstreammedien und ihre Journalisten darauf angewiesen sind, es sich mit der US-Regierung nicht zu verderben, und daß sie schon unter diesem Gesichtspunkt für amerikanische »Wünsche« offen sind. Die gleichförmige Behandlung des Iran-Themas könnte daher als verabredete Goodwill-Geste an Washington interpretiert werden.

Durch diese Akzentsetzung treten einige interessante Aspekte der neuen Wikileaks-Papiere zu Unrecht in den Hintergrund. Dazu gehört die Dokumentation der an sich nicht wirklich überraschenden Tatsache, daß das US-Außenministerium seine Diplomaten im ganz großen Stil als Nachrichtenbeschaffer einsetzt. Durch die enge Verbindung der CIA, die dem State Department direkt unterstellt ist, zu den Botschaften und Konsulaten in aller Welt ist eine Trennung zwischen politischer und geheimdienstlicher Arbeit ohnehin nicht möglich. Aus den Dokumenten geht nun hervor, daß die amerikanischen Auslandsvertretungen ganze Netze einheimischer IM führen. Ein schriftlicher Erlaß von Außenministerin Hillary Clinton weist die Diplomaten darüber hinaus an, möglichst viele persönliche Informationen über die Politiker ihrer Gastländer, bis hin zu Kreditkartennummern, Paßwörtern, Dienstplänen und sogenannten biometrischen Daten – beispielsweise Größe und Gewicht, Fingerabdrücke, Unterschriften – zu sammeln. Proteste der deutschen Regierung oder anderer EU-Staaten sind nicht zu erwarten: Sie waren über die Zustände auch schon vor der Veröffentlichung informiert und tolerieren sie stillschweigend.

** Aus: junge Welt, 30. November 2010


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