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"Wir fordern die Weltgemeinschaft auf, sich an die UN-Charta zu halten"

Dokumentiert: Ein Artikel von Ismail Hanija, Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiegebiete


Die Besatzung beenden

Von Ismail Hanija

Da das palästinensische Volk seinen langen und schmerzlichen Weg zur Freiheit und Unabhängigkeit weitergeht, sehen wir mit Hoffnung und Optimismus in die Zukunft. Tatsächlich ist es diese Hoffnung, dieser starker Glaube an die Gerechtigkeit unserer Sache, der uns all diese Jahre weitergehen und all das Leiden und die Brutalität, die uns eine üble und entmenschlichende israelische Militärbesatzung zugefügt hat, durchhalten ließ.

Seit undenklichen Zeiten war Palästina friedliche Heimat von alteingesessenen Muslimen, Christen und Juden, die hier im Frieden und in Harmonie zusammenlebten, die eine gemeinsame Geschichte und Kultur teilten. Erst nachdem Palästina nach dem Ersten Weltkrieg unter britisches Mandat kam und die britischen Kolonialbehörden anschließend entschieden, Palästina, die Heimat unserer Vorfahren, dem Zionismus zu übergeben, war diese interkommunale und interreligiöse Harmonie gestört. Als Folge dieser willkürlichen Ungerechtigkeit finden wir uns heute als Gefangene in unserm eigenen Lande wieder, versklavt und gequält von einem illegalen und unmoralischen Besatzer, der unser Volk wie Kinder eines geringeren Gottes behandelt oder als ob wir Tiere wären.

Selbstverständlich würden die israelischen Besatzer ihre Verbrechen gegen ein hilfloses Volk, dessen einziges Verbrechen es ist, sich nach Freiheit und Gerechtigkeit zu sehnen, nicht begehen, wenn es nicht die schimpfliche Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber der Notlage meines Volkes gäbe. Deshalb rufe ich die internationale Gemeinschaft auf, auf den israelischen Staat Druck auszuüben, damit er seine systematische Unterdrückung und institutionalisierte Verfolgung meines Volkes beendet.

Indem wir den unerträglichen Schmerz und das Leiden durchstehen, sind wir sicher, daß diese brutale Besatzung meines Volkes und meines Landes eines Tages enden wird und die Völker dieses Landes wieder in Frieden und Harmonie leben werden. Ich wage sogar zu sagen, daß der Frieden in Palästina sich dann über die ganze Welt ausbreiten wird und eine neue Ära des Frieden beginnen wird.

Ich weiß, daß es viele Leute gibt, die verlogen und böswillig oder vielleicht auch aus Unwissenheit uns als gewalttätig und gegen den Frieden eingestellt darstellen. Aber das stimmt nicht. Wir sehnen uns nach Frieden wie jeder andere auch, ja vielleicht sogar noch mehr, denn wir sind die ersten Opfer von Gewalt und Krieg. Frieden ist ein unschätzbarer Wert, ohne den der ganzen menschlichen Erfahrung das Wesentliche fehlen würde. Doch Frieden, wenn er wirklich, dauerhaft und bedeutsam ist, muß sich auf Gerechtigkeit gründen.

Wir, das palästinensische Volk, suchen ernsthaft nach einem echten Frieden, der aus den Herzen kommt, und wir bitten die internationale Gemeinschaft dringend, uns zu helfen, diesen Frieden zu verwirklichen, so daß alle Kinder in diesem Teil der Welt, arabische und jüdische Kinder, ein normales Leben führen können.

Seit Jahren verwüstet in diesem gequälten Land ein bitterer Kampf das Leben der Menschen, zerstört unermeßlichen Besitz und verhindert wirtschaftliche Möglichkeiten. Kriege gebären Haß und üble Taten – Frieden aber bringt Zusammenarbeit und guten Willen. Doch machen wir uns nichts vor: Gewalt wird solange weitergehen, wie eine Volksgruppe, von ihrer politischen und militärischen Macht berauscht, das Gefühl hat, das Recht zu haben, ihren Willen einer anderen Volksgruppe brutal aufzuzwingen. Ein »Frieden« wie dieser wäre ein Akt der Vergewaltigung.

Selbstverständlich muß ein in Palästina sich verwirklichender Frieden von der Weltgemeinschaft in ehrlicher Weise vorbereitet werden. Wir sagen das so deutlich, weil wir die Heuchelei und doppelte Moral der internationalen Gemeinschaft leid sind, wie sie mit diesem Konflikt umgeht. Wir würden tatsächlich gerne wissen, warum die Vereinten Nationen Israel erlauben, mehr als 100 UN-Resolutionen, in denen es um die Beendigung der Besatzung meines Landes geht, nicht zu erfüllen. Gibt es zwei Arten des Völkerrechts, das eine für die Schwachen, das andere für die Starken? Steht Israel über dem Völkerrecht? Hat Israel ein besonderes Recht von der internationalen Gemeinschaft erhalten, durch das es ungestraft Kinder töten, ungestraft unser Land stehlen, ungestraft uns in alle Welt vertreiben darf?

Wir verlangen nichts Unmögliches. Wir fordern nur die Weltgemeinschaft auf, sich an die UN-Charta und die internationalen Konventionen zu halten, die es verbieten, Land mit Gewalt zu erwerben. Kurz gesagt: die Besatzung muß enden – und sie muß jetzt enden.

* Der Autor ist Chef der Hamas-Regierung in den palästinensischen Gebieten. Der Beitrag erschien zuerst im Internetmagazin "PalestineChronicle.com". Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Ellen Rohlfs.

* Aus: junge Welt, 25. April 2006 ("Die Besatzung beenden")



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