Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hochgesteckte Ziele

Fortsetzung der "Friedensgespräche" zwischen Netanjahu und Abbas

Von Karin Leukefeld *

Weniger als zwei Wochen vor dem Auslaufen des Baustopps für jüdische Siedlungen im Westjordanland haben Israel und Palästinenser ihre Verhandlungen fortgesetzt. Im Beisein von US-Außenministerin Hillary Clinton kamen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und der palästinensische Präsident Mahmud Abbas am Dienstag im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich zusammen. Ohne Verhandlungen gebe es »keine Sicherheit für Israel und keinen Staat für die Palästinenser«, wurde Clinton in verschiedenen Medien zitiert. Sie sprach von einer »historischen Chance«, die es so schnell nicht mehr geben werde. Die Zeit sei »reif für den Frieden«.

Ziel der Anfang September in Washington wieder aufgenommenen »direkten Gespräche« zwischen Israel und den Palästinensern ist ein Friedensabkommen innerhalb eines Jahres. Dabei sollen zentrale Fragen wie die Sicherheit Israels, die Grenzen eines palästinensischen Staates, das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge und der zukünftige Status von Jerusalem geklärt werden. In allen Punkten liegen die Positionen Israels und der Palästinenser weit auseinander.

Clinton empfahl Israel, den Baustopp von Siedlungen in der besetzten Westbank über den 26. September hinaus zu verlängern. Mahmud Abbas, der die Delegation der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) führt, drohte die Gespräche abzubrechen, sollte Israel das Moratorium nicht verlängern. »Sollten sie sich dafür entscheiden, die Siedlungen, in welcher Form auch immer, weiterzubauen, wird das die Verhandlungen zerstören«, sagte der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat. Netanjahu hatte angedeutet, den Bau neuer Siedlungen möglicherweise zu verlangsamen. Seine Partner in der Regierungskoalition allerdings haben deutlich gemacht, daß der Bau von Siedlungen sofort nach dem 26. September ungehindert weitergehen müsse.

Während die US-Administration sich in Sachen Siedlungsbau hinter die palästinensischen Forderungen zu stellen scheint, hat Außenministerin Clinton in Sachen Sicherheit weitgehend die Sprachregelung der israelischen Regierung übernommen. Danach agierten die libanesische Hisbollah und die Hamas als verlängerte Arme des Iran und sollen Israel mit neuen, gefährlicheren und weiter reichenden Raketen bedrohen. Diese Entwicklung sei die größte Gefahr für den Frieden in der Region, so Clinton.

Die Hisbollah hat erklärt, ihre Waffen lediglich zur Verteidigung und zur Rückeroberung libanesischen Bodens einzusetzen. Sollte Israel, das noch immer die libanesischen Scheeba-Höfe und Grenzdörfer besetzt hält, wie im Krieg 2006 erneut die libanesische Bevölkerung oder Infrastruktur angreifen, werde die Hisbollah entsprechend zurückschlagen.

Die Hamas lehnt ebenso wie zwölf weitere palästinensische Organisationen die aktuellen Gespräche ab. Sie seien »beschämend und entwürdigend«, sagte Ismail Radwan von der Hamas. Abbas sei »nicht autorisiert, im Namen des palästinensischen Volkes zu verhandeln, keine Vereinbarung, die bei diesen Verhandlungen getroffen werden sollte, wird für unser Volk bindend sein«. Abbas hatte im Januar 2005 die Präsidentschaftswahlen gegen sieben weitere Kandidaten für sich entschieden. Die verfassungsmäßig vorgesehene Neuwahl des Amtes im Januar 2009 verschob Abbas eigenmächtig auf unbestimmte Zeit.

Parallel zu den Gesprächen in Scharm el-Scheich, die am Mittwoch in Jerusalem fortgesetzt werden sollen, traf in Damaskus der frühere französische Botschafter in Syrien Jean-Claude Cousseran ein, um mit Präsident Bashar Al-Assad und Außenminister Walid Mou’allem über die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen Syrien und Israel zu sprechen. Assad verwies erneut auf die Rückgabe der von Israel annektierten Golan-Höhen und sagte, der Türkei käme im Friedensprozeß eine Schlüsselrolle zu.

Die israelische Regierung hat derweil ihre Botschafter in Europa angewiesen, auf »höchster Ebene« die Wiederaufnahme der Verhandlungen für erweiterte Beziehungen zwischen Israel und der EU anzusprechen. Die EU hatte diese Verhandlungen im April 2009 gestoppt. Erweiterte israelisch-europäische Beziehungen würden Israel zu einem der wichtigsten Handelspartner der EU machen und Milliarden Euro in die israelische Wirtschaft pumpen. Die Palästinenser werden von der EU mit Hilfsleistungen im Wert von 300 Millionen Euro jährlich unterstützt.

* Aus: junge Welt, 15. September 2010


Von Karin Leukefeld **

Nach einer weitgehend ergebnislosen Gesprächsrunde zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich ist die Karawane am Mittwoch (15. Sep.) nach Jerusalem weitergezogen. Obwohl der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, George Mitchell, den Teilnehmern am ersten Tag bescheinigte einen »ernsthaften Diskurs über zentrale Themen« zu führen, ist weitgehend unbekannt, worüber die Beteiligten tatsächlich reden. Für Israel sei es ganz nützlich, daß die Frage des Siedlungsbaus im Mittelpunkt stünde, meinte der politische Beobachter Marwan Bishara (Al-Dschasira), dann müsse es nicht zu Staatsgrenzen, der Zukunft Jerusalems oder dem Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge Stellung nehmen.

Jenseits der Blitzlichter sieht die Realität für die Palästinenser düster aus. Wie das Israelische Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD) feststellt, geht der Zerstörungsprozeß in Ostjerusalem weiter. Die Stadt soll nach Vorstellung der Palästinenser Hauptstadt ihres zukünftigen Staates werden, doch israelische Abrißanordnungen, Baupläne und systematische Vertreibung der palästinensischen Bewohner sprechen eine andere Sprache. Von 1967 bis 2003 wurden 90 000 Wohneinheiten für jüdische Siedler geschaffen, doch für die palästinensischen Einwohner wurden kaum Baugenehmigungen erteilt. Viele bauten daher ohne Erlaubnis, denn wenn sie Jerusalem verlassen, würden sie ihr Wohnrecht verlieren, erklärt das ICAHD. Zwischen 2001 und 2006 habe die Stadtverwaltung 34 Millionen US-Dollar an Strafzahlungen kassiert, 70 Prozent allein von Einwohnern Ostjerusalems. Israel ignoriere den Besatzungsstatus Ostjerusalems und schaffe Fakten. Jede Perspektive für Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt beider Nationen (Israel und Palästina) werde zunichte gemacht.

Parallel zum Beginn der Gespräche am Dienstag, legten PA-Ministerpräsident Salam Fayyad und EU-Vertreter Christian Berger in Nablus den Grundstein für die zweite Phase eines gigantischen Bauprojekts zur Unterbringung der palästinensischen Sicherheitskräfte sowie für ein Gefängnis. Die 14,3 Millionen Euro teure Einrichtung wird von der Europäischen Union finanziert und sei Teil der Infrastruktur, die die PA brauche, um »dauerhaft und umfassend Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit für die Bevölkerung gewährleisten« zu können, hieß es in einer EU-Erklärung.

Einwohner der Westbank sprechen allerdings von einem »Klima der Angst«, das Polizei und Geheimdienst gegenüber allen verbreiteten, die nicht den Kurs der Autonomiebehörde unterstützten. Während früher offen und kontrovers diskutiert worden sei, traue sich heute kaum noch jemand, Mahmud Abbas und die Fatah öffentlich zu kritisieren. Ende August war in Ramallah eine Versammlung von Gegnern der neuen Gespräche gestürmt worden, die per Videolink mit Gleichgesinnten im Gazastreifen eine Pressekonferenz abhalten wollten. Die Polizisten schlugen auf die Versammelten ein, darunter auch Journalisten und konfiszierten Kameras und Aufnahmegeräte.

Besonders wenig Hoffnung bleibt Palästinensern in Flüchtlingslagern. »Jeder Tag ist schlimmer als der vorherige«, antwortete eine Frau aus dem Lager Dheisheh (West Bank) auf die Frage eines Reporters. Vielleicht würden Verhandlungen einen neuen Krieg verzögern, aber Konflikte und Gewalt würden wieder die Oberhand gewinnen, so die Frau weiter. »Israel nimmt unser Land und zwingt uns, in einem großen Gefängnis hinter einer Mauer zu leben.« Alles was die Palästinenser wollten, sei ein Leben ohne Angst. »Aber wenn jemand kommt und dein Land besetzt, dann mußt du dich wehren.«

** Aus: junge Welt, 16. September 2010


Soldaten töten Zivilisten in Gaza

Schwere Vorwürfe gegen israelisches Militär ***

Das israelische Militär hat angeblich »versehentlich« drei palästinensische Zivilisten im Gazastreifen getötet. Soldaten hätten einen Palästinenser dabei beobachtet, wie er eine Rakete vom Boden aufgehoben und damit auf Soldaten gezeigt habe, teilte ein Militärsprecher am Mittwoch mit. Daraufhin hätten die Soldaten das Feuer eröffnet. Anschließende Ermittlungen hätten ergeben, daß die Getöteten keine Aufständischen gewesen seien. Bei den drei Opfern handelte es sich nach Angaben von Familienangehörigen und einer palästinensischen Menschenrechtsgruppe um einen 91jährigen Bauern, dessen 16 Jahre alten Enkel und einen weiteren 17jährigen Verwandten. Sie hatten demnach am Sonntag (12. Sep.) nahe der Grenze zu Israel Schafe weiden lassen, als sie von den Schüssen getroffen wurden.

Eine israelische Menschenrechtsorganisation hat unterdessen den Streitkräften vorgeworfen, den Tod von palästinensischen Zivilisten bei Militäreinsätzen nicht angemessen zu untersuchen. In den vergangenen vier Jahren seien 1510 Palästinenser von israelischen Soldaten getötet worden, darunter 617 Zivilisten, aber kein einziger Soldat sei angeklagt worden, erklärte die Organisation B’Tselem in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht. Nicht enthalten in der Opferzahl sind die während des Gazakrieges 2008/2009 getöteten Palästinenser.

Die Organisation rief die Streitkräfte nach eigenen Angaben auf, 148 Zwischenfälle zu untersuchen, bei denen insgesamt 288 palästinensische Zivilisten getötet wurden. Es seien aber kaum Akten angelegt worden und niemandem offiziell Vorwürfe gemacht worden, heißt es in dem Bericht weiter. (dapd/jW)

*** Aus: junge Welt, 16. September 2010

Die Israelische Botschaft veröffentlichte zu dem Vorfall nachfolgende Meldung:

Raketenangriffe auf Südisrael

Die Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen nehmen wieder an Intensität zu. Nachdem palästinensische Terroristen bereits am Sonntag von dort zwei Raketen in den Süden Israels abgefeuert hatten, schlugen auch heute Morgen wieder zwei Kassams im Kreis Sha’ar Hanegev ein. Sie landeten auf offenem Gelände und verursachten weder Sach- noch gar Personenschaden.

Neben dem gestrigen Raketenangriff kam es auch noch zu einem Zwischenfall nahe dem Sicherheitszaun. Dabei wurden drei Palästinenser getötet, als die israelische Armee eine Gruppe bewaffneter Terroristen, die sich dem Zaun näherten, mit Artilleriefeuer beschoss.

Der Direktor von Israels Allgemeiner Sicherheitsbehörde (SHABAK), Yuval Diskin, warnte unterdessen vor erhöhter Terroraktivität bei jeglichem Fortschritt der israelisch-palästinensischen Friedensgespräche.

(Yedioth Ahronot, 13.09.10)

Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 13. September 2010




Zurück zur Nahost-Seite

Zur Israel-Seite

Zur Palaestina-Seite

Zur Gaza-Seite

Zurück zur Homepage