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Gute Zäune, gute Nachbarn?

Die Mauer, die Palästinenser und Israelis trennt

Von Heinz-Dieter Winter *

Vor sechs Jahren reisten kurz hintereinander Palästinenserpräsident Abbas und der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Scharon nach Washington, um dem US-Präsidenten ihre Sicht über die seit dem Jahr 2002 im Bau befindliche Sperrmauer darzulegen. Scharon präsentierte »wunderschöne Fotos des im Bau befindlichen Sperrwalles, die beweisen sollten, dass es sich nicht um Mauer handelte, sondern um eine Barriere aus Zäunen und Patrouillenwegen«. Abbas hingegen zeigte Bilder über den wahren Anblick der streckenweise acht Meter hohen Betonmauer, die palästinensische Siedlungen von ihrer Umgebung abschnitten. Ein aufwendiges Bauwerk, das nicht gebaut wurde, um es gleich wieder abzureißen. Scharon zitierte bei seinem Besuch außerdem ein Gedicht des amerikanischen Poeten Robert Frost, in dem es heißt, dass »gute Zäune gute Nachbarn« schaffen. Befriedigt fuhr er nach Hause.

Hatte Präsident Bush nach dem Gespräch mit Abbas die Sperranlage noch ein »Problem« genannt, so war sie nach dem Treffen mit Scharon nur noch ein »sensibles Thema«. Der Sperrwall mit mehr als 700 Kilometer geplanter Länge wird weitergebaut, von US-Amerikanern und Europäern stillschweigend hingenommen wie der Siedlungsbau -- ungeachtet des Urteils des Internationalen Gerichtshofes von Den Haag und vieler internationaler Proteste. Ob für USA-Präsident Obama der Sperrwall mehr ist als nur ein »sensibles Thema«, muss sich noch zeigen. Immerhin hat er gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu nachdrücklich auf die Einstellung der Siedlungstätigkeit bestanden.

Heiko Flottau, der heute in Kairo lebende ehemalige langjährige Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung«, spricht von einer »Eisernen Mauer«, angelehnt an den Titel eines Aufsatzes des zionistischen Klassikers Wladimir Jabotinski aus dem Jahre 1923: »Die Eiserne Mauer, wir und die Araber.« Dieser hatte schon damals dafür plädiert, zwischen Juden und Arabern eine unüberwindliche Barriere zu errichten.

Anhand zahlreicher Fakten, authentischer israelischer und palästinensischer Quellen und eigener Beobachtungen weist Flottau nach, dass der Sperrwall keineswegs »gute Nachbarn« schafft, sondern Ausdruck und Höhepunkt des langfristigen Konzeptes zionistischer Landnahme in Palästina ist und letztlich zusammen mit den etwa 560 Kontrollpunkten der israelischen Armee auf palästinensischem Gebiet und der andauernden Siedlungstätigkeit einen lebensfähigen palästinensischen Staat verhindern soll. »Mauer-, Zaun und Siedlungsbau haben Palästina zerstückelt und als zusammenhängendes Wohn- und Kulturgebiet zerstört.« Die ernsthaften Friedensangebote von arabischer und palästinensischer Seite seien in einem »schwarzen Loch« verschwunden. Die von Arafat angestrebte Zwei-Staaten-Lösung unter Verzicht gar auf drei Viertel palästinensischen Landes -- »ein wohl einmaliger Vorgang in der neueren Geschichte« -- sei unmöglich geworden, so das Urteil des Autors. Flottau beschreibt, welches unsägliches Leid der Sperrwall den Palästinensern brachte. Bauern gelangen nicht mehr oder nur unter großen Schwierigkeiten zu ihren Feldern. Und Schwerkranke sterben an Kontrollpunkten, weil sie nicht rechtzeitig ins nächste Krankenhaus gebracht werden können.

Sicher, die Zahl der Selbstmordattentate ist in Israel mit dem Bau des Sperrwalls wesentlich geringer. Aber der Hass ist, wie der Gaza-Krieg zeigt, gewachsen. Langfristig gesehen erhöht der »Sicherheitszaun« nicht die Sicherheit Israels. Flottau verurteilt die Hamas-Strategie der Gewalt als menschenrechtswidrig und kontraproduktiv. Doch diese hatte erst begonnen, nachdem 1994 in der Moschee von Hebron 29 betende Muslime durch den jüdischen Extremisten Bruch Goldstein getötet worden waren. Der Westen hat mit der Nichtanerkennung des Wahlsieges der Hamas von 2006 und der palästinensischen Regierung der nationalen Einheit die Chance vertan, Hamas in einen Friedensprozess einzubinden.

Der Sperrwall ist für den Autor lediglich »der in Stahl und Beton gegossene Beweis, dass eine Lösung nicht in Sicht ist«. Der Konflikt trete in eine neue, verschärfte Phase ein. Flottau zitiert jüdische Stimmen, die für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinenser plädieren und tätig sind oder waren, so die 1975 gestorbene Philosophin Hannah Arendt, den ehemaligen Präsidenten des israelischen Parlaments Avraham Burg, die Historiker Ilan Pappé und Shlomo Sand sowie den Publizisten Uri Avnery. Letztere fordern einen Paradigmenwechsel in der israelischen Politik, der den »Abschied von der Exklusivität jüdischen Leidens, mehr Weltoffenheit, eine jüdische Führungsrolle beim Kampf gegen jede Art von Völkermord und die Anerkennung des palästinensischen Volkes als eines auf allen Ebenen gleichberechtigt handelnden politischen Subjektes« beinhaltet.

Der Bundesregierung wirft Flottau zu Recht vor, dass ihre routinemäßig wiederholte Solidarität mit Israel zumindest solange diskussionswürdig sei, solange die Grenzen Israels nicht fixiert seien. Ein uneingeschränktes Ja zur Solidarität mit Israel und die Bekräftigung seines Existenzrechtes könne es nur in den Grenzen vor dem Juni-Krieg von 1967 geben.

Heiko Flottau: Die Eiserne Mauer. Palästinenser und Israelis in einem zerrissenen Land. Ch. Links: Berlin 2009, 222 S., br., 16,90 €.; ISBN: 3861535157

* Aus: Neues Deutschland, 3. Dezember 2009


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