Europäische Union will den Status von Ostjerusalem erst in "Verhandlungen" geklärt wissen - Palästinenser empört - Israel (nicht ganz) zufrieden
Bericht über die "Schlussfolgerungen des Rates" / Dokumentiert: Stellungenahme der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und der Palästinensischen Gemeinde Deutschland
Die Außenminister der Europäischen Union haben sich auf eine Erklärung über Jerusalem als "künftige Hauptstadt zweier Staaten" geeinigt. In dem am 8. Dezember 2009 in Brüssel angenommenen Text heißt es nach einer inoffiziellen Übersetzung: "Durch Verhandlungen muss ein Weg gefunden werden, den Status Jerusalems als künftige Hauptstadt zweier Staaten zu klären." Die Annexion Ost-Jerusalems durch Israel wird in dem Text abgelehnt (Ziffer 8 der "Council conclusions").
Ursprünglich hatte der schwedische EU-Ratsvorsitz einen Text unterbreitet, in dem von einem "lebensfähigen Palästinenserstaat, bestehend aus dem Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem und Gaza" die Rede war. Ost-Jerusalem wurde darin als "Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaats" bezeichnet. Israel und die USA hatten den Textentwurf kritisiert.
"... a way must be found ..."
Die umstrittene Ziffer 8 der abschließenden "Schlussfolgerungen" ("Council conclusions") des Rates der Europäischen Union lautet in der endgültigen Fassung:
8. The Council is deeply concerned about the situation in East Jerusalem. In view of recent incidents, it calls on all parties to refrain from provocative actions. The Council recalls that it has never recognised the annexation of East Jerusalem. If there is to be a genuine peace, a way must be found through negotiations to resolve the status of Jerusalem as the future capital of two states. The Council calls for the reopening of Palestinian institutions in Jerusalem in accordance with the Roadmap. It also calls on the Israeli government to cease all discriminatory treatment of Palestinians in East Jerusalem.
Quelle: www.consilium.europa.eu
Auch etwa die Hälfte der EU-Staaten, darunter Deutschland, war Diplomaten zufolge mit der von Schweden vorgeschlagenen Erklärung nicht einverstanden. Mit dem jetzt erreichten Kompromissvorschlag wurden Formulierungen, wonach Ost-Jerusalem die "Hauptstadt Palästinas" sei oder Jerusalem die "künftige gemeinsame Hauptstadt Israels und Palästinas", eine Absage erteilt.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hatte die EU im Vorfeld aufgerufen, eine "klare Sprache" zu finden. "Wir sagen ja alle, dass Ost-Jerusalem besetzt ist - und wenn es besetzt ist, gehört es nicht zu Israel", sagte er vor dem Außenministertreffen. Er verstehe nicht, warum Israel nicht akzeptiere, "dass Palästina aus dem Westjordanland besteht, aus Gaza und aus Ost-Jerusalem".
Die israelische Regierung war gleichwohl mit der EU-Erklärung wenig zufrieden. In einer erklärung des Außenministeriums vom 8. Dezember hieß es:
(...) Im Lichte des extremen Entwurfs, der ursprünglich von der schwedischen Ratspräsidentschaft beim Beginn der Diskussionen vorgelegt wurde, begrüßt Israel die Tatsache, dass die Stimmen der verantwortungsbewussten und vernünftigen EU-Staaten sich durchgesetzt und den Text balanciert und verbessert haben. Wir begrüßen auch die Anerkennung, die den Maßnahmen und Bemühungen Israels zur Ermöglichung der Wiederaufnahme der Verhandlungen zuteil geworden ist; die Erklärung hinsichtlich der andauernden Fortentwicklung und Ausweitung der Beziehungen zwischen Israel und der EU; die Anerkennung der Schwere des Problems, das die Aufrüstung der Hamas darstellt; und die Verpflichtungsbekundung der EU gegenüber der Sicherheit Israels und seiner vollen Integration in der Region.
Es könnte erwartet werden, dass die EU auf die Förderung direkter Verhandlungen zwischen den Parteien hinwirkt und dabei Israels Sicherheitsbedürfnisse bedenkt und versteht, dass Israels jüdischer Charakter in jeglichem zukünftigen Abkommen gewahrt bleiben muss.
(Außenministerium des Staates Israel, 08.12.09)
Quellen: AFP, Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin, Europäische Kommission, alle vom 8. Dezember 2009
Gemeinsame Stellungnahme
der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V. (DPG) und der Palästinensischen Gemeinde Deutschland e.V. (PGD)
zur Haltung der Bundesrepublik Deutschland beim EU-Außenministerrat, am 07. und 08. Dezember 2009 zur Ostjerusalem-Frage.
Das Gerücht scheint sich wirklich zu bestätigen: es hieß,
Bundesaußenminister Guido Westerwelle habe nach seinem Amtsantritt
zum israelischen Außenminister, dem rechtsgerichteten Politiker Avigdor
Liebermann, als erstem ausländischen Politiker telefonisch Kontakt
aufgenommen.
Für die meisten von uns schien dies ein merkwürdiger Schritt eines
liberalen weltoffenen deutschen Politikers zu sein. Hatten doch viele
ganz andere Akzentsetzungen von ihm zu Beginn der Arbeitsaufnahme
in der neuen Koalitionsregierung erwartet. Die Realität, nur wenige
Wochen später, belehrt uns eines Besseren.
In seinem jüngsten Manöver, vor der Sitzung des EUAußenministerrates
in Brüssel, am 7.12.2009, hat Herr Westerwelle im
Vorfeld alles Erdenkliche unternommen, die schwedische Initiative,
Ostjerusalem als Hauptstadt des zukünftigen unabhängigen
palästinensischen Staates anzuerkennen, zu torpedieren: Er schmiedete
im Hintergrund eine Allianz gegen die schwedische Initiative - mit der
Rückendeckung seiner Chefin und in enger Abstimmung mit der
israelischen Regierung. Westerwelle machte keinen Hehl daraus und
erklärte seine Aktion mit den Worten: Er wolle nicht die
Endstatusverhandlungen im Voraus beeinflussen. Aber er sehe wohl,
dass Israel Ostjerusalem besetzt hält. - Eine Logik, die einige seiner
Kollegen, wie der luxemburgische Außenminister, gar nicht
nachvollziehen können!
Dieser Schritt aber bedeutet keineswegs eine nur momentane
strategische Ausrichtung des Außenministers. Vielmehr ist dies eine
langfristige Verhinderung dessen, dass die EU die von vielen lange
ersehnte, einflussreichere Rolle Europas im Friedensprozess im Nahen
Osten übernimmt; es ist dies darüber hinaus eine ernst zu nehmende
Kehrtwende in der bundesrepublikanischen Nahostpolitik.
Die Entscheidung der EU-Minister kann unter keinem Gesichtswinkel
als positiv bewertet werden, schon gar nicht, wenn man den im Text
versteckten „Freibrief“ für die Israelische Regierung erkennt und im
geopolitischen Sinne interpretiert. Aus unserer Sicht war der „deutsche
Erfolg“ aus verschiedenen Gründen ein Rückschlag; er legte keineswegs
eine feste Basis für zukünftige Friedensverhandlungen zwischen Israel
und Palästina.
-
Israel sieht sich in seiner kolonialistischen Politik bestätigt.
Israel verstößt gegen die Genfer Konventionen und ändert
demographisch und geographisch das Bild des von ihm
besetzten Landes und dies kontinuierlich seit über 42 Jahren;
es braucht nicht einmal eine Sanktion zu befürchten.
-
De facto unterstützt die Bundesrepublik die verheerende
Siedlungspolitik in Jerusalem und akzeptiert die Tatsache,
dass man auf diese Weise erst am Ende eines Prozesses,
wenn neue Fakten geschaffen sein werden, über die Zukunft
der Stadt sprechen wird. Ja, selbst das Lippenbekenntnis der
Bundesregierung über das Einfrieren der
Siedlungstätigkeiten Israels in den Besetzten Gebieten, wird
durch die Aussagen des Außenministers ad absurdem
geführt.
-
Die Nicht-Anerkennung Ostjerusalems als Palästinas
Hauptstadt bedeutet auch, dass die Bundesrepublik das
besetzte Palästina insgesamt als umstrittenes Gebiet sieht,
dass sein Schicksal erst am Ende eines Prozesses zwischen
beiden Konfliktparteien entschieden wird. Dass diese
Haltung internationalem Recht und internationalen
Beschlüssen widerspricht, dürfte dem Außenminister wohl
bekannt sein.
-
Die anhaltenden Repressalien gegen die palästinensischen
Einwohner Ostjerusalems werden toleriert. Ihre langsame,
aber unaufhörliche Vertreibung aus ihrer Heimat wird
stillschweigend akzeptiert. Denn keiner kann sagen, wann
diese „Endstatusverhandlungen“ tatsächlich beginnen.
Täglich vertreibt Israel aber inzwischen durch zahlreiche
Maßnahmen Palästinenser aus Ostjerusalem.
-
Der deutsche Außenminister vergisst, dass der Staat Israel
international in ganz anderen Grenzen anerkannt wurde als
denen des von ihm jetzt beanspruchten Gebiets. Ja mehr
noch: Israel hat seit seiner Anerkennung seine
Außengrenzen nicht festgelegt und versucht diese durch
Mauer und Annexion auszudehnen. Jetzt bekommt Israel,
die Besatzungsmacht, zu all dem noch den deutschen
Freibrief, diese kolonialistische Politik weiter zu führen bis
die „Endstatusverhandlungen“ beginnen.
Wieder einmal hat die deutsche Regierung ihre schützende Hand über
Israel ausgestreckt und damit verhindert, dass Israel genau wie alle
anderen Länder dieser Erde behandelt wird. Dieser Sonderstatus schadet
nicht nur dem Weltfrieden, sondern auch langfristig den deutschen
Interessen in der Region.
(Kontakt: Raif Hussein M.A.)
Israel verweigert EU-Delegation Einreise in Gazastreifen
Die israelischen Behörden haben einer Delegation von Europaabgeordneten die Einreise in den Gazastreifen verwehrt. Das Europaparlament verlangte dafür am Mittwoch (9. Dez.) eine Erklärung. Die Delegationsmitglieder hätten am Dienstag (8. Dez.) zunächst eine Einreiseerlaubnis bekommen, hieß es in einer Mitteilung, die von der EU-Vertretung in Jerusalem verbreitet wurde. Drei Stunden später sei die Genehmigung dann "aus Sicherheitsgründen" zurückgezogen worden. Der Zeitpunkt der Kehrtwende wird in der Mitteilung als "seltsam" bezeichnet. Kurz zuvor hatte eine Erklärung der EU über die künftige Stellung von Jerusalem zu Verstimmungen in Israel gesorgt.
Nachrichtenagentur AFP, 9. Dezember 2009
Zurück zur Seite "Naher Osten"
Zur EU-Europa-Seite
Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"
Zurück zur Homepage