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Nichts Neues unter der NAHOST-Sonne

Die EU von einer eigenständigen politischen Initiative weit entfernt. Ein Kommentar zum europäischen Aktionsplan für den Nahen Osten

Von Peter Strutynski *

Die Europäische Union und der deutsche Außenminister sind Berufsoptimisten. Jeder ausgeworfene Köder des State Department in Washington wird begierig geschluckt - und schon hängt Europa wieder an der Angel Washingtons. So sieht es auch dieser Tage wieder aus, wenn die Akteure in Israel und die Mitakteure in Ramallah im Konsens mit US-Präsident Bush und seiner Außenministerin eine Nahost-Konferenz vorbereiten, um den "Friedensprozess" im Nahen Osten, dessen "Frieden" man bisher noch nie zu Gesicht bekam, wieder voran zu bringen.

Am 15. Oktober verabschiedete der Rat der Europäischen Union einen "Aktionsplan für den Nahen Osten", der keinen wirklich neuen Gedanken enthält. Dies wäre ihm nicht einmal vorzuwerfen, denn es gibt bereits viele gute alte Gedanken - ich erinnere nur an die "Genfer Initiative" -, die es wert wären, in die Tat umgesetzt zu werden. Doch das Fehlen neuer Gedanken im EU-Plan ist deshalb so schlimm, weil die darin befindlichen alten Gedanken der Region keineswegs helfen, sondern sie weiter destabilisieren.

Die EU wiederholt ihre sattsam bekannten Forderungen nach einer israelisch-palästinensischen Annäherung und Zusammenarbeit auf der Basis der Vorgaben Israels und nicht etwa auf der Grundlage der UN-Resolutionen 242 (1967) sowie weiterer einschlägiger völkerrechtlich verbindlicher Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats, ganz zu schweigen von den zahllosen nicht verbindlichen Resolutionen und Erklärungen anderer UN-Gremien von der Generalversammlung bis zum Menschenrechtsrat. Die Hoffnung der EU - und von Außenminister Steinmeier, der sich in einem Handelsblatt-Beitrag vom 15. Oktober äußerte - richtet sich auf den Sieg der "gemäßigten" Kräfte im Lager der Palästinenser, d.h. der Fatah des derzeit im Westjordanland regierenden Präsidenten Abbas über die Hamas, die zur Zeit das Sagen im Gazastreifen hat. Es ist daran zu erinnern, dass die Hamas-Regierung im Januar 2006 legal ins Amt gekommen war - infolge einer demokratischen und von der OSZE als "fair" eingestuften Wahl - und seither von den USA, von Israel und von der EU (Deutschland selbstverständlich eingeschlossen) nicht anerkannt und regelrecht ausgehungert wurde. Damit aber verschärfte der Westen die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen in der Hoffnung, die Fatah würde Hamas vollends den Garaus machen und so könne der Weg für einen Frieden mit Israel frei gemacht werden.

"The Council reiterates its full support to President Abbas and Prime Minister Fayyad", heißt es in dem Rats-Beschluss (Ziffer 4) und hofft auf dieser Basis auf eine Einigung der Palästinenser. Das ist Parteinahme für eine Seite, und zwar für die Seite, die im demokratischen Wahlprozess unterlegen war. Von Hamas und dem gewählten Ministerpräsidenten Hanija ist schon gar nicht mehr die Rede, den über eine Million Menschen im Gazastreifen, auf engstem Raum zusammengepfercht in einem der größten Freiluftgefängnisse der Welt, wird lediglich eine Dosis Mitleid verabreicht ("The Council reiterates its grave concern at the humanitarian situation in Gaza."). Alle Deklarationen zur Einheit der Palästinenser und zu einem palästinensischen Staat bleiben wohlfeile Lippenbekenntnisse, solange nicht auch von Israel eine Erfüllung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen eingefordert wird. Der unverzügliche Stopp des Siedlungsbaus, die vollständige Räumung aller Siedlungen und das Ende der Besatzung gehören genauso auf die Agenda wie die Anerkennung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge und der Rechtsanspruch auf Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates.

Dies alles wird auch nicht auf der Nahost-Konferenz Ende des Jahres verhandelt werden, zu der US-Präsident Bush die israelische und die - "brave" - palästinensische Seite eingeladen hatte. Israel hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es z.B. nicht über Ostjerusalem sprechen will. Wie könnte es auch, da doch Jerusalem in der israelischen Staatsdoktrin ungeteilt zu Israel gehört?! Nicht verhandelbar wird auch die Flüchtlingsfrage und werden auch die großen Siedlungsblöcke im Raum Jerusalem sein, die Israel in den vergangenen zwei Jahrzehnten, genauer: seit den Osloer Verhandlungen massiv ausgebaut hat. Wie aber unter solchen Umständen noch von einem "lebensfähigen Palästinenserstaat" gefaselt werden kann, ist ein Rätsel.

Während sich die EU auf ihrer Ratstagung solchen Illusionen hingibt, redet die US-Außenministerin Tacheles. Condoleezza Rice ist am selben Tag, an dem der EU-Rat seine "Schlussfolgerungen" verabschiedete, mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas im Westjordanland zusammengetroffen. Im Rahmen des diplomatischen Marathons versucht sie, die "Friedenskonferenz" abzusichern. Derzeit lehnt es Israel ab, über Ost-Jerusalem zu reden, so der stellvertretende israelische Ministerpräsident Eli Yishai bei seinem Treffen mit Rice am 14. Oktober. Rice selbst hat inzwischen die an ihre Reise geknüpften Erwartungen weiter heruntergespielt und erklärt, dass bei ihren Verhandlungen für das angestrebte gemeinsame Dokument zur Konferenz in Annapolis östlich von Washington mit keinem "Durchbruch" zu rechnen sei. "Mit dieser Erklärung hat Rice die palästinensischen Hoffnungen für die Konferenz gesenkt", sagte in einer ersten enttäuschten Reaktion ein Berater von Abbas, Nabil Amr. "Wir erwarten, dass sich die USA Mühe geben, damit die Konferenz ein Erfolg wird", fügte er hinzu, obwohl er eigentlich wissen müsste, dass die USA von den Israelis nie etwas verlangt haben, was sie nicht selbst wollten.

In dem Artikel von Frank-Walter Steinmeier wird noch etwas anderes deutlich: Deutschland und die EU werden auch weiterhin keine den USA widersprechende Nahostpolitik betreiben, sondern sie beschränken sich auf die wirtschaftliche und -aus "humanitären Gründen" - soziale Begleitung dessen, was sie Friedensprozess nennen. Schlagworte sind "Wiederaufbau und Entwicklung". Und die Aufbauhilfe der europäischen Staaten für die besetzten Gebiete konnte sich in der Vergangenheit durchaus sehen lassen. Wie viel davon ist allerdings wieder unbrauchbar gemacht worden in den jahrelangen israelisch-palästinensischen Kämpfen? Wie schnell werden ein Flughafen oder ein Kraftwerk, ein Regierungsgebäude der Palästinenserbehörde von israelischen Flugzeugen oder Panzern zerstört? Und wie lang dauert es, sie wieder aufzubauen bzw. das Geld dafür bereitzustellen? Wenn man nicht gleichzeitig die Politik ändert und für einen Frieden eintritt, der den Palästinensern Gerechtigkeit bringt, wird es keine Entwicklung im Nahen Osten geben. Dies zu akzeptieren, bedeutet aber die Formulierung einer eigenständigen europäischen Außenpolitik. Steinmeier und die gegenwärtige EU sind meilenweit davon entfernt. Der "europäische Aktionsplan für den Nahen Osten" wird daran nichts ändern, sondern die Misere nur noch zementieren.

* Peter Strutynski, wiss. Mitarbeiter der AG Friedensforschung an der Uni Kassel; vgl. zuletzt seinen Aufsatz: Wohin treibt die Nahostpolitik der Europäischen Union?


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