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Mit wem, über was / With Whom, About What

Die Beilin-Abed-Rabbo-Vereinbarung ist der neueste Hit auf dem Markt des Nahen Ostens.
The Beilin-Abed-Rabbo agreement is the latest hit on the Middle Eastern market.

Von Uri Avnery

Diese Woche machte ich einen Kurzbesuch nach Deutschland*, wo eines meiner Bücher erschienen ist, und wurde bei jeder Gelegenheit danach gefragt. Bei meinen Treffen mit Bundespräsident Johannes Rau und Außenminister Joschka Fischer kam dieses Thema auch sofort zur Sprache. Ich nutzte die Gelegenheit, mich für die Unterstützung dieser Initiative mit allen möglichen Mitteln auszusprechen.

Um ein Missverständnis zu vermeiden, zeigte ich auf, dass ich keine Verbindungen zu dieser Initiative habe. Die israelischen Teilnehmer gehören dem linken Flügel der Labour- und Meretz-Partei an und ich gehöre diesem Kreis nicht an. Aber ich gebe dieser Initiative meinen uneingeschränkten Segen - besonders, weil sie einen Prozess fortsetzt, den wir selbst vor zwei Jahren in Gang gesetzt haben.

Im August 2001 veröffentlichte Gush Shalom einen Entwurf für ein israelisch-palästinensisches Friedensabkommen. Er bestand aus 14 Paragraphen, die detaillierte Vorschläge für die Lösung aller Probleme in diesem Konflikt beinhalteten. Es war eine israelische Initiative, aber wir handelten in enger Absprache mit palästinensischen Kollegen.

Das Hauptziel dieser Initiative war erzieherisch. Die Al-Aksa-Intifada war voll im Gange, Ehud Baraks Mythos ("Es gibt niemanden, mit dem man Gespräche führen kann!") hatte die Öffentlichkeit eingefangen, der überwiegende Teil des Friedenslagers war zusammengebrochen, Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit herrschten überall vor.

Wir wollten eine Kerze im Dunkeln anzünden. Um der Öffentlichkeit zu beweisen, dass es eine Lösung gibt, dass es jemanden gibt, mit dem man Gespräche führen kann und etwas, über das man reden kann. Und am wichtigsten war es, den Leuten zu sagen, welches der Preis für den Frieden ist und dass es sich lohnen würde, diesen zu zahlen.

Wir sahen uns selbst als Eisbrecher, ein kompaktes und autonomes Schiff, dass den Weg frei macht für größere Schiffe, die folgen sollten.

Wir veröffentlichten den Vertragsentwurf als ganzseitige Anzeige in (der israelischen Tageszeitung) Haaretz (10. August 2001). Sie erregte kein großes Aufsehen. Wie gewöhnlich boykottierten die israelischen Medien sie und sogar im Ausland erregte sie nur begrenzte Aufmerksamkeit. Aber wir hofften, dass wir einen Pfad eröffnet hätten, und dass andere ihn im richtigen Moment nutzen würden.

Die ersten, die das taten, waren Sari Nusseibeh und Ami Ayalon, der ehemalige Präsident der Arabischen Universität und der Sprössling einer wichtigen Jerusalemer Familie, der letztere ein ehemaliger Kommandeur der israelischen Marine und frühere Chef des Geheimdienstes. Sie präsentierten eine kleine Anzahl grundlegender Prinzipien für ein Friedensabkommen, starteten eine große Öffentlichkeitskampagne und riefen die Menschen auf beiden Seiten auf, massenhaft zu unterschreiben. Bis jetzt haben etwa 65.000 Palästinenser und 85.000 Israelis unterschrieben.

Jetzt kommt die Initiative einer Gruppe wichtiger israelischer und palästinensischer Persönlichkeiten. Wie unsere damalige Initiative hat sie die Form eines detaillierten Entwurfs für einen Friedensplan. Inhaltlich sind beide Dokumente ziemlich ähnlich. Es kann behauptet werden, dass 90% der Vorschläge gleich sind. Und es ist kein Wunder, dass nach endlosen Plänen, endlosen Verhandlungsrunden und endlosen Gesprächen, alle Probleme auf dem Tisch liegen und jeder weiß, welches die Parameter für einen möglichen Kompromiss sind.

Beide Entwürfe basieren auf dem Prinzip von "zwei Staaten für zwei Völker" mit ihren Hauptstädten Jerusalem, einer Grenze auf der Basis der "Grünen Linie" (der Grenze vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967), der Entfernung der Siedler aus den Palästinensergebieten und einer praktische Lösung des Flüchtlingsproblems.

Die Unterschiede bestehen hauptsächlich in Beilin-Abed-Rabbos Wunsch, die Pille für die Israelis soweit wie möglich zu versüßen. Wir schlugen zum Beispiel vor, die historische Wunde zu heilen und Israels Akzeptanz seiner Verantwortung für die Schaffung wenigstens eines Teils des Flüchtlingsproblems und seiner Anerkennung des Prinzips des Rechts der Rückkehr der Palästinenser in ihre Heimat zu erreichen. Wir glauben, dass eine solche Erklärung notwendig für die Reinigung der Wunde ist.

Die neue Initiative ignoriert bewusst diese schmerzliche prinzipielle Frage und befasst sich nur mit der praktischen Lösung. Beilin behauptet, dass die Palästinenser das Recht der Rückkehr in ihre Heimat de jure "aufgegeben" haben - eine Aussage, welche die Palästinenser nur schwerlich schlucken werden.

Wie wir schlagen die Initiatoren vor, es in der Praxis einer begrenzten Anzahl Palästinenser zu erlauben, nach Israel zurückzukehren, aber sie schlagen einen komplizierten Schlüssel vor: eine Anzahl, die der Durchschnittszahl der Flüchtlinge entspricht, die von anderen Staaten aufgenommen werden . Wir haben eine ganz einfache Methode vorgeschlagen: einer festgelegten Quote (sagen wir einmal 50.000) jedes Jahr die Rückkehr zu gestatten und das zehn Jahre lang.

Auch bei der Frage über Jerusalem versucht der neue Entwurf die Pille zu versüßen. Die Initiatoren vermeiden es klar zu sagen, dass die Palästinenser die "Souveränität" über ihren Stadtteil und den Tempelberg besitzen sollen. Die gesamten Paragraphen über Jerusalem sind ein bisschen unbeholfen, ein Versuch, so scheint es, sie der israelischen Öffentlichkeit schmackhafter zu machen.

Das Dokument zwingt der palästinensischen Souveränität einige Einschränkungen auf, die das Gefühl der Gleichheit beeinträchtigen können. Es ist auch schwer zu sagen, ohne die detaillierten Landkarten gesehen zu haben, wie viel Beilin tauschen will. Es scheint so, als ob es einen gewissen Unterschied zwischen ihren und unseren Landkarten gibt.

Aber diese Unterschiede sind nicht wirklich wichtig. Die Leute, die dieses Dokument entworfen haben, wussten, dass sie nur einen Mustervertrag vorbereiteten. Er wird der Öffentlichkeit vorgestellt, um zu zeigen, dass Frieden möglich ist, dass er keine existenzielle Gefahr für Israel darstellt, dass es auf der anderen Seite einen Partner gibt und dass etwas da ist, über das man reden kann. Sogar das Flüchtlingsproblem, dass viele Israelis um den Verstand bringt, hört auf, so bedrohlich zu sein, wenn man es effektiv angeht. Es wird zu einem praktischen Problem mit praktischen Lösungen.

Die Reaktionen der Führer auf beiden Seiten sind aufschlussreich. Ariel Sharon hat das Dokument wütend attackiert, als ob es zum Hochverrat beitragen und ein Messer in den Rücken der Nation stechen würde. Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass es für Sharon und seine hochfliegenden Pläne keine größere Gefahr als den Frieden gibt. Ehud Barak, der Mann, der die größte Verantwortung für den Zusammenbruch des israelischen Friedenslagers trägt, hat auch gegen die Initiative gewütet. Der Star besucht den Raben, wie ein hebräisches Sprichwort lautet.

Andererseits hat Yasser Arafat der Initiative seinen Segen gegeben. Er kann sie nicht formal akzeptieren, denn ein wirklicher Friedensvertrag muss zwischen Regierungen ausgehandelt werden. Kein nationaler Führer kann offiziell die Verantwortung für Bedingungen übernehmen, wenn der Führer der anderen Seite es nicht tut. Aber es kann sicher festgestellt werden, dass die Vereinbarung für ihn akzeptabel ist - umso mehr, weil er hinter den Kulissen an ihrer Formulierung teilnahm. Es gibt natürlich keine Gleichheit auf beiden Seiten: die israelischen Tauben sind in der Opposition, während ihre palästinensischen Gegenüber an der Macht sind.

Überall auf der Welt wurde das Dokument von allen, die ein Ende des Konflikts wollen, positiv aufgenommen. Es besteht die große Hoffnung, dass diese Initiative, wie die "Revolte der Piloten", das Ende einer Zeit der Verzweifelung darstellt.

Die erste Aufgabe von Beilin und seinen Kollegen ist es, die Labour- und die Meretz-Partei aus ihren Ruinen hochzuziehen (der Vorsitzende der Labour-Partei, das vielgeliebte Geburtstagskind, ist der Initiative nicht beigetreten!) und eine starke und kämpferische Opposition im Geist dieses Dokuments aufzubauen.

Um Churchill noch einmal zu zitieren: Dies ist nicht der Anfang vom Ende, aber es ist vielleicht das Ende vom Anfang.

Übersetzt von: Tony Kofoet

Quelle: uri-avnery.de / ZNet Deutschland 19.10.2003

* Uri Avnery machte u.a. Station in Tübingen (11. Oktober), Frankfurt (12. Oktober) und Kassel (13. Oktober).


With Whom, About What

Uri Avnery

The Beilin-Abed-Rabbo agreement is the latest hit on the Middle Eastern market.

This week I made a short visit to Germany, where a book of mine has come out, and was asked about it at every event. At my meetings with President Johannes Rau and Foreign Minister Joschka Fischer, too, the subject came up at once. I used the opportunity to argue for support of this initiative by all possible means.

To avoid misunderstanding, I pointed out that I have no connections with this initiative. The Israeli participants belong to the left wing of the Labor and Meretz parties, and I do not belong to this circle. But I give this initiative all my blessings - all the more so because it continues a process that we ourselves started two years ago.

In August 2001, Gush Shalom published the draft of an Israeli-Palestinian peace agreement. It consisted of 14 paragraphs that included detailed proposals for the solution of all the problems of the conflict. It was an Israeli initiative, but we acted in close consultation with Palestinian colleagues.

The main object of the initiative was educational. The al-Aksa Intifada was in full swing, Ehud Barak's myth ("There is no one to talk with!") had captured the public, most of the peace camp had collapsed, hopelessness and impotence reigned supreme.

We wanted to light a candle in the darkness. To prove to the public that there is a solution, that there was somebody to talk to and something to talk about. And, most importantly, to tell the people what the price of peace is, and that it was worthwhile to pay it.

We saw ourselves as an icebreaker, a compact and autonomous vessel that opens the way for much bigger ships to follow.

We published the draft treaty as a full-page ad in Haaretz (August 10, 2001). It did not cause much of a stir. As usual, all the Israeli media boycotted it and even abroad it attracted only limited attention. But we hoped that we had opened a path, and that others would use it in due course.

The first who did so were Sari Nusseibeh and Ami Ayalon, the former the president of an Arab university and the scion of an important Jerusalem family, the latter a former commander of the Israeli navy and a former chief of the Security Service. They presented a small number of basic principles for a peace accord, launched a big publicity campaign and called for mass signatures on both sides. Up to now, some 65,000 Palestinians and 85,000 Israelis have signed.

Now comes the initiative of a group of important Israeli and Palestinian personalities. Like our initiative at the time, it takes the form of a detailed draft peace agreement. In their content, too, the two documents are quite similar. It can be said that 90% of the proposals are the same. And no wonder - after endless plans, endless rounds of negotiations and endless talks, all the problems lie on the table and everyone knows what the parameters of a possible compromise are.

Both drafts are based on the principle of "two states for two peoples", with their capitals in Jerusalem, a border based on the Green Line, removal of the settlers from the Palestinian territories and a practical solution of the refugee problem.

The differences are mainly due to Beilin-Abed-Rabbo's desire to sweeten the pill for the Israelis as much as possible. For example: we proposed to cure the historical wound with Israel's acceptance of its responsibility for the creation of at least part of the refugee problem and its recognition of the principle of the Right of Return. We believe that such a declaration is necessary for the cleaning of the wound.

The new initiative deliberately ignores the painful question of principle and deals only with the practical solution. Beilin says that the Palestinians have "given up" the Right of Return de jure, too - a statement the Palestinians will it find difficult to swallow.

Like us, the initiators propose in practice to allow a limited number of Palestinians to return to Israel, but they propose a sophisticated key: a number equivalent to the average number of refugees allowed in by other nations. We have proposed a quite simple method: to allow back a fixed quota (say 50 thousand) every year for 10 years.

On the question of Jerusalem, too, the new draft tries to sweeten the pill. They avoid saying clearly that the Palestinians will be "sovereign" over their part of the city and the Temple Mount. All the paragraphs about Jerusalem are a bit clumsy, in an attempt, so it seems, to make them more palatable to the Israeli public.

The document imposes several limitation on Palestinian sovereignty that may impair the feeling of equality. Also, without seeing the detailed maps it is hard to say how much Beilin wants to swap. It seems that there is a certain disparity between their and our maps.

But these differences are not really important. The people who drafted this document knew that they were preparing only a sample agreement. It will be presented to the public in order to show that peace is possible, that it poses no existential danger to Israel that there is a partner on the other side and that there is something to talk about. Even the refugee problem, which frightens so many Israelis out of their wits, stops being so threatening when one tackles it in real terms. It becomes a practical problem with practical solutions.

The reactions of the leaderships of the two sides is illuminating. Ariel Sharon has attacked the document furiously, as if it constituted high treason and sticks a knife into the back of the nation. That's no wonder, considering that there is no greater danger to Sharon and his grand design than the danger of peace. Ehud Barak, the man most to blame for the collapse of the Israeli peace camp, has also raged against the initiative. The starling visits the raven, as the Hebrew saying goes.

Yasser Arafat, on the other hand, has blessed the initiative. He cannot accept it formally, because a real peace treaty must be negotiated between governments. No national leader can take official responsibility for terms when the leader of the other side does not. But it can safely be said that the agreement is acceptable to him - all the more so since he took part in its formulation behind the scenes. There is, of course, no symmetry: the Israeli doves are in opposition, while their Palestinian counterparts are in power.

Throughout the world, the document was well received by all who wish for an end to the conflict. The great hope is that this initiative, like the "revolt of the pilots", represents the end of the era of despair.

The first task of Beilin and his colleagues is to raise the Labor and Meretz parties from their ruins (the Labor party chairman, the birthday darling, has not joined the initiative!) and to set up a strong and combative opposition in the spirit of the document.

To quote Churchill again: This is not the beginning of the end, but it is, perhaps, the end of the beginning.

19.10.03


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