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Traurige Bilanz im Nahen Osten

Keine Bewegung im "Friedensprozess"

Von Karin Leukefeld *

Die Lösung des langwierigsten internationalen Konflikts der Gegenwart – des Streits im Nahen Osten – ist 2010 keinen einzigen Schritt vorangebracht worden.

Als George Mitchell, Sondervermittler der USA für einen Frieden im Nahen Osten, Anfang 2010 Sanktionen gegen Israel nicht ausschloss, sollte es den Siedlungsbau nicht einstellen, löste er zornige Reaktionen aus. Mitchell hatte in einem Fernsehinterview gesagt, die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten lasse es durchaus zu, Kreditgarantien an Israel auszusetzen, das sei aber nicht die Politik der USA-Regierung. Dennoch schäumte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor Wut. Seit 40 Jahren baue Israel Siedlungen, was die Gespräche mit den Palästinensern nie beeinträchtigt habe, behauptete er. »Jeder weiß, dass die Palästinensische Autonomiebehörde sich weigert, die Friedensgespräche aufzunehmen, während Israel wichtige Schritte unternommen hat, um den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen.« Die israelische Tageszeitung »Maariv« schrieb, Mitchells Drohung habe »wie eine Bombe eingeschlagen«, und erinnerte an 1991. Damals hatte die Regierung von George Bush sen. zehn Milliarden US-Dollar Kreditzusagen eingefroren, um Ministerpräsident Yitzhak Shamir zu einer Einstellung des Siedlungsausbaus zu zwingen – mit Erfolg.

Nicht so die Regierung Netanjahu, deren Macht von der Siedlerbewegung abhängt. 500 000 Menschen in rund 130 Siedlungen breiten sich immer weiter dort aus, wo der palästinensische Staat entstehen soll. Hinzu kommen rund 100 »Siedlungsaußenposten« und rund 200 000 Israelis in Ostjerusalem, das als Hauptstadt der Palästinenser vorgesehen ist. Das Bevölkerungswachstum in den Siedlungen ist drei Mal so groß wie in Israel, das die Grenzen von 1967, hinter die es sich gemäß dem Völkerrecht und UN-Resolutionen zurückziehen müsste, ständig ausweitet.

Vermittler Mitchell blieb glücklos bei seinen zahlreichen Reisen in die Region. Die israelische Regierung konfrontierte ihn mit ständig neuen Siedlungsbauvorhaben und warf den Palästinensern vor, »neue Bedingungen« für Gespräche zu produzieren, an denen sie gar nicht interessiert seien. Die Palästinenser erklärten dagegen, der Baustopp für Siedlungen auf besetztem palästinensischem Boden sei keine »Vorbedingung«, sondern eine »Verpflichtung«, die Israel einhalten müsse. USA-Präsident Barack Obama hatte sich dieser Position angeschlossen und machte Druck auf Netanjahu. Ohne Erfolg. Auch in direkten Gesprächen mit Obama gab der israelische Premier nicht nach, wiederholt wurden hochrangige Treffen von der Bekanntgabe neuer Siedlungsbauvorhaben begleitet.

Ende September kam es dennoch zu direkten Begegnungen zwischen Benjamin Netanjahu und Mohammad Abbas in Washington, was dort als »Durchbruch« und »neue Chance« für Frieden in Nahost gefeiert wurde. Obama und den Demokraten standen kritische Kongresswahlen bevor, man hoffte offenbar, nach dem siegreich inszenierten Truppenabzug aus Irak auch noch mit Fortschritten im Nahostfriedensprozess zu punkten.

Der Versuch schlug fehl. Die direkten Gespräche endeten nach nur zwei Runden Ende Oktober, als Israel sich weigerte, einen zehnmonatigen teilweisen Baustopp zu verlängern, der im November 2009 begonnen hatte. Netanjahu wurde von der Siedlerbewegung als Held gefeiert, die gedemütigte Regierung Obama räumte ein, dass ein Beharren auf dem Baustopp perspektivlos sei. Stattdessen sollen nun alle Probleme auf einmal gelöst werden: Festlegung der Grenzen, Rückkehrrecht der Flüchtlinge, der Status von Jerusalem, die Sicherheit Israels und die Blockade des Gaza-Streifens. Damit, so Washington, löse sich die Frage der Siedlungen ganz von selbst.

Die Palästinenser setzten derweil auf eine neue Strategie und fordern in einer diplomatischen Kampagne die direkte Anerkennung ihres Staates in den Grenzen von 1967. Die USA und EU lehnen ab, dagegen haben viele lateinamerikanischen Staaten ihre Zustimmung erklärt. Arabische Staaten bereiten zudem eine Resolution für den UN-Sicherheitsrat vor, die den Siedlungsbau im Westjordanland und in Ostjerusalem verurteilt und internationale Strafmaßnahmen gegen Israel fordert, falls es dem nicht entspricht.

Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Israel entwickelt keine politische Kreativität für Frieden mit seinen Nachbarn, spielt auf Zeit und schafft Fakten, von denen es hofft, dass sie nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die Palästinenser, Syrien und Libanon halten weiter an dem Vorschlag der Arabischen Liga aus dem Jahr 2002 fest. Der bietet Frieden mit Israel für die Rückgabe der besetzten arabischen Gebiete von 1967: die Golan-Höhen an Syrien, die Scheeba-Höfe an Libanon, Westjordanland und Ostjerusalem an die Palästinenser. Diesem Angebot zeigt Israel weiterhin die kalte Schulter.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2010


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