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Damals, in der Bipolarität

Aus der Geschichte des "proletarischen Internationalismus": Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR. Ein Sammelband präsentiert Beiträge von Wissenschaftlern und Beteiligten

Von Gerd Schumann *

I.

Mit der Wende der DDR zum Kapitalismus endete auch der antikapitalistische Weg Mosambiks. Während die westdeutschen Banken im Juli 1990 ihr Herrschaftsgebiet mittels Einführung der D-Mark auf den Osten ausdehnten, nahmen zeitgleich in Rom »Bandidos armados« (bewaffnete Banditen), als die sie im Südosten Afrikas verachtet wurden, am Verhandlungstisch Platz: Unter Moderation der katholischen Kirche präsentierte sich die Renamo (Resistência Nacional Moçambicana, dt. Nationale Widerstandsbewegung Mosambiks) als Siegerin der Geschichte, derweil die Sieger aus der alten BRD bereits an der Mär vom »Unrechtsstaat DDR« bastelten. Darin wiederum sollte Mosambik eine Rolle spielen.

II.

Die DDR verfügte über enge Beziehungen zur marxistisch orientierten Befreiungsbewegung Frelimo (Frente de Libertação de Moçambique, dt. Mosambikanische Befreiungsfront) bereits in den 1960er Jahren. 1975, nach dem Sturz der nahezu 500jährigen Kolonialherrschaft Portugals und der hastigen Flucht Zehntausender weißer Geschäftsleute, Siedler und Spezialisten, wurde die Zusammenarbeit der beiden Länder zum Zwang, den die Geschichte diktierte. Er ergab sich aus der geopolitischen Konstellation. Die Alternative, mit der sich Mosambik konfrontiert sah, lautete: tatsächliche Unabhängigkeit oder Rückkehr in koloniale Strukturen, vielleicht subtilere, aber letztlich doch koloniale.

Die Frelimo entschied sich für »Independência« und damit den »proletarischen Internationalismus«, jenes auf die Unterdrückten der »Dritten Welt« ausgedehnte kommunistische Prinzip einer grenzenlosen Solidarität des Proletariats. Es wurde am 24. Februar 1979 manifest, als in Maputo Präsident Samora Machel und Regierungschef Erich Honecker einen Freundschaftsvertrag zwischen ihren Ländern unterzeichneten. Die Folgen: Insgesamt 20.141 Mosambikaner arbeiteten und lernten zwischen 1979 und 1989/90 in 242 Betrieben der DDR. Von »einem der weltweit größten Arbeitsimmigrationsprojekte« spricht diesbezüglich Professor Ulrich van der Heyden, Afrika- und Kolonialhistoriker und einer der Herausgeber des Ende 2014 erschienenen Sammelbandes »Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft«.

Der Vertrag basierte auf einer Rechnung in »beiderseitigem Interesse«: Der chronische Arbeitskräftemangel, mit dem die DDR-Wirtschaft zu tun hatte, sollte ebenso verringert werden wie der wachsende politische und ökonomische Druck, dem sich die Volksrepublik im Jahr vier nach ihrer Unabhängigkeit ausgesetzt sah. Das Vorhaben funktionierte im Rahmen der Möglichkeiten zunächst recht gut. Bereits im Jahr des Vertragsabschlusses wurden die ersten 447 Arbeiter im Braunkohlerevier von Senftenberg und Lauchhammer angelernt und eingesetzt. Ziel war es, sie zu qualifizieren, um mit ihnen zeitnah die Produktion in der von einer Minenkatastrophe hart getroffenen Steinkohleregion um Moatize/Provinz Sofala wieder aufzunehmen.

Zudem entsandte die DDR Fachleute zur Unterstützung des Aufbaus – in genanntem Fall aus dem Zwickauer Revier. Etwa 1.000 FDJ-Freundschaftsbrigadisten, »Cooperandos« genannt, vermittelten Knowhow in der Landwirtschaft, im Gesundheits- und Bildungswesen. Anfang der 80er Jahre wurde eine komplette Textilfabrik geliefert. Sie steht bis heute unausgepackt in der Nähe von Mosambiks Hauptstadt Maputo – Symbol des globalen Regime-change von der Bipolarität antagonistischer Gesellschaftssysteme zur unipolaren imperialistischen Dominanz.

III.

Seit Anfang der 1980er Jahre verkomplizierte sich die Lage Mosambiks rasend schnell. Die Renamo-Banden sorgten für eine weitgehende Unregierbarkeit, indem sie gezielt und erfolgreich endlosen Schrecken verbreiteten, Infrastruktur zerstörten, Sozialeinrichtungen brandschatzten, wahllos Menschen ermordeten und massenhaft Kinder und Frauen verschleppten und missbrauchten. Die mehr als 22.000 Bewaffnete zählenden Contras, gegründet 1976 von ehemaligen Kollaborateuren der portugiesischen Herrscher, unterstützt und trainiert von den Rassistenstaaten Südafrika und Rhodesien, verfolgten skrupellos ihr Ziel, den »Kommunismus zu stoppen«.

Im Dezember 1984 wurden acht »Cooperandos«, Landwirtschaftsexperten aus einer LPG bei Jena, nahe Unango/Provinz Niassa bei einem Angriff erschossen – ein harter Rückschlag für den Internationalismus und eine Zäsur für den Versuch, einen strikt antikolonialistischen Staat am Indischen Ozean aufzubauen. Die DDR zog etwa tausend Berater und Helfer ab.

Die Kampfbedingungen für marxistische Kräfte hatten sich weltweit verschlechtert. Trotz der anhaltenden Unterstützung der »Bruderländer« mehrten sich Hinweise auf schwindende ökonomische Potenzen des europäischen Sozialismus – auf politische sowieso. Auch war von den antiimperialistischen Solidaritätsbewegungen in den hochentwickelten Ländern des Kapitals nicht mehr viel zu erwarten. Viele changierten von rot nach grün und wurden beliebig.

Und der Gegner rüstete auf. Bereits 1980 war Renamo-Führer Afonso Dhlakama nicht nur in Bonn, sondern auch anderen westlichen Metropolen empfangen worden, während seine Kämpfer in Südafrika trainierten. Pretoria nahm die Frelimo-Regierung zudem in den ökonomischen Würgegriff und beschränkte die Zahl der in südafrikanischen Minen beschäftigten Wanderarbeiter aus Mosambik von 118.000 (1975) auf 45.000 (1983) – ein schwerer ökonomischer Rückschlag für die betroffenen Familien und für den Frontstaat zur Apartheid. Am 19. Oktober 1986 dann kam Präsident Samora Machel bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Vermutlich war die Maschine mittels eines durch das Civil Cooperation Bureau, einer südafrikanischen Killerorganisation, manipulierten Funkfeuers fehlgeleitet worden.

IV.

Die Mosambikaner, die laut der abgeschlossenen Verträge zunächst bis zu fünf, ab 1988 bis zu zehn Jahre in der DDR bleiben sollten, wurden zunächst in Maputo auf das Gastland vorbereitet. Wichtigste Voraussetzung für die Entsendung war ein mindestens vierjähriger Schulbesuch. Die Analphabetenquote lag 1975 bei 70 Prozent. Die Vertragsarbeiter absolvierten in der DDR zunächst 200 Stunden Deutschunterricht und wurden in verschiedenen Produktionsbereichen in Industrie und Landwirtschaft angelernt, ausgebildet, als Arbeiter und Facharbeiter eingesetzt. Sie sollten in Arbeitskollektive einbezogen sein. Zudem besuchten insgesamt 900 mosambikanische Jugendliche die »Schule der Freundschaft« in Staßfurt zwecks Berufsausbildung.

Bezahlt wurden die Arbeiter nach den üblichen Tarifen, ein Teil des Gehalts wurde später nach Maputo überwiesen und diente zur Tilgung der wachsenden Auslandsschulden Mosambiks. Das einbehaltene Geld sollte nach Rückkehr ausgezahlt werden, was bis heute nicht geschah. Das sorgt für anhaltende Proteste der »Madgermanes« genannten (abgeleitet von »Made in Germany«) ehemaligen Vertragsarbeiter, der sich gegen die aktuellen Regierungen in Maputo und Berlin richtet.

Die DDR blieb nicht nur bei ihnen in guter Erinnerung. Die Mehrheit der Mosambikaner äußerte sich positiv und zufrieden über ihre Zeit dort. Darauf deuten die Aussagen und Erfahrungsberichte der für das Buch interviewten oder schreibenden Arbeitsimmigranten, die auf etwa 100 Seiten ausführlich zu Wort kommen hin. Das Leben sei jedenfalls sicherer gewesen, wird berichtet. Man habe sich ohne Furcht bewegen können.

Eine Umfrage des – nicht unbedingt neutralen – Bundesministeriums für Arbeit und Soziales von November/Dezember 1990 erbrachte ein »durchaus überraschend positives Ergebnis«. Demnach war lediglich jeder achte Befragte »eher unzufrieden« mit seinem Leben als Vertragsarbeiter. Zwei Drittel charakterisierten das Verhalten der Deutschen, mit denen sie im Betrieb zu tun hatten, als »eher kollegial«, so die Autorin Anne Mavanga.

V.

»Eine großangelegte Idee, die an der Realität scheiterte«, sei die Zusammenarbeit gewesen, bewertete van der Heyden während der Buchpräsentation in der Berliner »Helle Panke« Ende Februar.

»Realität« – das waren weniger die Probleme, die bei einem Projekt dieser Größe und kulturellen Brisanz voraussehbar auftreten. Abertausende Menschen aus einem anderen Kulturkreis auf solidarischer Basis zu integrieren in die Arbeits- und Lebenswelt eines fremden Landes war mehr als eine Herausforderung, zumal es die DDR selbst mit einigem Mangel und vielen Mängeln zu tun hatte.

Das Land rangierte zwar unter den Top ten der hochindustrialisierten Staaten der Welt, trotzdem kam es häufig zu Versorgungsengpässen. Vor allem gab es einen hohen Fehlbestand an Wohnraum. Insofern waren die Ressentiments, die in der Bevölkerung entstehen würden, wenn neu errichtete Plattenbauten zu Heimen für Vertragsarbeiter umgewidmet wurden, programmiert. Jenseits von Idealismus und Moral wurden Vorurteile, Neid und Egoismus geweckt oder wiedererweckt, auch weil zu wenig vorhandene Ware unter noch mehr Menschen als vorher verteilt wurde – zumal die dazugekommenen Konsumenten an der Hautfarbe erkennbar waren.

Die Schwierigkeiten gefährdeten indes zu keinem Zeitpunkt das Gesamtprojekt. Rassistisch motivierte Übergriffe blieben die absolute Ausnahme, wovon nicht nur Erfahrungsberichte von Mosambikanern zeugen, sondern – interessanterweise – die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit, bei denen landläufig davon ausgegangen wird, sie seien gründlich und umfassend. Für das vorliegende Buch wurden sie dann auch ausgewertet – im Gegensatz übrigens zu anderen, geschichtsrevisionistischen Veröffentlichungen. »Kein einziger Autor fand den Weg in die Gauck-Behörde«, sagt van der Heyden – ein Phänomen angesichts des sonstigen Eifers im Umgang mit Stasi-Akten.

In der Nach-DDR-BRD ist ein vernunftgeprägter Umgang mit der Geschichte des realsozialistischen Deutschlands unerwünscht. Bewertet wird »häufig pauschal und ohne sich offensichtlich der Mühe zu unterziehen, Recherchen anzustellen«, meint Ralf Straßburg, ehemals Referent des für die Vertragsarbeiter zuständigen Ministeriums. Obwohl er seit nunmehr bald 25 Jahren die Praxis der Geschichtswissenschaften verfolge, die DDR moralisch zu demontieren, habe ihn regelrecht »entsetzt«, so van der Heyden, wie sich Verleger und Autoren mit dem Thema Mosambik beschäftigten, »ohne den geringsten Beleg« anzuführen. Immer wieder vorgetragene Behauptungen, wonach die DDR-Gesellschaft keine Solidarität mit der Dritten Welt geübt habe, ausländerfeindlich oder gar rassistisch gewesen sei, gehörten »ins Reich der Legenden«.

VI.

Der »zweiten deutschen Diktatur« (Joachim Gauck) wurden im vergangenen Vierteljahrhundert der kapitalistischen Restaurierung nicht nur jegliches internationalistische Motiv abgesprochen und das proklamierte Ideal »Völkerfreundschaft« als demagogisch abgewertet. Es wird zudem unterstellt, die DDR habe neokolonialistische Ausbeutung betrieben und zugleich rassistische Tendenzen in Teilen ihrer Bevölkerung befördert. Rostock-Lichtenhagen, Rudolstadt und neuerdings Pegida und Tröglitz stünden dafür. Die soziale Deklassierung und menschliche Abqualifizierung in den versprochenen »blühenden Landschaften« interessieren weniger.

Die Wahrheit wird allgemein der Ideologie der Sieger angepasst – nur sei die Frage gestattet: Welche Weltanschauung vertritt die Rosa-Luxemburg-Stiftung? Am neuesten Linkspartei-Modell »Unrechtsstaat« schraubten über die Jahre viele Konstrukteure mit, und die parteinahe Stiftung arbeitete sich nicht nur am »Mythos Antifaschismus« in der DDR ab, sondern auch am Internationalismus. »Bruderland ist abgebrannt« hieß die von ihr gesponserte Ausstellung zu den Vertragsarbeitern – ein unappetitlicher Titel in memoriam Weltkrieg zwei. Sie lieferte eine »verzerrte Darstellung der Lebens- und Arbeitswelt«, so die Herausgeber des Sammelbandes. Für den hatte die Stiftung natürlich keinen Zuschuss übrig.

Dabei ist das Buch so etwas wie ein Geschenk. Entgegen aller zeitgeistigen Widrigkeiten gehen die Autoren das Thema wissenschaftlich an, stellen es in den historischen Kontext und nehmen eine sachliche Quellenanalyse vor und nutzen die Fakten. Ausführliche Zeitzeugenaussagen sorgen für eine empirische Verdichtung der Darstellung.

VII.

Bilanz des »Bürgerkrieg« genannten Grauens in Mosambik: 900.000 Tote, fünf Millionen Binnenflüchtlinge. 1992 wurde in Rom ein »Friedensabkommen« unterzeichnet, auf dessen Basis ein Mehrparteiensystem nach westlichem Vorbild eingerichtet wurde – eine »Demokratie« errichtet, die Renamo selbstverständlich einschloss.

Die Bandidos, seit über zehn Jahren zu einer sogar manchenorts im Westen eher unbeliebten Partei mutiert, entscheiden in Mosambik immer noch über Krieg und Frieden. So zog sich Dhlakama im April 2013 nach mehreren Wahlniederlagen erneut in die Gorongosa-Berge zurück, sein ehemaliges Hauptquartier im Busch, kündigte den 1992er-Vertrag auf und ließ seine Leute Polizeistationen, Busse und Militärdepots überfallen. Inzwischen existiert zwar ein provisorischer Waffenstillstand, doch hatte der 62jährige Renamo-Boss erfolgreich gezeigt, dass mit ihm gerechnet werden muss. »Afonso Dhlakama – ein Leben als Kämpfer«, titelte heroisierend die Deutsche Welle (25.10.2013).

Die Geschichte der mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR spielt in einer anderen Zeit. Mosambik steht, trotz Wachstumsraten, heute auf Rang 178 (von 187) der UN-Entwicklungsskala (HDI), erstellt nach dem erreichten Standard bei Bildung, Ausbildung, Lebenserwartung. Von den 242 Betrieben der DDR, in denen mosambikanische Vertragsarbeiter beschäftigt waren, existieren heute noch 67; in sechs von ihnen arbeiten Mosambikaner.

Ulrich van der Heyden, Wolfgang Semmler, Ralf Straßburg (Hg.): Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft. Hintergründe, Verlauf Folgen. Reihe: Die DDR und die Dritte Welt, Band 10, LIT-Verlag, Berlin u. a. 2014, 352 S., 39,90 Euro
Mit Beiträgen von Herbert Graf, Jörg Roesler, Landolf Scherzer, Anne Mavanga, José Chirindza, Serafim Manhice, Luis Mazuze, Julio Mussane, José Reis, Amina Candida Selemane, Karl Heinz Seidel, Alexandre Mutambe, Wolfgang Zropf, Wolfgang Lange, Theresia Ulbrich, Far Bem Zimando


* Aus: junge Welt, Samstag, 11. Juli 2015


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