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Fälschen für den guten Zweck

Auszählung in Republik Moldau abgeschlossen. Proeuropäische Parteien griffen offenbar auf bewährte Polittechnologien zurück

Von Reinhard Lauterbach *

Knapp eine Woche nach den Parlamentswahlen in der Republik Moldau ist die Stimmauszählung abgeschlossen worden. Wie am Donnerstag in Chisinau bekanntgegeben wurde, bleibt die Sozialistische Partei mit 20,51 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von den Liberaldemokraten unter dem ehemaligen Regierungschef Vlad Filat. Auf Platz drei folgen die Kommunisten, für die sich 17,48 Prozent der Wähler entschieden. Gemeinsam mit zwei kleineren Parteien erreichen die »proeuropäischen« Kräfte im neuen Parlament 45 Prozent der Stimmen, was ihnen eine knappe Mehrheit der Mandate gibt.

Noch vor dem amtlichen Endergebnis kam heraus, dass die proeuropäische Regierung alle Register sogenannter »Polittechnologien« gezogen hat, um ihre drohende Wahlniederlage abzuwenden. Dazu zählen nicht nur Wählerbeeinflussungen durch termingerecht verteilte Carepakete für Notleidende, an denen es im Land nicht fehlt. Wichtiger noch war, dass der Kommunistischen Partei der Republik Moldau (PCRM) als größter Oppositionskraft eine Scheinpartei namens »Kommunistische Partei der Reformer Moldaus« mit demselben Kürzel und ebenfalls dem Emblem mit Hammer und Sichel an die Seite gestellt wurde. Dieses vorher nie in Erscheinung getretene Gebilde scheiterte mit etwa fünf Prozent knapp an der Sechsprozenthürde und hat damit seine Funktion vermutlich auch schon erfüllt: Wählerstimmen von den »echten« Kommunisten abzuziehen.

Selbst ein Vertreter der »proeuropäischen« Koalition wie der Bürgermeister von Chisinau, Dorin Chirtoaca, bekannte am Tag nach der Wahl, dass »irgend jemand aus der Koalition« die angeblichen Reformkommunisten ins Leben gerufen habe. Schmutzig oder nicht - der Trick hat jedenfalls dazu geführt, dass die Kommunisten um ihren sicher geglaubten Wahlsieg gebracht worden sind. Ihr Chef Vladimir Voronin hat kurz von Wahlfälschungen und einer notwendigen Neuauszählung gegrummelt, stellt seine Partei aber inzwischen auf weitere Jahre in der Opposition ein.

Auch bei der Organisation der Wahl hat das prowestliche Lager lieber nichts anbrennen lassen. Geschätzte 700.000 Moldauer - rund ein Sechstel der Gesamtbevölkerung des Landes von der Größe Nordrhein-Westfalens - arbeiten in Russland und gelten den in Chisinau Regierenden als politisch unzuverlässig, weil sie aus eigenem Überlebensinteresse an engen Beziehungen mit Moskau interessiert sind. Für diese Wähler hatte die moldauische Botschaft in Russland im ganzen Land genau fünf Wahllokale eingerichtet und in diesen nur je 3.000 Stimmzettel bereitgelegt. Es kam deshalb am Wahlsonntag in Moskau zu wütenden Protesten von moldauischen Migranten, die sich um ihr Recht zur Stimmabgabe betrogen sahen. Dass sie dabei »Wir sind mit Russland« riefen, wurde zwar von der Moskauer Presse gern registriert, die Haltung kam aber beim Wahlergebnis nicht zum Tragen.

Die ebenfalls prorussische Partei »Vaterland« des Geschäftsmanns Renato Usatii war drei Tage vor der Wahl wegen angeblich illegaler Finanzierung aus dem Ausland von der Teilnahme ausgeschlossen worden. Auch ihr waren zwölf bis 15 Prozent der Stimmen vorhergesagt worden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte das Ergebnis am Donnerstag missvergnügt mit den Worten, solche Praktiken seien zwar »im postsowjetischen Raum üblich«, »gehörten sich« aber nicht in einem Lande, das nach Europa strebe.

Freilich ist es auch zweifelhaft, ob ein Wahlergebnis ohne diese Schiebereien zu einer regierungsfähigen linken Mehrheit in Moldau geführt hätte. Denn Kommunisten und Sozialisten sind einander spinnefeind. Die Kommunisten werfen dem sozialistischen Parteiführer Igor Dodon vor, beim Sturz ihrer Regierung im Jahre 2009 eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Damals waren mehrere Versuche gescheitert, einen neuen Präsidenten zu wählen, weil in einem chaotischen Abstimmungsmarathon abwechselnd die Rechten und die Linken das Parlament durch Abwesenheit beschlussunfähig gemacht hatten, bis sich schließlich ein Vertreter der »Proeuropäer« durchsetzte.

Diese Kräfte werden also ihren Kurs in Moldau fortsetzen können, auch wenn dies für die Volkswirtschaft des ohnehin schon - abgesehen vom Kosovo - ärmsten Landes in Europa düstere Aussichten eröffnet. Denn wichtigstes Exportgut sind Agrarprodukte und Alkoholika wie Wein oder Brandy. Russland hat in der Vergangenheit immer wieder Einfuhrverbote für einzelne Warengruppen verhängt, um Chisinau an seine Abhängigkeit vom russischen Markt zu »erinnern«. So dürfen derzeit weder moldauischer Wein - der mit seiner ausgeprägten Restsüße und oft muffigem Abgang dem europäischen Geschmack nicht entspricht und deshalb im Ausland außer in Russland allenfalls noch auf polnischen Anti-Putin-Solidaritätsbasaren zu haben ist - noch Obst und Gemüse aus Moldau nach Russland eingeführt werden.

* Aus: junge Welt, Samstag, 6. Dezember 2014


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