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NATO an der Mikrowelle

Westen will offenbar Transnistrienkonflikt »auftauen«. Grund ist Unzufriedenheit mit der Entwicklung in der Republik Moldau

Von Reinhard Lauterbach *

Ende Februar, in der Ukraine wurde es gerade etwas ruhiger, polterte US-General Philip Breedlove in anderer Richtung los. Der NATO-Oberbefehlshaber Europa warf Russland eine »Informationsaggression« gegen die Republik Moldau vor. Und er verband damit, dass er den »eingefrorenen« Status des Transnistrien-Konflikts in Frage stellte. Die russische Militärpräsenz dort diene nur dazu, Moldau von der Integration mit EU und NATO abzuhalten.

In dem Staat zwischen Rumänien und der Ukraine läuft die politische Entwicklung nicht in die vom Westen erwünschte Richtung. Denn drei allgemein als »prowestlich« eingestufte Parteien hatten es zwar geschafft, am 30. November eine knappe Mehrheit im Parlament zu bekommen, wobei allerdings die Mittel, mit denen sie dies erreichten, selbst in der FAZ bemäkelt wurden: »Für einen europäischen Staat, wie ihn die Wahlsieger angeblich anstreben«, gehörten sie sich nicht, schrieb die Zeitung. Im Klartext: Die Wahlen waren wenn nicht direkt gefälscht, so doch stark manipuliert.

Das Ärgerliche für den Westen: Die Wahlsieger konnten sich im Anschluss an ihren erschummelten Wahlsieg nicht auf eine Koalition einigen. Statt dessen kam nach zweimonatigen Verhandlungen eine Minderheitsregierung heraus, die sich von den moldauischen Kommunisten tolerieren lässt. Der Ministerpräsident Chiril Gaburici ist zwar kein Mitglied der KP, gilt aber als gut vernetzt mit deren Chef Wladimir Woronin. Außen vor blieb bei der Regierungsbildung die rumänisch-nationalistische Liberale Partei.

Der US-amerikanische Propagandasender Radio Liberty nannte diese Konstellation sofort eine Quelle künftiger »Instabilität«, obwohl er sich in der weiteren Argumentation selbst widersprach: Das nach außen fragile Tolerierungsbündnis mit den Kommunisten könne länger halten als erhofft – schließlich fürchteten die prowestlichen Parteien nach ihrem knappen Wahlsieg nichts so sehr wie Neuwahlen; diese hätten angesichts der zu fast gleichen Teilen zwischen dem Westen und Russland gespaltenen Wählerschaft wahrscheinlich die Opposition an die Macht gebracht. Es muss also etwas anderes gewesen sein, das der US-Sender im Blick hatte, wenn er von Instabilität sprach.

Es ist womöglich genau das, was die jetzigen Koalitionspartner verhindern wollten, indem sie die Liberale Partei von der Macht fernhielten: eine forcierte Rumänisierung des öffentlichen Lebens. Sie könnte die russlandfreundliche Minderheit der Gagausen weiter gegen den Staat Moldau aufbringen. Und genau diese Rumänisierung hatte Anfang der neunziger Jahre zur Abspaltung des industrialisierten Nordostens von der damaligen Moldauischen Sowjetrepublik geführt. In der seit 1992 bestehenden »Pridnestrowischen Moldauischen Republik«, bekannter unter dem Namen Transnistrien, ist die Staatssprache Russisch, die Lenin-Denkmäler stehen an ihren angestammten Orten, und über den Status quo wachen etwa 2.000 russische Soldaten. Sie waren 1992 in die Region eingerückt, um die umfangreichen Waffenlager der Sowjetarmee zu schützen, haben verhindert, dass moldauische Truppen die Sezession Transnistriens verhinderten, und garantieren seitdem dessen staatliche Existenz.

Diese Situation hat die ganze Zeit über niemanden wirklich gestört, aber angesichts des Regimewechsels in Kiew sollen jetzt offensichtlich die Karten auch in der Transnistrienfrage neu gemischt werden. Das Land, das de facto vom Schmuggel mit der Ukraine und von russischen Transferzahlungen lebt, soll offenbar wirtschaftlich unter Druck gesetzt werden. Vor einigen Tagen hat die ukrainische Gebietsverwaltung in Odessa angeordnet, dass die vielen Feldwege, die aus der Region über die grüne Grenze nach Transnistrien führen, unpassierbar gemacht werden sollen.

Ob Transnistrien in diesem Fall Moldau in den Schoß fallen oder ob es militärisch zurückerobert werden soll, ist wohl noch nicht entschieden. Militärisch zu verteidigen ist die Region letztlich nicht, jedenfalls nicht ohne eine Eskalation auch des ukrainischen Konflikts. Denn jede Nachschublieferung müsste über das Territorium oder durch den Luftraum der Ukraine gehen. Wenn Russland einen bereits gestellten Beitrittsantrag Transnistriens kurzfristig annehmen würde, wäre die Hürde für einen eventuellen Angreifer höhergelegt. Dass Russland die Region kampflos fallen lässt, scheint nicht nur aus Prestigegründen wenig wahrscheinlich. Dazu ist ihre Lage nur wenige Dutzend Kilometer vom Schwarzmeerhafen Odessa entfernt zu günstig, solange Russland »neurussische« Ambitionen hegt. Wer also in Moldau zündelt, der zündelt auch an einer weiteren Ecke der Ukraine. Ging es General Breedlove hierum?

* Aus: junge Welt, Dienstag, 10. März 2015


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