Der Schrecken der "Zetas"
Mexikanische Migranten sind im Grenzgebiet zu den USA schutzlos den Drogenkartellen ausgeliefert
Von Torge Löding, San José *
Im mexikanisch-US-amerikanischen Grenzgebiet haben die mexikanischen Drogenkartelle mit
Massenentführungen von Flüchtlingen eine Möglichkeit der Bereicherung entdeckt. Ihr bewaffneter
Arm sind die »Zetas«.
Der Regen hämmert enervierend auf das Blechdach. Das einfache Bauernhaus »Rancho La
Victoria« steht einsam außerhalb der Ortschaft. Es wirkt finster und gefährlich. »Dieser Ort des
Verbrechens wirkt so, als würde sich jemand mit einer Augenklappe als Räuber maskieren. Aber
hier ist wirklich Ungeheuerliches geschehen«, sagte Oscar Martínez. Der salvadorianische Journalist
ist hier einem Verbrechen auf die Spur gekommen, wie man es an der Nordgrenze von Mexiko
bisher nicht kannte. Der mexikanische Menschenrechtsbericht aus dem Frühjahr belegt seine
Recherche: Allein in sieben Monaten sei der Menschenrechtskommission von mehr als 10 000
Entführungsopfern berichtet worden. Massenhafte »Expressentführungen« von undokumentierten
Migranten aus Zentralamerika ist die neue »Mode«, mit der sich die Drogenkartelle bereichern. Nach
Schätzung der Journalisten werden mindestens 25 Millionen US-Dollar im Jahr erpresst.
Oscar Martínez arbeitet mit dem spanischen Fotografen Edu Bonzes für die renommierte
salvadoranische Onlinezeitung »ElFaro.net« seit einem Jahr an dem Spezialprojekt »En El
Camino«. Sie berichten aus der Grenzregion Mexiko-USA, indem sie die Migranten auf ihrem
gefährlichen Weg begleiten. Die Reportagen sind atemberaubend, denn sie berichten, wie die
Menschenrechte der Reisenden mit Füßen getreten werden, wie sie ausgeraubt und ausgebeutet
werden. Doch was sich seit dem vergangenen Jahr ereignet, kennt keinen Vergleich: »Bereits am
Jahresende 2008 haben wir einen Bericht mit dem Titel >Entführungen, die niemanden
interessierten< veröffentlicht. Die mexikanischen Medien haben dazu einige Artikel gebracht, dann
war wieder Schweigen und die Autoritäten haben nichts getan«, berichtet Martínez. Mit ihren neuen
Enthüllungen haben es Martínez und Bonzes zu einer Titelgeschichte des führenden mexikanischen
Nachrichtenmagazins »Proceso« gebracht.
Im Grenzgebiet zu Texas bekommen es Migranten mit einem neuen Akteur zu tun. Die von den USBehörden
errichtete Mauer bietet immer weniger Möglichkeiten zum Durchschlüpfen und um diese
konkurrieren die Wanderer mit den Drogenkartellen. Nicht nur das: Die Kartelle haben mit
Massenentführungen eine Chance der Bereicherung entdeckt. Sie beherrschen diese Region. Ihr
bewaffneter Arm sind die sogenannten Zetas, die auf eine desertierte Eliteeinheit des mexikanischen
Militärs zurückgehen und heute als eigenständiges Drogenkartell agieren.
Wie eine Krake bedienen die »Zetas« ein Netzwerk aus Helfern und korrupten Staatsbediensteten in
der Region. Sie mieten abgelegene Bauernhöfe, aber auch Stadtwohnungen an, wo sie die
Entführten gefangen halten. Im Fall von »La Victoria« waren es 52 Migranten ohne Papiere, die
nach einer Woche vom Militär befreit wurden. Zwei Verschleppten war die Flucht geglückt. »Sie
haben Glück gehabt. Wir haben andere Fälle erlebt, in denen einem Entführten die Flucht gelang
und er dann von der Polizei zurück zu den Entführern gebracht wurde«, berichtet Fotograf Edu
Bonzes.
Zu den Helfern der schwerbewaffneten »Zetas« gehören Spitzel, die sich unter die Migranten
mischen. Sie horchen sie aus und beobachten sie. Wenn dann das bewaffnete Kommando von ein
bis zwei Dutzend »Zetas« mit Maschinenpistolen den Zug überfällt und alle Migranten entführt,
werden sie nach dieser Information in drei Gruppen aufgeteilt: Solche mit Familie in den USA;
solche, bei denen nicht klar ist, ob sie Angehörige im Norden haben und zuletzt die Gruppe derer
ohne Familienanschluss. Erstere werden um bis zu 5000 US-Dollar erpresst, die per Eilüberweisung
durch Western Union oder Money Gram übermittelt werden. Zweitere haben die Chance, sich mit
Angehörigen in Verbindung zu setzen. Aber wer nichts wert ist und auch keinen Auftrag für die
Entführer übernehmen kann, läuft Gefahr, ermordet zu werden. »Ehre kennen diese Verbrecher
nicht. Es sind auch schon Migranten ermordet worden, für die das geforderte Lösegeld bezahlt
worden war«, berichtet Martínez.
Die Journalisten wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Massenentführungen bekannt gemacht
werden und der mexikanische Staat endlich gezielt handelt. Derzeit arbeiten sie an einem Fotoband
und einem Dokumentarfilm, der im März 2010 erscheinen soll.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Oktober 2009
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