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Reporter auf Abschußliste

Mexiko: Organisiertes Verbrechen und Militarisierung gefährden Pressevertreter

Von Andreas Knobloch *

Die Gewalt gegen Journalisten in Mexiko reißt nicht ab. Ende vergangener Woche sind in Veracruz drei Fotoreporter und die Sekretärin einer Tageszeitung tot aufgefunden worden. Die Leichen von Gabriel Huge, Guillermo Luna Varela und Esteban Rodríguez Rodríguez waren entmannt und wiesen Folterspuren auf. Bei der jungen Frau handelt es sich um Irasema Becerra. Stunden zuvor waren sie von ihren Familien als vermißt gemeldet worden. Alles deute auf Morde durch das organisierte Verbrechen hin, so die Polizei.

Nach Angaben der Webseite Articulo 19 wußte die mexikanische Regierung, daß sich die drei Männer in Gefahr befanden. Ein entsprechender Bericht sei Beamten Ende Oktober letzten Jahres übergeben worden. »Weder die Repräsentanten des Innenministeriums noch die des Bundesstaates Veracruz ergriffen Maßnahmen, um die Sicherheit der Journalisten zu gewährleisten«, hieß es bei Articulo 19.

Huge war erst kürzlich nach Vera­cruz zurückgekehrt. Nach dem Mord an der Reporterin Yolanda Ordaz im Juli vergangenen Jahres hatte er den Bundesstaat aus Sicherheitsgründen vorübergehend verlassen. Er und Luna waren Arbeitskollegen von Miguel Angel López Velasco. Der Reporter und Kolumnist der Zeitung Notiver war im Juni 2011 zusammen mit seinem Sohn und seiner Ehefrau von Drogenkartellen ermordet worden war.

Wenige Tage vor dem jüngsten Vierfachmord hatte man die Korrespondentin der renommierten Wochenzeitung Proceso, Regina Martínez, in ihrem Haus in Jalapa, ebenfalls im Bundesstaat Vera­cruz, tot aufgefunden. Die erfahrene Reporterin hatte vor allem zu Drogenkartellen und deren Verbindungen in die Regierung gearbeitet. Die Suche nach ihren Mördern blieb bislang erfolglos, auch wenn die ermittelnde Generalstaatsanwaltschaft »Fortschritte« vermeldete. Neun Medienvertreter bzw. deren Angehörige wurden somit allein in Veracruz in weniger als einem Jahr umgebracht.

Ende April war vom mexikanischen Abgeordnetenhaus ein Gesetz zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten beschlossen worden. Darin wird der Staat verpflichtet, ihre körperliche Integrität und die ihrer Familien zu garantieren, sowie Medieneinrichtungen zu schützen. Nichtregierungsorganisationen hatten die Einführung einer solchen Regelung schon seit längerem gefordert. »Leider mußte immer erst ein Tod geschehen, ehe Gesetze und Maßnahmen in diese Richtung verabschiedet wurden. Diese Initiative kommt spät und als Stückwerk, aber gerade deshalb müssen wir ihre Umsetzung fordern«, sagte Brisa Solís, Direktorin des Nationalen Zentrums für soziale Kommunikation (Cencos), gegenüber der Tageszeitung La Jornada.

Vor allem die Eskalation des Drogenkrieges hat die Mordrate drastisch erhöht. Mexiko ist heute für Journalisten das gefährlichste Land der Hemisphäre. Im September veröffentlichte die Zeitschrift Contralínea eine Liste von 1o2 seit dem Jahr 2000 in Mexiko ermordeten oder »verschwundenen« Journalisten. Die der US-Regierung nahestehende Organisation Freedom House stuft Mexiko das zweite Jahr in Folge als »nicht frei« für die Ausübung journalistischer Tätigkeit ein. Organisiertes Verbrechen, die fortgesetzte Militarisierung und die Schwäche staatlicher Institutionen würden die Pressefreiheit ernsthaft bedrohen, so Freedom House.

Wie gefährlich Mexiko mittlerweile für Pressevertreter ist, zeigt sich aber auch in anderen Bereichen. In Ciudad Juarez haben bereits einige Versicherungen und Kreditinstitute abgelehnt, Lebensversicherungen für Journalisten abzuschließen oder ihnen Kredite zu geben. Andere verlangten Risikozuschläge.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 9. Mai 2012


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